«Jeder soll seinen Kaffee so trinken, wie er will»
Latte Art. Die kleinen Milch-Zeichnungen zieren heute viele Cappuccinos. Milo Kamil bringt in Barista-Kursen im «Coffee Lab» jedem bei, wie das geht. Besser macht das den Kaffee nicht, aber schöner.
Eine Wand ist weiss gefliest. Würde sich in deren Mitte nicht ein schwarzes Logo befinden, man könnte meinen, es habe sich hier früher ein Schlachter befunden. Damals liess sich so das Blut der Tiere besser abwaschen. Heute höchstens Kaffeeflecken. Der Raum ist minimalistisch, beinahe karg eingerichtet, das Augenmerk liegt klar auf den grossen Siebträgermaschinen. Das «Coffee Lab» wird seinem Namen gerecht. In dieser sterilen Umgebung wird rund um Kaffee getüftelt.
Milo passt perfekt in diese Umgebung. Auch er übt sich in Zurückhaltung. Ein weisses Hemd, das ihm bis über den Po reicht. Dunkelblaue Chinos, die vor dem Knöchel enden. Dazu weisse Turnschuhe mit hohen Tennissocken. Milo ist Barista, hat 2015 und 2016 die Latte Art Schweizermeisterschaft gewonnen und leitet das Schulungszentrum «Coffee Lab». Er und sein Team geben ihr Kaffeewissen regelmässig in Kursen an Privat- und Geschäftskunden weiter.
«Vor 12 Jahren kam ich das erste Mal mit Latte Art in Berührung», erzählt Milo. Damals kommt er von Indonesien nach Zürich. Sein Englischlehrerdiplom wird hier nicht anerkannt, aufs Studieren hat er keine Lust mehr, also beginnt er in einem Café zu arbeiten. «Dort musste ein Milchherz die Crema zieren. Ich kam nicht drumherum, diese Milchschaummotive zu üben und war schnell angefressen.»
Um gute Latte Art hinzubekommen, sind Crema und Milchschaum gleichermassen wichtig. Die Crema muss sich schön goldbraun über dem Espresso verteilen. Der Milchschaum soll kompakt und cremig daherkommen, keine grossen Blasen haben. «Mit einem potenten Milchschäumer dauert das nicht einmal zehn Sekunden.» Erst verharrt Milo mit der Düse ganz nahe an der Milchoberfläche. Ein lautes Zischen ist zu hören. Die Flüssigkeit bewegt sich dabei stets strudelartig. Die Milch steigt immer höher, Luft wird darin eingeschlossen. Zum Schluss taucht er noch für zwei oder drei Sekunden etwas tiefer ab. Nur etwa einen Finger breit. Der Strudel versiegt dabei nicht. Die letzten paar Bläschen verschwinden, indem er das Kännchen auf den Tresen klopft. Einmal Schwenken, zweimal Schwenken und noch ein drittes Mal, dann trifft Milch auf Crema. Und zwar erst mittig und dann kreisförmig nahe des Tasseninnenrands. Das Herz entstehe so beinahe automatisch, meint zumindest Milo.
Was Dario, Teil des Teams von Coffee Lab, mit seiner Latte Art auf die Crema zaubert, passiert nicht automatisch. Ein Pegasos oder sogar «King Julian» aus dem Film «Madagaskar» zeichnet er mit Konzentration und einer ruhigen Hand. Schwer vorstellbar, dass er vor zwei Jahren noch selbst Kursteilnehmer an einem Latte Art Workshop bei Milo war. «Er hat mein Potenzial erkannt und mich dann gleich unter seine Fittiche genommen», sagt Dario. Ein paar Monate später belegt er mit seinen Motiven schon den vierten Platz an der Schweizermeisterschaft.
«King Julian» mag noch immer der kompetitiven Barista-Szene vorbehalten sein, aber das Herz, das für Milo vor 12 Jahren komplettes Neuland darstellt, gehört unterdessen zum Standard eines jeden Cafés, das was auf sich hält. Und jedem Städter, der was auf sich hält. Wo früher noch alle zum typisch Schweizer Café, dessen Cappuccino-Schaum an den aus der Badewanne erinnerte, pilgern, wählt heute zumindest die urbane Bevölkerung mit Sicherheit den Laden mit Latte Art. Sie ist zum scheinbaren Synonym für Qualität geworden. Individuelle Bedürfnisse sind längst wichtiger als kollektive Identität. Als Bauer nur zu fressen, was man kennt, das widerspiegelt längst nicht mehr den Status Quo. Neues auszuprobieren, sich Unbekanntem zu öffnen, alte Gepflogenheiten abzulegen, das ist modern.
«Sogar in Indonesien gibt’s unterdessen eine Barista-Kultur. Als ich dort aufgewachsen bin, haben wir nur Instant-Kaffee getrunken», sagt Milo. Und das obwohl Indonesien einer der grössten Kaffeeproduzenten weltweit ist. «Die guten Produkte werden exportiert, wie so oft.» Die sind dann zum Beispiel im Coffee Lab zu finden. «Wir setzen so oft es geht auf lokale Röstereien und auf zertifizierte Fairtrade-Bohnen.» Diese Labels seien ein Anfang im schmutzigen Kaffeegeschäft, in dem sich bis heute Ausbeutung von Menschen oder der Natur kaum verhindern lassen. Das wird oft vergessen bei unserer westlichen Ästhetisierung des Kaffees, zu der auch Latte Art gehört. Denn Latte Art macht einen Kaffee nicht besser. Man müsse ihn eigentlich sogar umrühren, um bei jedem Schluck das gleiche Verhältnis von Milch und Kaffee zu haben, gibt Milo zu. «Aber das Auge trinkt mit. Und wir Baristas lieben das Tüfteln mit dem Kaffee, aber eben auch die dekorative, künstlerische Komponente.»
Für einen guten Kaffee sind vor allem die Bohnen, aber auch der Röstprozess und der Umgang mit dem Endprodukt, wie zum Beispiel dem Mahlen, wichtig. «Bei jedem Schritt können Fehler passieren, die den Kaffee am Ende schlecht machen», sagt Milo. Im Coffee Lab werden immer neue Bohnensorten ausprobiert. Helle Röstungen enthalten noch mehr Fruchtsäure, was den Kaffee saurer macht. Für viele Gaumen noch ungewohnt. «Letztens habe ich sogar einen Kaffee getrunken, der wie ein Erdbeer-Smoothie geschmeckt hat.» Den reinen Kaffeegeschmack habe man natürlich nur, wenn man seinen Espresso schwarz und ohne Zucker trinke, wie das selbsternannte Kaffee-Enthusiasten immer wieder gerne betonten, sagt Milo und lacht leicht verschmitzt. Aber Milch helfe, sich diesen ungewöhnlichen Geschmäckern, den sogenannten «Specialty Coffees», zu öffnen. «Und schliesslich ist Kaffee ein Genussmittel, also soll jede und jeder seinen Kaffee so trinken, wie er ihr oder ihm schmeckt.»
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