Auf die Grösse kommt’s eben doch an – zumindest beim Kondom
Wir kaufen Hosen, Schuhe und T-Shirts in der richtigen Grösse, um uns wohlzufühlen. Kondome aber gibt’s oft nur in Standardgrössen. Die sitzen bei vielen nicht richtig und beeinflussen die Qualität des Sex. Sogenannte Grössenkondome schaffen Abhilfe, sind aber längst nicht überall zu finden.
«Das fühlt sich nicht gleich gut an.» oder «Mit Kondom mag ich nicht.» Solche und andere Aussagen habe nicht nur ich oft gehört, sondern auch viele meiner Freundinnen. Kondome seien Liebestöter: Der Akt müsse unterbrochen werden, die Leidenschaft bleibe auf der Strecke, das Empfinden sei nicht gleich intensiv. Insgeheim habe ich diese «Jammerei» lange nicht ganz ernst genommen, sondern als Schwierigtuerei oder Ausrede abgetan.
Aber auch für mich war die Lösung nicht perfekt. Der Akt fühlte sich nach dem Überziehen oft verkopft und verkrampft an. Das Unbehagen der Männer übertrug sich auch auf mich. Dieselbe Erfahrung haben auch meine Freundinnen gemacht. Viele griffen daher zur hormonellen Verhütung. Das schien einfacher – zumindest vorläufig. Durch das Absetzen der Pille während längerer Single-Phasen zementierte sich der schon vorher dagewesene Verdacht: Ohne Pille geht’s uns besser, physisch wie auch psychisch. Doch womit verhüten wir jetzt?
Etliche Versuche mit Nuvaring, Spirale und Temperaturmessung später, macht sich in meinem Umfeld Ernüchterung breit. Keine Lösung ist befriedigend. Der Nuvaring führt zu vaginaler Trockenheit. Die Spirale tut vor allem während der Menstruation weh.Bei der Temperaturmessung werden durch Unstrukturiertheit des Tagesablaufs so viele Tage als riskant eingestuft, dass trotzdem dauernd zum Kondom gegriffen werden muss. Warum denn nicht gleich nur mit Kondom?
Es gibt mehr als Erdbeerduft
Durch Recherche im Internet und Gespräche stosse ich auf Kondommarken, die ein Spektrum an Grössen und Formen anbieten. Dabei ist der Umfang des erigierten Penisses entscheidend, der dann die Breite des Kondoms definiert. Die Länge ist egal. Freundinnen und ihre Partner, die schon früher darauf aufmerksam wurden, schwärmen von besserem Sex: Das Kondom wird nicht mehr als störend empfunden. Wie eine Hose, die richtig sitzt und nirgends zwickt oder rutscht. Online, in Sex-Shops und in spezialisierten Läden wie der Condomeria im Zürcher Niederdorf gibt’s solche Grössenkondome.
In Supermärkten und Drogerien dagegen spielt die Grösse keine Rolle. Die grossen und bekjannten Hersteller werben mit Erdbeerduft und Noppen. Produkte in verschiedenen Grössen werden eher stiefmütterlich behandelt. Wenn überhaupt, wird zwischen klein, normal und XL unterschieden.
Laut dem Marktforschungsinstitut Nielsen greifen noch immer 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung während des Einkaufs im Detailhandel oder in der Drogerie zum Kondom. Dort, wo die grossen Hersteller mit Standardgrössen Platzhirsch sind. Es ist also nicht verwunderlich, dass nicht nur ich, sondern auch andere keine Ahnung von der Wichtigkeit der richtigen Breite hatten oder noch immer haben.
Lieber gross kommentieren
Online hingegen laufen die Kondome in verschiedenen Grössen laut Jan Vinzens Krause in den meisten Ländern super. Krause brachte 2008 mit My.Size die ersten Grössenkondome Europas auf den Markt. Unterdessen führt er seine Idee mit Mister Size weiter. Sieben Kondomgrössen zwischen 47 bis 69 Millimetern Breite werden angeboten, welche 98 Prozent der einzuhüllenden Penisse abdecken sollen. Auch im Galaxus-Shop gibt’s die Grössenkondome und die Bewertungen lassen darauf schliessen, dass die User ähnlich begeistert sind wie mein Umfeld. «Endlich sorgenloser Verkehr» und «Die besten Kondome, die ich je hatte» steht da zum Beispiel.
Auch Krause sagt, dass sich die falsche Grösse klar auf das Wohlbefinden und Empfinden des Mannes auswirkt. «Zu kleine Kondome üben Druck auf den Penis aus, was zu Taubheit oder Erektionsstörungen führen kann. Zu grosse wiederum gewähren den Schutz nicht richtig, da sie abrutschen können.» Um herauszufinden, welche die passende Grösse ist, gibt’s bei Mister Size ein Massband zum Ausdrucken oder einen Grössenmesser zum Bestellen.
Liegt’s an der DIN-Norm?
Eine Frage aber bleibt: Warum machen das längst nicht alle, wenn das Feedback doch so positiv ausfällt? Auf Nachfrage scheint die passende Kondomgrösse bei Durex, dem Marktführer in Sachen Kondome, durchaus ein Thema zu sein. «Die richtige Größe des Kondoms spielt hierbei eine wichtige Rolle und wirkt sich auf die Empfindsamkeit, das Gefühl und den Spaß beim Sex aus: Ein zu kleines Kondom fühlt sich zu eng an, während ein zu großes Kondom möglicherweise abrutscht und eine ungewollte Unterbrechung herbeiführt.» Wenn man sich aber das Sortiment genauer anschaut, fällt auf, dass es nur drei Kategorien gibt: schlank, gross und extragross. Und zum Teil unterscheiden die sich nicht einmal wahnsinnig in der Breite. So hat ein grosses Kondom von Durex eine Breite von 56 Millimetern, die Variante XXL eine von 57 Millimetern. Immerhin lässt sich online nach Grösse filtern und auch auf den Packungen selbst ist sie unterdessen ersichtlich. Muss sie auch sein, seit 2002 die EN ISO 4074 Normierung eingeführt wurde.
Die Norm davor, die es zwischen 1996 und 2002 in Europa gab, besagte noch andere Dinge. Die DIN EN 600 regelte neben dem Testverfahren nämlich auch die Breite der Kondome. Und die durfte nur zwischen 4,4 und 5,6 Zentimetern liegen – +/- 2 Millimeter Standardabweichung. Laut Beuth Verlag, der unter anderem nationale und internationale Normen vertreibt, hatten Kondome in Europa damals üblicherweise eine Nennbreite von 52 Millimetern. Eine von kondomberater.de durchgeführte Studie mit 2500 europäischen Männern aus dem Jahr 2004 kam zum Schluss, dass diese Standardgrösse für 82 Prozent der Männer nicht optimal ist.
Kondome sind ja dehnbar
Mit der EN ISO 4074 wurde die Breitenbeschränkung aufgehoben, um mehr Spielraum bei der Normierung der Grösse zu erreichen. Verständlich also, dass das mit Grössenkondomen bis 2002 etwas schwierig war, seitdem aber sind Kondome in allen Breiten möglich. Trotzdem scheinen die grossen Hersteller nicht wirklich Gebrauch davon zu machen. Die 52 Millimeter werden noch immer als Standard gehandelt.
Es scheint eine gewisse Skepsis gegenüber der Notwendigkeit der Grössenkondome zu herrschen. «Als ich 2001 meinen ersten Online-Kondomgrössenberater programmiert habe, bin ich mit den Ergebnissen zu drei grossen Herstellern in Deutschland. Keiner wollte etwas davon hören. Kondome seien ja dehnbar, so viele verschiedene Grössen seien unnötig. Das ist jetzt 20 Jahre her, viel geändert hat sich daran leider nicht. Wahrscheinlich auch, weil das Thema Penisgrösse und generell Sexualität noch immer oft tabuisiert wird und die Entwicklung in vielen Köpfen deshalb nur schleichend voran geht», sagt Krause dazu.
Warum sind nicht immerhin die Grössenkondome, die es gibt, im stationären Handel zu finden? «Die Regale in Drogerien sind hart umkämpft. Trotzdem waren wir mit My.Size vor einiger Zeit etwa 1,5 Jahre in einer österreichischen und norddeutschen Drogeriekette vertreten. Bis ein grosser Kondomhersteller ein paar Millionen in die Hand nahm und die Regale sozusagen von uns frei kaufte», sagt Krause. Momentan sei er aber wieder dabei, in den stationären Handel zu kommen. Rückenwind für die Idee mit den Grössenkondomen gibt's von Sexualberatungsstellen wie ProFamilia, die längst selbst Grössenmesser anbieten und darauf auf das passende Kondom hinweisen. Auch die Schweizer Aidshilfe klärt die Menschen über die Wichtigkeit der richtigen Kondomgrösse auf, zum Beispiel auf der Seite drgay.ch.
Auf Anfrage sagt der Kundendienst von Ceylor, einem grossen Schweizer Kondomhersteller, wie wichtig die richtige Passform eines Kondoms ist. Im gleichen Mail verweist er dann aber unter anderem auf die FAQs. Bei der Frage «Wie finde ich das passende Kondom?» steht: «Im Ceylor-Sortiment findest du verschiedene Modelle in Standardgrösse. Dank dem hochelastischen Latex-Material sollten die meisten von euch damit zurechtkommen.»
Das mit der Dehnbarkeit ist noch immer ein Argument. Bis vor Kurzem war es auch meines. Wenn ich ein Kondom zu einem riesigen Luftballon aufblasen kann, dann passt es auch über deinen Penis. Aber es legt sich in einer zu kleinen Grösse eben auch ganz eng darum. Das ist wie beim Textil Elasthan: Nur weil es unfassbar dehnbar ist, sitzt es nachher nicht locker am Körper. Ist es zu eng, zeichnet es sich an jedem Pölsterchen ab und fühlt sich nach Presswurst an. Also miss das nächste Mal doch kurz nach ;)
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.