HAG Capisco 8106 PATINA
Die unbequeme Wahrheit: Capisco ist der bessere Bürostuhl
Mit «Capisco 8106» von Håg schwinge ich mich in den Sattel und bewege mich hin und her wie auf einem Pferd. Denn der Bürostuhl ist vom Reitersitz inspiriert. Warum ihn das ergonomischer und besser als herkömmliche Modelle macht, weiss ich seit meinem dreiwöchigen Praxistest.
Eigentlich finde ich Bürostühle hässlich. Es gibt kein Modell, das es jemals in mein Zuhause, aufs Pinterest-Board oder ins Herz geschafft hat. Trotzdem möchte ich meinen Arbeitsplatz ergonomisch gestalten und ein für alle Mal mit dem ungesunden Beineübereinanderschlagen aufhören. Da ich einen Gymnastikball noch hässlicher als einen Bürostuhl finde, habe ich mich für die über dreissig Jahre alte Designikone Capisco 8106 der Marke Håg entschieden. Für mich ein «Point of no return».
Er ist der einzige Bürostuhl, der nicht klobig ist und dank seiner Kurven einladend auf mich wirkt. Obendrein soll er mich, wie kaum ein anderer, auf Trab halten. Sein Designer, Peter Opsvik, ist nämlich der Meinung, dass «jede Haltung nach zehn Minuten falsch ist» und auch Studien belegen, dass langes Sitzen krank machen kann. Capisco bietet mehrere Wege an, um Bewegung zu fördern. Ob das gelingt, probiere ich drei Wochen lang aus. Die Firma Flokk, die unter anderem auch Bürostühle von der Marke Giroflex vertreibt, stellt mir dazu ein Modell zur Verfügung.
Da ich (noch) keine Rückenbeschwerden habe und künftig keine haben möchte, beurteile ich in diesem Bericht das ergonomische Design und welche Auswirkungen es auf meinen Arbeitsalltag hat. In der Hoffnung, dass ich mit dem Stuhl den gesunden Rücken behalte. Vor einigen Monaten habe ich bereits damit angefangen, mein Homeoffice-Set-up gemäss Suva-Empfehlungen zu gestalten. Als Erstes habe ich mir den Tischaufsatz «Upstaa» für das gelegentliche Arbeiten im Stehen zugelegt.
Weil ich einige Aufgaben nach wie vor besser im Sitzen bewältige, kam später der Schreibtisch «Journal» dazu. Jetzt sitze ich zwar nicht mehr am Esstisch, aber immer noch auf dem Esszimmerstuhl, der alles andere als ergonomisch ist.
Zusammenbau und erster Eindruck
Capisco kommt kompakt und nur mit dem nötigsten Verpackungsmaterial an: einem grossen Karton und Schutzhüllen für die Einzelteile. Um ihn zusammenzubauen, muss ich lediglich die Rückenlehne an der Sitzfläche befestigen. Dazu lege ich den Sitz umgekehrt auf den Tisch und verwende das mitgelieferte Werkzeug. Dabei fällt mir auf, was mit Sattel gemeint ist: In der Mitte des Sitzes gibt es eine Erhöhung.
Laut Popeye-Zeichnung braucht das Zusammenschrauben viel Kraft. Ich habe es aber auch ohne Spinat geschafft. Nach weniger als fünf Minuten kehre ich den «Sattel» um, setze ihn auf das Aluminiumfusskreuz mit Auflageflächen und schwinge mich hinein. Welche Möglichkeiten ich dann habe, mich darin zu bewegen, erklären mir eine zusätzliche Broschüre oder dieses Video.
Capiscos Funktionalität übersteigt die eines herkömmlichen Modells, das ich aus dem Büro kenne. Ich kann mit ihm die Sitzhöhe, die Sitztiefe, die Rückenlehnenhöhe und Sitzneigung nach hinten arretieren. Nicht nur die Lehne wippt mit, sondern auch die Armstützen können hin und her wackeln. Sie sind so positioniert, dass ich die Arme beim Arbeiten mit der Maus frei bewegen und in Ruhephasen abstützen kann. Die Rückenlehne ist nicht flach wie die meisten, sondern so geformt, dass sie die natürliche Kurve der Wirbelsäule unterstützen soll. Damit das gelingt, passe ich die Höhe auf meine Körpergrösse durch den Drehknopf auf der Rückseite an. Du kannst zum Stuhl bei Bedarf aber auch eine Kopfstütze hinzufügen. Für ein Stehpult lässt er sich in der Höhe verlängern. Dazu ist eine Zwischenebene zum Aufstellen der Füsse namens «Stepup» erhältlich.
Auch in Sachen Optik ist Capisco mit seinen eleganten Linien den wuchtigen Standard-Bürosesseln einige Pferdestärken voraus. Seine helle Farbgebung sowie die filigrane Form schlagen in meinem Zuhause die Brücke zwischen Wohn- und Arbeitswelt. Die weissen Beine sorgen für einen weichen Übergang zum Boden und seine Grösse ist zurückhaltend. Je nachdem wie hoch dein Tisch ist, kannst du den Stuhl mit der Rückenlehne auf niedrigster Stufe platzsparend darunter schieben. So nimmt der Stuhl mit 75 Zentimeter bis zur Armlehne kaum mehr Platz als ein Esszimmerstuhl ein.
Ein Stuhl, viele Positionen
Die Sattelform fühlt sich ungewohnt, aber nicht unbequem an. Durch sie ist es fast unmöglich, die Beine zu überkreuzen. Auch wenn ich es aus Routine versuche, verharre ich keine zehn Minuten in dieser Position. Das ist auch gut so. Auf diese Weise verfalle ich nicht in alte Muster zurück. Und die Reiterhaltung ist nur eine von vielen, die mir ermöglicht wird. Ich kann entweder aktiv vorne an der Spitze oder bequem hinten sitzen. Oder ich sitze zusammen mit meinem Tischaufsatz halb stehend, seitlich oder rückwärtig – mit der Rückenlehne vor der Brust. Hierbei muss ich nur beachten, die Notbremse auf der rechten Seite des Sitzes zu ziehen. Sie verhindert, dass ich schaukle und so nach vorne kippe.
Eine weitere Haltung ist, mich seitlich auf die Lehne mit den Armen zu stützen. Ob rechts oder links spielt dabei keine Rolle. Auf der höchsten Stufe nutze ich Capisco als Barhocker in Kombination mit meinem Tischaufsatz Upstaa. Die Füsse lege ich für mehr Halt auf den Stützen ab, die mit silbernen Aluminiumstreifen versehen sind. Ein schlaues Highlight, weil die Rillen das Abrutschen verhindern – egal, ob mit Socken oder Hausschuhen. Gleichzeitig sind sie aber für schusselige Leute wie mich nicht ganz ohne. Es tut weh, wenn du mit dem Knöchel gegen den Metallfuss stösst. Spätestens nach der dritten Unachtsamkeit hat mich Capisco erzogen. Hastige Bewegungen lasse ich bleiben. Alternativ gäbe es das Fusskreuz aus Kunststoff, was wohl weniger schmerzt, aber auch weniger Stabilität bietet.
Neue Muster
Am Anfang haben mich die Optionen zum Sitzen überfordert. Meinen Rücken auch. Er macht sich in den ersten Tagen bemerkbar. Das mag auch daran liegen, dass ich jetzt noch mehr darauf achte, meinen Rumpf beim Krafttraining zu stärken. Mit der Zeit habe ich aber den Dreh raus und meine Muskulatur scheint sich an die neue Aktivität gewöhnt zu haben. Für jede Aufgabe bevorzugte ich eine andere Position. Zum Lesen sitze ich am liebsten mit der Lehne vor meiner Brust, zum Schreiben und Redigieren im Reitersitz und für Meetings mit der seitlichen Lehne. Die Barhocker-Funktion nutze ich mit dem Tischaufsatz vorwiegend im Esszimmer. Die Abwechslung tut mir im Homeoffice-Alltag gut, weil mich der Haltungs- und Ortswechsel innerhalb der Wohnung wach hält. Mit der Zeit finde ich zum Lesen oder etwas Anschauen sogar manchmal Gefallen an einer Haltung, die vom Hersteller mit Sicherheit nicht geplant war: Ich drehe die Lehne um 180 Grad, verstelle die Sitztiefe und lege die Beine auf die Armstützen, aber nur für kurze Zeit!
Recycling-Material
Håg geht in Sachen Ergonomie und Nachhaltigkeit mit gutem Vorbild voran. Der Stuhl besteht vorwiegend aus recycelten Materialien, alle Komponenten lassen sich recyceln und sind auf ein Minimum reduziert. Was beim ersten Entwurf der Rückenlehne noch neunzehn Teile waren, sind heute nur noch sechs. Ausserdem ist die Armlehne Teil der Rückenlehne. Deshalb braucht es auch hier keinen Klebstoff oder zusätzlich Verbindungsstücke. Und sollte einmal etwas sein, bietet der Hersteller vor Ort einen Wartungsservice an.
Mein Testmodell besteht aus einem Stoff namens Gabriel. Das soll laut Hersteller ein klassischer gewebter Möbelstoff mit Stretch sein, der strapazierfähig ist. Da ich den Stuhl lediglich drei Wochen beanspruche, kann ich das nicht bewerten. Was ich weiss, ist, dass der Stoffbezug angenehm weich und wasserabweisend ist. Als ich aus Versehen Wasser verschütte, perlt dieses an der Oberfläche ab. Noch pflegeleichter und günstiger sind die Versionen Capisco Puls 8010 und 8001. Sie bestehen aus Kunststoff. Wer sich eine elegantere Lösung wünscht, wählt Capisco 8106 aus Leder.
Fazit: Mehr Bewegungsfreiheit tut mir und meinem Rücken gut
Sei dir bewusst, dass du mit Capisco einen «Point of no return» erleben könntest. Ich habe das Zappel-Phillipp-Dasein entdeckt und mich bereits nach einem Tag gefragt, wie ich vorher so starr rumhocken konnte. Der bewegliche Bürostuhl hält mich wie versprochen auf Trab und unterstützt mich dabei, meinen Oberkörper aufrecht zu halten. Er ist jedoch zu Beginn auch anstrengend, weil du nicht mehr herumlümmeln kannst und den Stuhl bewusst einsetzen musst. So holst du das Meiste aus seinen Ergonomie-Features heraus. Meine Rücken- und Bauchmuskulatur gewöhnt sich aber schnell an das Sitzen ohne Lehne. Kurze Pausen mit Capisco an meinem höhenverstellbaren Arbeitsplatz tragen dazu bei, dass ich noch mehr im Stehen arbeite. Im Vergleich zum aktuellen Bestseller von Giroflex im Galaxus Sortiment ist Capisco 8106 mehr als doppelt so teuer. Dafür macht er unter anderem das rückwärtige Sitzen möglich, bei dem meine Hüftgelenkwinkel geöffnet sind und sich die Muskeln entspannen können. Ein Effekt, den die günstigere Variante Capisco Puls 8010 auch bietet. Die grösste Überraschung ist aber, welchen Schwung der Bürostuhl ins Daily-Business bringt. Für jede Aufgabe habe ich eine neue Sitzposition und lege endlich alte Muster ab: nie mehr Beine übereinanderschlagen!
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.