Zoelibat Kontaktlinsen weisser Schnitt
Weiss, Rot
Das Reglement der Fifa regelt bis zum letzten Etikett, wie sich die Vertreter der teilnehmenden Nationen zu kleiden und wie sie aufzutreten haben. Wer sich trotzdem für Toleranz, Vielfalt und Menschenrechte stark machen will, muss sich etwas einfallen lassen.
Es ist das absehbare Trauerspiel. Kurz vor Beginn der umstrittenen Weltmeisterschaft in Katar mühen sich verschiedene teilnehmende Nationen ab, irgendwie ein sichtbares Zeichen für Toleranz und Vielfalt zu setzen, ohne die Fifa zu verprellen. Was quasi unmöglich ist, weil diese ihr Produkt clean präsentieren will und als Hüterin des Reglements am längeren Hebel sitzt.
«Das Tragen oder Nutzen von Teilen (der Spielkleidung oder anderen Kleidungsstücken oder Ausrüstungsteilen und Ähnlichem) in kontrollierten Bereichen ist verboten, wenn die FIFA der Ansicht ist, dass diese [...] gefährlich, beleidigend oder anstössig sind, politische, religiöse oder persönliche Slogans, Aussagen oder Bilder enthalten oder anderweitig nicht den Spielregeln entsprechen», heisst es im Ausrüstungsreglement, das bis zur Perforierung von Namen und Nummern (maximal 2 mm grosse Löcher) alles regelt, was mit dem optischen Auftritt der Spieler und Betreuer zu tun hat. Was nach Ansicht der Fifa nicht passt, wird verbannt.
Gerade erst wurde der Antrag der dänischen Mannschaft abgelehnt, den Slogan «human rights for all» auf ihren Trainingshirts zu tragen. Die Sponsoren hätten dafür die Brust frei gemacht. Doch «Menschenrechte für alle» sei zu politisch, befand die Fifa, in deren Statuten steht: «Die FIFA bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein.»
Anträge wie dieser sind gut, weil der Weltverband sich dazu verhalten muss und alleine das schon eine Nachricht ist. Leider nur in den Ländern, die diese Diskussion überhaupt führen. Spannend wird auch der Umgang mit der Captain-Binde sein, die neben Granit Xhaka für die Schweiz auch die Spielführer von England, der Niederlande, Belgien, Wales, Frankreich, Dänemark und Deutschland am Arm tragen wollen. Bedruckt ist sie mit der Aufschrift «One Love» und einem bunten Herz.
Dazu hat sich die Fifa noch nicht final geäussert, aber das Reglement ist klar: «Bei FIFA-Endrunden muss der Spielführer jedes Teams die von der FIFA bereitgestellte Spielführerbinde tragen. Falls die FIFA verschiedene Spielführerbinden bereitstellt, sollte ein Modell getragen werden, das sich am besten vom Ärmel abhebt, über dem sie getragen wird.» Bereitstellen wird sie die «One Love»-Binde sicher nicht. Eher mit einer Geldstrafe sanktionieren. Durch welche Lücken im Reglement können protestwillige Profis überhaupt schlüpfen, ohne vor dem Gang aufs Feld mit dem Totschlagargument «zu politisch» daran gehindert zu werden?
Zu den Lieblingsbeschäftigungen gelangweilter Profis gehört es bekanntlich, den Coiffeur einfliegen zu lassen, um die Welt bei nächster Gelegenheit mit einem neuen Look zu überraschen (und dann von deren Unverständnis dafür überrascht zu sein). Wenn dieser nicht nur Blond, sondern auch Regenbogenfarben im Gepäck hätte, stünde eine kunterbunte Truppe in tadelloser Ausrüstung auf dem Feld und die Fifa vor einer kniffligen Frage.
Natürlich will sie so etwas nicht sehen, aber die Frisur war bislang der Hauptspielplatz für persönliche Freiheiten der Profis. Man durfte mit allem auf dem Kopf Weltmeister werden, was die Farbtöpfe oder der Rasierer hergaben. Ausserdem bekennt sich die Fifa in ihren Statuten doch klar zur Toleranz: «Jegliche Diskriminierung eines Landes, einer Einzelperson oder von Personengruppen aufgrund von Hautfarbe, ethnischer, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand, sexueller Orientierung oder aus einem anderen Grund ist unter Androhung der Suspendierung oder des Ausschlusses verboten.»
Ein Regenbogenteam würde jedenfalls für Wirbel sorgen und liesse sich von keiner Regie ausblenden. Die Bilder wären in der Welt. Und das «Problem» könnte auch nicht einfach einkassiert werden, wie es bei unerwünschten Gegenständen möglich ist: «Der Spielkommissar darf sämtliche unzulässigen Teile beschlagnahmen und sie zusammen mit einem schriftlichen Bericht der FIFA vorlegen.»
Ein paar Tage lang wäre die Aufregung gross, dann stünde das nächste Spiel an. Die einzige Möglichkeit, das unerwünschte Symbol im Rahmen des Reglements zu überdecken, ist ein tolerantes Zugeständnis: Es ist gestattet, dass Spielerinnen und Spieler «religiöse Kopfbedeckungen tragen, wie Kopftücher, Turbane oder ähnliche Kleidungsstücke». Diese müssen «entweder die dominante Farbe des Trikots des Spielers aufweisen oder schwarz sein».
Während Ausrüstungsteile wie Kopfschutz, Gesichtsmasken, Knie- und Armschoner, Brillen und medizinische Verbände oder Schienen vor dem Spiel von Offiziellen abgenommen und bewilligt werden müssen, scheint zumindest die Wahl der Kontaktlinsen nicht weiter reguliert zu werden. Auch die gibt es in Regenbogenfarben, mit Peace-Zeichen oder subtiler mit blutigen Schnitten, die viel Interpretationsspielraum lassen. Erklärungen können später folgen. Zunächst geht es darum, Bilder zu schaffen.
Und zur Hymne aufgereihte Spieler mit Botschaft in den Augen wären ein Bild, das um die Welt gehen würde. Entsprechende Linsen sind zwar nicht für den Strassenverkehr geeignet, aber von Viertelfinals steht da nichts. Zur Not lassen sie sich vor dem Anpfiff genauso schnell entfernen, wie sie in der Kabine eingesetzt sind.
Was lässt sich nicht entfernen und ist bei Fussballern fast noch beliebter als neue Frisuren? Neue Tattoos. Den Körperschmuck hat meines Wissens nur die chinesische Regierung ihren Spielern verboten, aber die Chinesen sind in Katar gar nicht dabei. Bei allen anderen darf munter gestochen werden und die Fifa sichert sich in den Media und Marketing Regulations sogar entsprechende Nutzungsrechte an den Botschaften.
Vom Weltstar bis zum Zeugwart hat sie freie Hand, quasi alles zu verwenden: «Für jedes Delegationsmitglied sämtliche identifizierenden Informationen oder Eigenschaften in seiner Funktion als Delegationsmitglied, einschliesslich u. a. seines Namens, Kürzels, Spitznamens, seiner Trikotnummer, seiner Fotos, Bilder (einschliesslich unbewegter und bewegter Darstellungen davon), seines Erscheinungsbildes, seiner Animation, seiner Tattoos oder anderer Körperkunst, seiner Unterschrift/seines Autogramms (einschliesslich Kopien davon), seiner Stimme, seiner Aussagen, Leistungen, Aufzeichnungen, Statistiken, biometrischen Daten, seiner anderen Daten [...]» – so geht es noch eine Weile weiter. Deshalb: Fliegt die Tätowierer ein, Tattoos oder «andere Körperkunst» sind ein guter Kommunikationskanal.
Neben eher schlichten Botschaften wie dem Schriftzug «blessed» (Neymar), einem rückenfüllenden Bild von sich selbst (Leroy Sané) oder Kalendersprüchen à la «dream big be unrealtistic» bei David Beckham, der als Gesicht der WM in Katar den grossen Traum lebt und eine surreale Summe von knapp 180 Millionen Franken erhält, wird auf dem einen oder anderen Zeigefinger doch noch Platz für eine kurze Botschaft sein, die beim Jubel in die Kamera gereckt werden kann: «human rights for all».
Titelbild: Shutterstock/Sanjay JSSportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.