Artemis Fowl Review: Nein
Disney hat sich gedacht, dass «Artemis Fowl» dem Konzern unendlich Geld einspielen soll. Keine Chance. Denn der Film ist so dermassen schlecht, dass keiner ihn sich je ansehen sollte. Er verrät alles, was Autor Eoin Colfer in seinen Büchern aufgebaut hat.
«Artemis Fowl», der Film, ist das Franchise, mit dem Disney dich jahrelang unterhalten und damit gross Geld verdienen will. Artemis Fowl, die Buchserie, umfasst sieben Bücher, die sich international eine Nische auf dem Markt geschaffen haben, die keiner bisher gefüllt hat. Artemis Fowl, der Charakter, ist eine der liebenswürdigsten Figuren, mit denen du als Leser mitfieberst.
«Artemis Fowl», der Film, verrät all das, was Autor Eoin Colfer in seinen Büchern geschaffen hat, in den den ersten zehn Minuten. Dieses Review wird wohl nicht ganz spoilerfrei sein, aber du kannst beruhigt weiterlesen. Ich habe mir den Film angesehen, damit du ihn dir nicht antun musst. Zudem ist es ohnehin schwierig, genau zu sagen, worum es im Film eigentlich geht.
Am Ende bleiben dann vor allem zwei Eindrücke, nebst vielen Flüchen:
- Judi Dench sollte ihren Agenten fristlos entlassen. Zuerst Cats, jetzt das.
- Matthew Tucker, Film Editor, sollte sich seine Berufswahl noch einmal überlegen
- Screenwriter Conor McPherson und Hamish McColl sollten nie wieder einen Film schreiben dürfen
- Disney soll mal klarkommen. Echt.
The People: Die Mythologie, die so ganz anders ist
In den Büchern hat Eoin Colfer ausserordentliches geleistet. Er hat Haven, die Hauptstadt der People, als einen lebendigen, funktionierenden Ort geschaffen, in der Feen, Elfen, Goblins, Trolle und allerlei andere magische Wesen zusammenleben. Sie nennen sich kollektiv Fairies. Sie brauchen die Mud People, die Menschen von der Erdoberfläche, nicht. Denn in ihren Städten nahe dem Erdkern verfügen The People über Technologie, von der wir Rückständigen mit unseren iPhones und unserem Internet nur zu träumen wagen.
Im Film ist Haven City – warum muss da ein «City» sein? – ein CGI-gefülltes, knapp funktionsfähig wirkendes Ding, das irgendwo irgendwie existiert. Haven City ist daher exemplarisch, wie «Artemis Fowl», der Film, mit seiner Mythologie umgeht. Nämlich gar nicht. Mit Konzepten wird wild um sich geschmissen und nach einer mehr oder weniger emotionalen Eingangsszene mit dem Titelhelden sind alle Charaktere damit beschäftigt, uns Zuschauern Exposition zu verklickern.
«We have fed the troll a little potion of nettles and wasp juice. Everything trolls are allergic to. It's made it twice as strong and ten times as mad», sagt kurz vor dem grossen Finale eine Elfe, die wohl Briar Cudgeon (Joshua McGuire) sein sollte.
Diese Szene, in der Cudgeon zu dramatischer Musik den Zuschauern für den Plot wichtig Informationen in die Kamera spricht, dauert 11 Sekunden. Dafür musste der Plot schnell Pause machen, damit wir Doofen vor dem Bildschirm auch verstehen, warum wir jetzt besorgt sein sollten.
Unter dieser Erzählweise leidet jeder Aspekt des Films. Editor Matthew Tucker muss den Film so aussehen lassen, als ob da was passiert und als ob es tatsächlich aufregend ist. Ist es nicht. Ist es nie. Der Film kann so kein Momentum aufbauen, keine Spannung und keine emotionale Bindung.
Andernorts aber werden Schlüsselkonzepte unter den Teppich gekehrt. «You're in my house. You know the Rules», sagt Film-Artemis (Ferdia Shaw), der eine ganz andere Person ist als Buch-Artemis. The Rules, eine Ansammlung von Regeln, die für magische Wesen gelten, sind eines der wichtigsten Brauchtümer der Fairies. Da gibt es eine Fairy Bible, die in Gnommish, der Sprache der Fairies, geschrieben ist. Darin stehen Dinge wie «Du sollst nicht das Haus eines Fremden betreten, ausser du wirst hereingeladen». Wenn eine Fairy das doch tut, dann folgen Bauchkrämpfe, Kopfschmerzen und am Schluss der permanente Verlust der Magie. Wäre doch gut, wenn der Film sich die Mühe machen würde, das zu erklären, nicht? Das ginge auch in 11 Sekunden.
Ich wage mal einen Versuch, eine Expositionsszene mit etwas Charakterisierung zu machen:
Die Lower Elements Police Recon (LEPRecon) landet im Time Freeze – jetzt wüsstest du gerne was das ist, nicht? Wir auch – vor Fowl Manor. Die Elfen mit ihren Flugrucksäcken gleichen weniger einer Polizeieinheit, sondern mehr einer Armee. Da sind Panzer, Gewehre und Kampfjets.
Der Armee stellen sich zwei Personen gegenüber: Butler und Artemis Fowl. Ein Hüne mit einer Handfeuerwaffe und ein zerbrechlicher Bub im schwarzen Anzug ohne Waffen. Die beiden stehen auf der Veranda des alten Herrenhauses, blicken dem emsigen Treiben der Wesen zu.
«Artemis, ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist», sagt Butler.
«Keine Sorge, Butler, solange wir im Haus bleiben, sind wir sicher. Es ist ihnen verboten, ein Haus zu betreten, es sei denn, sie werden hineingebeten», sagt der 12-Jährige. Ein Lächeln huscht über seine Lippen. Er dreht sich um, geht schnellen Schrittes in Richtung Haustür.
«Komm, Butler, wir haben zu tun»
Mit dieser Inszenierung würde der Film bereits mehr für die Charaktere tun, als das es der Film in seiner aktuellen Form tut. Denn wo alles und jeder zu jedem Zeitpunkt damit beschäftigt ist, in Exposition zu sprechen, leiden vor allem die Charaktere.
Diese kommen in «Artemis Fowl», dem Film, so dermassen unter die Räder, dass ich mich frage, ob Screenwriter Conor McPherson und Hamish McColl überhaupt je eines der Bücher gelesen haben.
Artemis Fowl: Der Bub, der so ist, wie er nicht ist
Am Ärgsten trifft es den Titelhelden.
Buch-Artemis ist ein Soziopath. Buch-Artemis sieht kein Problem darin, anderen Lebewesen Schaden zuzufügen. Das Buch «Artemis Fowl» beginnt mit einer starken Passage:
Wer kann da schon widerstehen? Buch-Artemis ist einer der intelligentesten Menschen auf dem Planeten, verfügt über die Millionen seines reichen aber verschollenen Vaters, ist aber moralisch-ethisch bankrott. Er hat kein Problem damit, anderen Lebewesen Schaden zuzufügen. Er überschreitet Gesetze dort, wo es ihm gerade passt. Er ist ein arrogantes Kind, alleine und ohne Freunde. Sein Vater hat ihm beigebracht, dass alleine finanzieller Reichtum zählt. Einzig sein Butler, den er konsequent «Butler» nennt, steht dem physisch schwachen Rotzlöffel zur Seite.
«Artemis Fowl», das Buch ist anno 2001 erschienen, also kurz nach J.K. Rowlings «Harry Potter and the Goblet of Fire». Buch-Artemis ist der Anti-Harry-Potter. Wo Harry sein Leben lang gelitten aber trotzdem ein reines Herz hat, wurde Artemis in den Geldadel geboren. Aber er ist kalt, berechnend und gefährlich. Der Malfoy der Geschichte, so in etwa. Im ersten Buch ist Artemis sogar der Böse. Er entführt eine Elfe und fordert von den Fairies eine Tonne Gold.
Film-Artemis ist Harry Potter im Anzug. Es ist nicht ganz klar, weshalb Artemis irgendetwas tut. In der ersten Hälfte des Films ist Artemis kaum anwesend, da irgendwelche CGI Set Pieces Aufregung vermitteln sollen. Da schwirren Flugobjekte, Mulch Diggums (Josh Gad) erzählt im Voiceover noch wichtigere Informationen über das, was wir eigentlich gerne sehen würden und das VFX Department zeigt, was es kann. Alles schnell zusammengeschnitten und so, damit keiner merkt, dass der Film nicht weiss, was es mit dem Titelhelden anstellen soll. Ihm wird jede Entwicklung verwehrt, da er auch nur etwa während gefühlten zehn Minuten im Bild ist.
Scheint dem Film egal zu sein, denn Vater Fowl ist ja da, damit Artemis Junior ihm Exposition an den Kopf werfen kann. «I just want to believe in you, Dad», sagt der Jungspund, der eigentlich Erpresser, Entführer und Soziopath sein sollte.
Warum ist Artemis sympathisch? War es nicht der grosse Reiz des ersten Buches, dass der Titelheld kein Problem mit Entführung, Erpressung, der Verabreichung von Drogen und allerlei Schindluder sah? Ferdia Shaws Rolle sieht den Jungschauspieler vor einem Fernseher stehen und schockiert dreinblicken, als die Nachrichten verkünden, dass Vater Fowl hinter einer ganzen Reihe Diebstählen gesteckt hat. Artemis der Jüngere ist eines der grössten Genies der Welt. Das Script will dir Glauben machen, dass einem der grössten Genies der Welt entgangen ist, dass unbezahlbare Antiquitäten immer dann verschwinden, wenn sein Vater auf Geschäftsreise ist. Buch-Artemis hätte – wenn er denn nicht im Wissen um die Machenschaften seines Vaters aufgewachsen wäre – etwa zehn Minuten gehabt, bis er seinen Vater durchschaut hätte. Dann weitere zehn Minuten, bis er einen Plan ausgeheckt hätte, der jede Idee seines Vaters in den Schatten gestellt hätte.
Film-Artemis schreit «He's not a criminal. He's my dad. He's my dad!» während er von Butler aus dem Zimmer gezerrt wird, damit er nicht weiter den Fernseher anschreien muss.
Wenn dann noch enthüllt wird, dass der Fowl Clan seit Jahrhunderten irgendwie irgendwas tut, das die Elfenwelt schützt und es Film-Artemis' Bestimmung ist, das auch zu tun, dann ist dann vollends fertig. Buch-Artemis hat sich die Fairy Bible angeeignet und sie entziffert. Er hat sich die Sprache der Fairies eigenhändig beigebracht, ihre Regeln studiert und sie gegen LEPRecon verwendet.
Im Film Butler so: «Hier hast du ein Regal, in dem alles ist, was du für den Plot brauchst. Du bist so intelligent, Artemis. Intelligente du mal hier ein bisschen rum, während ich Löcher in die Luft starre.»
Holly Short: Die Frau, die als Idiotin vom Dienst hinhalten muss
Da Ferdia Shaws Film-Artemis schon stupid ist, Butler nichts zu tun hat, Mulch Diggums im Knast hockt und der Plot von alleine vor sich hinplätschert, muss irgendwer ja als grossäugiges Dummerchen hinhalten, das mit Kriminellen sympathisiert und irgendwie doch so weit im Polizeidepartment der Elfen aufwärts gescheitert ist, dass sie aus irgendeinem Grund mit der LEPRecon-Kommandantin der Polizei (Judi Dench) persönlich reden darf. Irgendwas von wegen ihrem Papa, der lustigerweise auch verschwunden ist. Ja, Sachen gibt's.
Ich hasse das Script des Films.
Im Buch ist Holly Short die erste Frau, die in die Ränge der Elite-Polizeieinheit LEPRecon aufgenommen wird. Ihr Kommandant, im Buch männlich, glaubt fest an «The Future is Female» in seinen Rängen und nimmt Holly deshalb hart ins Gericht. Aber statt mit tränigen Augen dem Kommandanten Vorwürfe zu machen, bleibt Buch-Holly hart. Sie beweist ihre Fähigkeiten als Gesetzeshüterin, Kämpferin, Pilotin, Denkerin und Diplomatin wieder und wieder. Holly Short ist eine brillante Buchfigur.
Im Film ist sie eine treudoofe Idiotin, die nichts im Griff hat und von einem Fettnäpfchen ins nächste purzelt auf der Suche nach dem MacGuffin des Films. Irgendso ein Teil namens Aculos, das irgendwas irgendwie tut. Der Film ist so sehr damit beschäftigt, meist wunderschöne CGI-Landschaften und meist gelungene Set Pieces zu zeigen, dass die Scriptwriter irgendwo vergessen haben, zu erklären, was das Aculos ist, kann und warum es dich als Zuschauer interessiert. Wenn nach einer halben Stunde jede Figur mal einen Satz wie «Das Aculos ist das wichtigste der Wichtigsten, das je ge-wichtigt hat» rauslässt und du immer noch keinen Plan von irgendwas hast… irgendwann löscht es dir ab.
Während des Endkampfes, übrigens, hat sich Holly mit ihren Flügeln in einem Kronleuchter verheddert und darf nicht mitkämpfen. Holly Short ist das beste, was LEPRecon zu bieten hat.
Butler: Der Butler, dessen Geheimnis in zwei Worten gelüftet wird
Einer der nervigsten Aspekte der ersten Minuten des Films ist, dass die Stimme Mulch Diggums aus dem Off erzählt, wer wer ist und wer was warum tut. Schlimmer wäre nur ein Lauftext zu Beginn. Am härtesten trifft es da die Rolle des Butler. Eines der grössten Geheimnisse seiner Figur in den Büchern ist sein echter Name. Er ist Butler, ja, aber wie der Witz des Eoin Colfer so will, ist das auch sein Nachname. Sein Vorname ist ein Geheimnis, denn während seiner Ausbildung zum wohl besten Bodyguard der Welt hat ihn gelehrt, dass er seinem Klienten niemals seinen vollen Namen verraten dürfe. Grund: Das könnte Nähe und emotionale Verstrickungen mit sich bringen.
Mulch Diggums aus dem Off plappert fröhlich drauf los und lässt die Weltöffentlichkeit wissen, wie Butler mit vollem Namen heisst.
Butler in den Büchern ist mehr Naturgewalt als Mensch. Wenn da ein wilder Troll, drei Meter gross, mehrere hundert Kilo schwer, zähnefletschend, bewaffnet und mit Mordgedanken in Fowl Manor steht, dann stellt sich ihm Butler entgegen. Ohne zu zögern und ohne Waffen. Sein einziger Gedanke: «Keine Ahnung, was das Viech da ist, aber es hat einen richtig schlechten Tag vor sich». Butler ist das, wovor die Angst Angst hat.
Schauspieler Nonso Anozie kann kein Vorwurf gemacht werden. Sein Butler versucht, so beeindruckend wie der blasse Hüne aus den Büchern zu sein. Das Script erlaubt es ihm nicht, irgendetwas ausser der zu sein, der auf Dinge zeigt und sagt «Oh, das ist ein Magitropilux, ein magisches Objekt, das gerade für den Plot nötig ist.». Wozu braucht ein Bub, der Laserwaffen der Elfen so gut beherrscht wie ein Hoverboard, einen Bodyguard?
Das Buch war besser, aber…
Leser sagen bei praktisch jeder Verfilmung eines Romans «Das Buch war besser». Das stimmt auch meist, mit einigen grossen Ausnahmen wie Nick Hornbys «High Fidelity» oder Paul Verhoevens «Starship Troopers». Meist aber könnte der Satz so weitergeführt werden «Das Buch war besser, aber der Film war okay».
«Artemis Fowl» war ist weder gut noch okay. Der Film ist eine lieblos zusammengeschusterte, fantastisch schlecht geschnittene Beleidigung all dessen, was Eoin Colfer im Laufe von sieben Büchern aufgebaut und ausgeführt hat. Kernkonzepte werden einfach mal schnell so verändert, weil Disney wohl das Mandat erlassen hat, dass ein Titelheld keinerlei Antipathien im Publikum erzeugen darf. Muss das sein? Sind wir nicht in der Lage, eine geschickt konstruierte Geschichte eines bösen Buben auf einer Mission zu ertragen? Können wir es nicht ertragen, wenn eine Figur am Ende des Films etwas gelernt hat und nicht mehr der ist, der er zu Beginn war?
Die Schauspieler wären allesamt irgendwo zwischen okay und gut. Judi Dench ist legendär, hat sich aber mit diesem Film und «Cats» nachhaltig karrieretechnisch ins Knie geschossen. Die arme Frau. Aber das Script erlaubt es nicht, dass irgendwer seiner Figur Tiefe geben kann. Ferdia Shaws Artemis kann zu Beginn kurz Emotionen zeigen – etwas, das Buch-Artemis nicht tun würde – ist dann aber nachher stoisch und spricht nur in Exposition, genau wie alle anderen Figuren. Wo ist die miese Laune des Root? Wo ist die Verbissenheit der Holly Short? Wo ist die Sorge um und Abneigung gegenüber seinem Schützling des Butler?
Die Story ist schlecht. Da gibt es kein anderes Wort dafür. Denn mit 125 Millionen hat Disney in diesen Film investiert. 125 Millionen US-Dollar hat sich Disney diesen Nicht-Spass kosten lassen. Das siehst du. Die Special Effects sind schön, die Kampfszenen gut choreografiert, aber der Film sinnlos und fad. Irgendwo kommt dann die Szene, wo Mulch Diggums einen Tunnel in den zweiten Stock des Fowl'schen Herrenhauses gräbt. Grabungen finden ja traditionell immer hoch über dem Boden statt.
Niemand hat «Artemis Fowl», den Film, geliebt. Alle haben das finanzielle Potenzial des Films geliebt, das bestehende Fandom, das Franchise-Potenzial. Doch den wichtigen Elementen des Films, der Story und den Charakteren, hat keiner Sorge getragen.
Der Film ist eine Katastrophe.
Schau ihn dir nicht an.
Bah.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.