Aftershokz Trekz Titanium – Sound durch Mark und Bein
Produkttest

Aftershokz Trekz Titanium – Sound durch Mark und Bein

Wir leben in spannenden Zeiten. Alte Technologien werden aktiv hinterfragt und neue Ideen finden ihren Weg in den Verkauf. Eine dieser Ideen ist die Bauweise der Aftershokz Trekz Titanium, den Kopfhörern ohne Lautsprecher.

Bone Conduction heisst das Zauberwort der Stunde und nicht Bluetooth oder Wireless. Auch wenn die Aftershokz Trekz Titanium ohne Kabel und nur einem orthographisch richtig geschriebenen Wort im Produktnamen auskommen, ist das noch längst nicht der interessanteste Part der Kopfhörer. Wirklich spannend sind die Trekz durch die Tatsache, dass sie eine radikal neue Bauweise salonfähig machen wollen, namentlich die Bone Conduction Technologie.

Dein Körper als Lautsprecher

Hast du schon mal eine Aufnahme deiner Stimme gehört? Klingt schrecklich, nicht? Der Grund, weshalb du für andere ganz anders klingst als für dich selbst ist der, dass deine Stimme auch in deinem Kopf klingt. Technisch ausgedrückt: Das Audiosignal, das von deinen Stimmbändern erzeugt wird, lässt Teile deines Kopfes vibrieren, was intern ein zweites Audiosignal erzeugt, das an dein Gehör weitergeleitet wird.

Dieses Feature deines Schädels wird von Bone Conduction – zu deutsch: Knochenleitung – ausgenutzt. Dabei wird von einem Gerät, etwa einem Hörgerät oder einem Kopfhörer, deine Knochenmasse im Schädel zur Vibration gebracht, was sogenannte Schalleindrücke erzeugt. Also die Illusion von Schall, wo eigentlich keiner ist. Kompliziert ausgedrückt: Es handelt sich um eine Art Spoofing des internen Audiosignals mit Remote Sound Injection.

Die Technologie wird in Hörgeräten verwendet und im Militär. Dort vor allem aber in Mikrofonen, die eng am Körper anliegen, denn wenn du gerade im Kugelhagel bist, dann willst du nicht zwingend ein Headset vor deinem Gesicht rumwackeln haben.

Es war nur eine Frage der Zeit bis Bone Conduction in Unterhaltungselektronik massentauglich verbaut wird. Voilà, Aftershokz Trekz Titanium.

Bisher waren Kopfhörer, extrem stark vereinfacht gesagt, Lautsprecher, die du entweder über dein Ohr gestülpt hast oder in deine Ohren gesteckt hast. Natürlich ist da viel mehr dahinter als einfach eine geschrumpfte Box, aber vom technologischen Aspekt her reden wir hier von vergleichbarer Technologie. Mit dem macht Aftershokz Schluss. Der amerikanische Hersteller bringt einen Kopfhörer raus, der auf Bone Conduction setzt.

Die Technologie soll den Kopfhörermarkt revolutionieren, wenn wir dem Werbematerial des Herstellers glauben schenken dürfen. Vor allem wenn es um Sportler ginge, seien die Trekz Titanium nicht nur eine neue Klangdimension, sondern können auch unter Umständen Leben retten.

Neue Technologie, neue Marke, neue Erfahrung beim Musikhören. Wie kann ich da einem Test widerstehen?

Das Wackeln in den Backen

Die Trekz aufzusetzen ist so schon eine neue Erfahrung. Denn die Teile, die so aussehen, als ob sie in deine Ohren gehen würden, liegen lediglich vor deinem Ohr auf der Haut auf. «Keine Chance, dass das gut klingt. Oder überhaupt funktioniert», denke ich mir. Klar, ich habe die Technologie verstanden, die Betriebsanleitung und die Website des Herstellers studiert und mit meinem Kollegen Dimitri Pfluger über das Gerät gesprochen. Ich weiss, dass die Trekz funktionieren werden, aber rein aus Gewohnheit, die ich während zwei Jahrzehnten des Kopfhörer-Hörens gesammelt habe, glaube ich nicht daran.

«Battery full», murmelt mir eine Frau aus den Kopfhörern ins Ohr. Nebst der Tatsache, dass die Stimme nicht besonders klar ist, stelle ich aber nichts Aussergewöhnliches fest. Dies soll aber noch nicht gegen die Kopfhörer sprechen. Aufgrund des sehr kleinen internen Speichers manch eines Kopfhörers sind die Stimmansagen meist so weit komprimiert, dass Soundqualität verloren geht. Dies ist ein bewusster Entscheid der Hersteller, denn jedes Byte, das von irgendwas anderem als Musik oder Playback-Software gebraucht wird, kann die Batterielaufzeit beeinträchtigen und die ist nebst anderen einer der wichtigsten Faktoren in der Industrie.

Die Musik beginnt.

Klingt nach Musik. Definitiv. Von der Soundqualität sind die Aftershokz Trekz Titanium weder laut noch leise etwas Besonderes. Sie sind solider Durchschnitt. Als Workout-Kopfhörer eignen sie sich je nach deinem Workout. Von der Lautstärke her aber geht das gut, denn ich kann locker die ganze Umwelt ausblenden, auch wenn meine Ohren komplett frei sind.

Besagte Umwelt bekommt übrigens mit, was ich mir anhöre, wenn ich die Lautstärke aufdrehe. Kurz kann gesagt werden, dass wenn ich die Umwelt nicht wahrnehme, dann hört sie mit. Wenn ich die Umwelt noch höre, dann hört sie meine Musik nicht.

Damit beginnt die Phase, in der mich die Aftershokz Trekz Titanium verwirren.

Das macht doch alles keinen Sinn

Im Werbematerial heisst es, dass die Trekz Titanium das Gehör mit Musik erfüllen können, aber immer noch die Wahrnehmung der Aussenwelt ermöglichen. Also quasi die Aussenwelt auf Standby stellen es sei denn, etwas akustisch Wichtiges passiert. Bis zu einer gewissen Lautstärke, etwa 70 Prozent der Maximalvolumens, geht das. Aber bis dahin nehme ich die Aussenwelt auch so noch wahr. Alles darüber hinaus blendet die Aussenwelt komplett aus, egal, wie laut es da draussen ist.

Ferner seien die Trekz bequem und gut für Sport geeignet. Habe ich ausprobiert, kann ich bis auf einige wenige Übungen bestätigen. Sobald du irgendetwas über deinen Kopf heben musst, als Clean-and-Press oder Squats, bei denen das Gewicht hinter deinem Kopf nahe dem Bügel der Hörer liegt.

Beim Squat ist das Problem offensichtlich, wenn auch wohl etwas irrational. Die Hörer werden hinter dem Kopf nicht wie bei anderen Modellen von einem Kabel zusammengehalten, sondern von einem harten Bügel. Dieser ist mir ein oder zwei mal mit dem Gewicht in Berührung gekommen. Das gefällt mir gar nicht, denn ich brauche für schwere Squats volle Konzentration und muss mich auf meine unmittelbare Umgebung verlassen können. Denn wenn ich an einem Wochenabend 140kg auf den Schultern trage und dann noch in die Knie gehen muss, da habe ich keinen Spielraum, um mir Sorgen um die Kopfhörer zu machen.

Klar, auch hier: Logisch weiss ich, dass sich die Hörer nirgends verheddern können, denn die Ingenieure bei Aftershokz haben sich grosse Mühe gegeben, die Trekz so anschmiegsam wie möglich zu machen. Emotional aber war mir das nicht geheuer.

Wenn du dachtest, dass ich bisher schon irrational war, dann wird es jetzt noch schlimmer. Denn beim Clean and Press, eng verwandt mit dem oben verlinkten Clean and Jerk, komme ich gar nicht mit den Kopfhörern in Kontakt. Doch weil sich alle Muskeln unter meinem Kopf und alles rund um meinen Kopf herum bewegt, mache ich mir doch etwas Sorgen.

Vor allem bei Übungen, während denen ich Gewichte über den Kopf drück,e bin ich allgemein kein Fan von Kopfhörern oder Hüten oder Brillen.

Ich denke zurück ans Werbevideo, wo vor allem Outdoor-Sportler von den Trekz profitieren sollen. Die drücken auch nichts über Kopf. Aber die sollen auch davon profitieren, dass sie die Umwelt immer noch wahrnehmen können. Können sie schon, aber dann ist die Musik leise. Genau wie bei jedem anderen Kopfhörer auch. Ich verstehe nicht, für wen die Trekz gemacht sind, oder auch nur schon weshalb ich jetzt unbedingt von normalen Kopfhörern auf die Aftershokz umsteigen soll.

Die Soundqualität ist nicht berauschend, die beworbenen Features sind schon da aber nicht wie der Hersteller das anpreist und für mich als Strongman gewinne ich nichts aus dem Kauf. Ich bespreche das mit Dimitri Pfluger. Er pflichtet mir bei, dass er auch nicht ganz sehe, was die neue Technologie bringe. Potential hat sie zweifelsohne, das geben wir alle zu. Wir sehen einfach nicht ein, für wen die Trekz massive Vorteile bietet.

Bei einem sind wir uns aber einig: Die sechs Stunden Akkulaufzeit können sich definitiv sehen lassen.

Musik für Gehörlose und Blinde

Es muss doch jemanden geben, für den die Aftershokz Trekz Titanium gut sind, nicht? Okay, ich bin Journalist. Daher: Recherche. Weil irgendwo muss doch jemand sein, der mir sagen kann, weshalb die Trekz jetzt so die Welt verändern sollen.

Emily Daigle alias Twitter-Userin @buschic weiss die Antwort. Die Kanadierin ist nicht nur so stark sehgeschwächt, dass sie legal blind ist, sondern auch begeistert von den Aftershokz-Produkten.

Des Rätsels Lösung

Die Aftershokz sind für Hörgeschädigte super und eine Menge Blinde LIEBEN sie. Ich nutze sie die ganze Zeit

Logisch! Wenn du blind bist, dann verlässt du dich wesentlich stärker auf dein Gehör. Da willst du nicht unbedingt irgendwelche Stöpsel im Gehörgang stecken haben, auch wenn du die Lautstärke mit normalen Kopfhörern runterdrehst.

Bei manchen Hörgeschädigten und Tauben wird die Technologie wichtig. Eingangs habe ich erwähnt, dass Hörgeräte dieselbe Technologie verwenden, wie die Aftershokz Trekz Titanium. Durch das zweite Audiosignal, das im Kopf selbst erzeugt wird, kann ein beschädigter Gehörgang umgangen werden. Sprich, wenn ein Ohr kaputt ist, kann unter Umständen ein Bone Conduction Hörgerät dazu verwendet werden, den Schall der beschädigten Seite auf die gute Seite umzulenken, indem der Knochen als Soundverstärker genutzt wird.

Aufgrund der Vielzahl der Dinge, die in einem Ohr zusammenarbeiten oder eben auch nicht, muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass dieses Statement nicht absolut ist. Ob der Musikgenuss für Hörgeschädigte mit den Trekz besser wird oder nicht, hängt vom individuellen Gehörapparat ab.

Weitere Informationen zu diesem Thema können dir wohl dein Ohrenarzt oder Hörgerätspezialist geben. Reviews und Stimmen im Internet sind sich aber einig, dass die Bone Conduction Headphones ein Segen für Hörgeschädigte sind, die gerne Musik hören. Sie ersetzen aber keinesfalls ein Hörgerät.

Kurz: Als Audiophiler wirst du die Aftershokz-Produkte wohl nicht besonders mögen. Als Sportler ist es stark abhängig davon, was du trainierst. Aber als Hörgeschädigter bist du unter Umständen wirklich sehr froh um die Trekz Titanium.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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