«Halo Infinite» im Test: Das macht sogar Nicht-«Halo»-Fans Spass
«Halo Infinite» erfindet das Halo Franchise neu, bietet im Kern aber das bewährte Weltraum-Action-Abenteuer, das Fans seit Jahren feiern. Etwas mehr Innovation beim Gameplay hätte der Serie trotzdem gut getan.
Kaum eines von Master Chiefs legendären Abenteuern habe ich lange, geschweige denn zu Ende gespielt. Ausser «Halo 4». Und auch nur, weil ich an der Hälfte der Gegner einfach vorbeigerannt bin, schnurstracks zum nächsten Levelabschnitt. Mehr Bock hatte ich nicht; seit dem ersten «Halo», das auf der Xbox erschienen ist – statt wie ursprünglich geplant auf dem PC –, ist die Stimmung angespannt zwischen uns.
Das soll nun anders werden. «Halo Infinite» aus dem Hause 343 Industries ist der erste Teil, der zum Launch auch auf dem PC erscheint. Damit lässt er endlich Maus- und Tastatur-Steuerung zu. Nicht nur das: «Halo Infinite» bietet erstmals eine offene Spielwelt, inklusive Nebenquests. Zu «The Witcher» im Weltraum verkommt «Halo Infinite» damit nicht. Ein paar Scheiben mehr hätte sich das grüne Männchen dennoch ruhig vom weisshaarigen Hexer abschneiden können. Im Kern besteht «Halo Infinite» nämlich lediglich aus Ballern und Schalterumlegen...
Seichte Story primär für Fans
In Master Chiefs sechstem Abenteuer verschlägt es ihn auf Zeta Halo. Halos sind künstliche Welten, die in Ringform im All schweben. Natürlich kann Master Chief dort nicht einfach die Füsse hochlegen und die Sonne geniessen. Die aktuelle Bedrohung nennt sich «die Verbannten». Diese Weltraum-Orcs stehen irgendwie in Verbindung mit Cortana, Master Chiefs ehemalige, treue künstliche Intelligenz. Die darf auch im neusten Teil nicht fehlen. Zur Seite steht dem Supersoldat allerdings eine neue KI, die zwar noch keinen Namen hat, sich deswegen nicht scheut, das Sprachrohr des Spiels zu mimen. Der Master Chief geizt bekanntlich mit Silben.
Ich bin definitiv keine wandelnde «Halo»-Enzyklopädie. Der Story konnte ich aber selbst mit meinen vagen Vorkenntnissen meistens folgen. Das liegt auch daran, dass während den ersten zwei Dritteln kaum etwas Nennenswertes passiert. Erst beim Endspurt nimmt die Geschichte etwas Fahrt auf. Es gibt mal wieder einen, respektive zwei Oberschurken, die irgendeinen Komplott geplant haben, um irgendetwas zu erwecken. Oder zu zerstören? Okay, richtig kapiert habe ich es wohl doch nicht. Wirklich berühren dürfte die Story aber ohnehin nur «Halo»-Fans. Wenn du wie ich bei Cortana zuerst an die Windows-Assistentin denkst, gibt es für dich nicht viel zu holen. Ich habe mich während den rund 15 Stunden eher wie auf einer Schnitzeljagd mit etwas Begleittext gefühlt.
Sterile und doch sehenswerte Spielwelt
Auch wenn die Story nicht über das Niveau eines Samstagmorgen-Trickfilms hinauskommt, sorgt sie doch dafür, dass das Spiel stets einen positiven Vibe verströmt. Ohne hätte ich wohl niemals so viele Stunden am Stück gezockt. Ebenfalls entscheidend zur Unterhaltung trägt die offene Spielwelt bei. Statt wie in früheren Teilen eine lineare Kampagne zu spielen, steht dir in «Infinite» eine für «Halo»-Verhältnisse riesige Spielwelt zur freien Verfügung. Nebst den gelbmarkierten Hauptquests gibt es eine Reihe von Nebenbeschäftigungen. Dazu gehören Camps von den Verbannten befreien, Bossgegner erledigen – für Waffen-Upgrades – oder Spartaner-Kerne sammeln, um die Ausrüstung zu verbessern. Das meiste davon dauert selten mehr als ein paar Minuten und ist meist direkt auf dem Weg zu Hauptquest positioniert.
Die Welt an sich, Halo Zeta, wirkt dafür etwas steril und leblos, da es ausser feindlichen Basen und Flugzeugwracks kaum etwas zu sehen gibt. Das Panorama aus zerklüfteten Bergketten, lauschigen Wäldern und dem Ring, der durch die Wolken durchschimmert, ergeben aber doch eine anmutige Stimmung. Den Missionen in geschlossenen Spielbereichen konnte ich hingegen nur wenig abgewinnen. Dort nutzt sich das stets wiederholenden Design schnell ab. Aufgelockert wird es hie und da durch alienartige Konstruktionen, aber eine Ecke weiter folgt schon wieder der gleiche langweilige Korridor.
An den technologischen Möglichkeiten hat es sicher nicht gelegen. Grafisch kann sich «Halo Infinite» nämlich mehr als sehen lassen. Da hat sich einiges getan, seit dem berüchtigten ersten Gameplay-Trailer, der Microsoft dazu veranlasste, das Spiel zu verschieben – zu gross der von Fans entfesselte Shitstorm wegen der miesen Grafik. Jetzt aber glänzt die hauseigene Slipspace Engine besonders in den Nahaufnahmen des Master Chief oder seines Weltraum-Orc-Rivalen. Dazu kommt der orchestrale Soundtrack, der bei «Halo»-Fans bereits im Startmenü für Hühnerhaut sorgt.
Gepriesen sei der Enterhaken
Während die offene Spielwelt und die neugewonnene Mobilität das Gameplay deutlich auffrischen, bleibt «Halo Infinite» im Kern in den 2000er-Jahren stecken. Zwar kannst du nun auswählen, ob du direkt zur Hauptquest gehst oder zuerst ein paar Nebenbeschäftigungen nachgehst. In der Ausführung sind sie praktisch gleich. Der Master Chief ist sowas wie ein bewaffneter Handwerker. Entweder legt er Schalter um, die eine Tür öffnen. Oder er legt Schalter um, die etwas zerstören. Oder er sucht Batterien, die Schalter aktivieren, sodass Master Chief sie umlegen kann. Vor und nach der Schalterarbeit ballerst du reihenweise Gegner über den Haufen. Die sind zwar einigermassen vielfältig und fordern teilweise auch unterschiedliche Herangehensweisen, am Prinzip ändert es nicht viel: Ballern, Schalter betätigen, Ballern. Da bot bereits «Half-Life» mehr Abwechslung durch Physik-Rätsel, geschweige denn ein «Titanfall 2» mit seinen legendären Zeitsprungleveln.
In «Halo Infinite» hast du über Schnelltasten vier Fähigkeiten zur Auswahl: Enterhaken, Schildwall, Ausweichen und Radar. Das Highlight ist zweifellos der Enterhaken. Damit kannst du dich nicht nur an Wänden hochziehen, du kannst dich auch an Gegnern heranziehen, Waffen aufsammeln oder Fahrzeuge entern. Mit den entsprechenden Upgrades kannst du Gegner damit sogar kurzzeitig betäuben. Das verleiht dem Master Chief eine völlig neue Mobilität und macht Kämpfe deutlich abwechslungsreicher. Ich bin damit wie Spider-Man um die Weltraum-Orcs herumgeflitzt und hab sie aus der Luft mit Granaten eingedeckt. Herrlich. Die restlichen Fähigkeiten habe ich so gut wie nie gebraucht.
Mit dem Enterhaken wird «Halo Infinite» sogar ein bisschen zu «Zelda: Breath of the Wild». Du kannst praktisch jeden Hügel und jeden noch so steilen Fels erklimmen. Zwar gibt es selten etwas zu entdecken, aber so kannst du dir zumindest frei den Weg zum nächsten Ziel bahnen.
Die andauernden Feuergefechte machen dank der Vielzahl an Waffen und Granaten wirklich Laune. Da rumst’s und knallt’s aus allen Richtungen. Und wenn du dir noch eines der vielen Fahr- oder Flugzeuge schnappst, dann fängt der Spass erst richtig an. Mit einem Banshee hoch aus der Luft über die Map zu gleiten und Gegner aus der Luft aufs Korn zu nehmen, ist mir bis zum Schluss nicht langweilig geworden.
Bei den Hauptmissionen sieht es anders aus. Dort verkommt das Alle-Gegner-vernichten regelrecht zur Fleissaufgabe. Nach dem x-ten Alien-verseuchten Raum in Folge verging mir oft die Lust. Im letzten Viertel des Spiels bin ich deshalb einfach an den Gegnern vorbeigerannt, direkt in den nächsten Abschnitt. Kommt mir bekannt vor. Ich muss dem Spiel zugutehalten, dass sowas überhaupt möglich ist.
Hervorheben möchte ich auch die Evolution der explodierenden Fässer. In «Halo Infinite» sind das Energietanks, die du nicht nur abschiessen, sondern auch werfen kannst. Besonders praktisch, wenn dir gerade die Munition ausgegangen ist.
Ich muss aber noch etwas kritisieren: Leider gehört auch «Halo Infinite» zur Kategorie Radargame. Mit einer Taste scannst du die Umgebung nach interessanten Objekten. Anschliessend leuchten Waffen und Munition blau und Spartaner-Kerne oder Audiologs gelb auf. Das heisst, du hämmerst nonstop die Scan-Taste, bis du auch das letzte Sammelobjekt gefunden hast. Das ist einfach nur lästig und gehört verboten.
Solider Trilogie-Abschluss und Startschuss für etwas Neues
«Halo Infinite» schafft es, eine der bekanntesten Spielreihen der Welt einen neuen Dreh zu verleihen, ohne bestehende Fans vor den Kopf zu stossen. Die offene Welt verleiht dem Spiel Grösse und gibt dir als Spieler:in die Freiheit, in deinem Tempo zu spielen. Auch wenn die Nebenbeschäftigungen nicht sonderlich kreativ sind, habe ich doch die meisten davon erledigt. Wer kann schon nein sagen, wenn direkt am Wegrand ein feindliches Lager liegt und davor ein unbemannter Alienpanzer parkt?
Und dass ich dank des neuen Enterhakens praktischen jeden Felsen erklimmen und mir so meinen eigenen Weg suchen kann, fühlt sich befreiend an. Dieses kleine Werkzeug an Master Chiefs Arm ist nebst der offenen Spielwelt die beste Ergänzung. Damit Gegner betäuben, Flugzeuge kapern oder sich im letzten Moment aus der Schusslinie ziehen, macht einfach unglaublich viel Laune
Das Gleiche kann ich leider nicht vom Missionsdesign behaupten. Das besteht nur darin, Schalter zu betätigen, um an einen neuen Ort zu gelangen, um dort wieder Schalter zu betätigen. Begleitet wird es von einer, zumindest für Nicht-«Halo»-Kenner, eher lauwarmen Geschichte, die erst gegen Ende an Emotionalität gewinnt. Für mich war der Master Chief aber schon immer der Doom Guy des Disney Clubs – eine wortkarge Kampfmaschine, mit Herz aus Zuckerwatte. Mit seiner gewissenhaften Art und seinem bestechenden Blick – trotz undurchsichtigem Visier – sorgt er dann eben doch für eine gewisse Dramatik.
«Halo Infinite» ist ein Spiel, das wenig von dir verlangt, aber viel Unterhaltung bietet. Die Action knallt, die Ringwelt lädt zum Entdecken ein und «Halo»-Fans bekommen etwas Story-Nachschub. Selbst ich, der bei «Halo» immer die Nase gerümpft hat, muss zugeben, das hat Bock gemacht. Und wenn dir das immer noch nicht ausreicht, dann gibt es ja noch den Multiplayer.
«Halo Infinite» ist verfügbar für PC, Xbox One und Xbox Series S/X und wurde mir von Microsoft zur Verfügung gestellt.
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