eSIM: das Smartphone am Handgelenk
Hat deine Smartwatch eine eSIM, wird sie zum Handy. Mühelos telefonieren, Nachrichten schreiben und Einkäufe bezahlen? Eine Woche mit der Apple Watch als iPhone-Ersatz.
«Es wäre schön, das Smartphone zu Hause zu lassen und trotzdem erreichbar zu sein.» Immer wieder schiesst mir dieser Gedanke durch den Kopf. Ich bin der Ansicht, dass das heutzutage problemlos möglich sein sollte. Einige Smartwatches der neuesten Generation verfügen bereits über eine sogenannte eSIM und sollen das Smartphone praktisch überflüssig machen. So lautet zumindest die Theorie – das will ich ausprobieren.
Apple Milanaise Armband
44 mm, Edelstahl, Apple Watch Series 4, Apple Watch Series 5, Apple Watch Series 6, Apple Watch SE
Apropos Theorie: Die eSIM ist eine eingebaute SIM-Karte – das «e» steht für embedded. Das heisst, du brauchst keine Micro-, Mini- oder Nano-SIM-Karte ins Gerät einzulegen, wie dies bei Smartphones der Fall ist – obschon einige neuere Mobiltelefone die eSIM ebenfalls bereits integriert haben. Die SIM ist in der Watch selbst verbaut. Die Technologie existiert seit fast vier Jahren, hat sich aber noch nicht wirklich durchgesetzt.
Probieren geht über Studieren
Mein Smartwatch-Abenteuer beginnt mit einem absoluten Novum: Ich gehe das allererste Mal ein Manual eines meiner Gadgets Schritt für Schritt durch. Ja, du hast richtig gelesen: Ich studiere die Bedienungsanleitung. Ich will vorbereitet sein und keine voreiligen Schlüsse ziehen. Dann ist Ausprobieren angesagt. Nach einem kurzen Probelauf mit Herumdrücken und -spielen am Weekend starte ich den eigentlichen Test am Montag und ziehe ihn eine Arbeitswoche lang durch.
Weil WhatsApp auf der Apple Watch nur teilweise supported wird, melde ich meinen wichtigsten Kontakten am Vorabend, dass ich diese Woche zwar auf ihre Nachrichten antworten, aber keine eigenen senden kann. Falls etwas Dringendes sein sollte, würde ich mich via SMS beziehungsweise iMessage melden, denn das kann die Smartwatch.
Montagmorgen, 5:17 Uhr
Ich lasse mich mit dem Wecker der smarten Uhr wecken. Okay, normalerweise wache ich ohne Alarm auf, aber zu Testzwecken habe ich den Wecker gestellt. Ein nettes Feature der Apple Watch: Ein paar Minuten vor dem eigentlichen Alarm schaltet sich das Display ein und wird bis zum Weckzeitpunkt immer heller. Danach erklingt der Apple-übliche Weckton.
Um in die Gänge zu kommen, brauche ich ein Glas Mineralwasser. Der Weg zum Kühlschrank am frühen Morgen ist bei Dunkelheit kein leichter. Ich sehe, dass die Philips-Hue-App auf meiner Watch läuft und schalte als Wegweiser mein TV-Lampen-Setting ein. Natürlich ist dieses Feature kein Must-have, aber nice ist es alleweil. Dann ein schneller Blick auf die Wetter-App, ob’s heute kurze oder lange Hosen braucht. Nach einem letzten Check der aktuellsten Sportresultate bin ich ready für den ersten Arbeitstag ohne Handy. Bis jetzt habe ich mein Smartphone nicht angerührt. Das klappt schon ganz ordentlich.
Auf dem Weg zur Arbeit stelle ich mit Schrecken fest, dass Spotify zwar als Drittanbieter-App auf der Watch läuft, aber nicht ohne iPhone in der Nähe. Der hauseigene Apple-Musikdienst hingegen soll funktionieren, den nutze ich jedoch nicht. Das wird eine schwierige Woche, merke ich. Meine AirPods verschwinden lautlos wieder in ihrer Ladebox.
Dafür gibt’s Abzug, denn ohne Musik beim Pendeln bin ich ein anderer Zeitgenosse – kein angenehmer, muss ich gestehen. Apple verspricht mit watchOS 6 im Herbst Besserung, was die Unabhängigkeit der Watch angeht. Ich hoffe, WhatsApp und Spotify werden davon profitieren.
Dienstagmorgen, 8:30 Uhr
Die Glocke am Kirchturm in der Ferne schlägt ein zweites Mal, um die halbe Stunde zu signalisieren, während ich genüsslich in mein Schoggibrötchen beisse. Doch das war’s auch schon mit Ruhe und Gemütlichkeit: Die Uhr vibriert. Es ist eine SMS von meinem Vater, der mich um Hilfe bei einem PC-Problem bittet. Ich antworte auf der Watch, indem ich Siri die Nachricht diktiere. Da mein Vater Schweizerdeutsch in einer Textnachricht nicht versteht, ist es kein Problem, dass auch die Apple-Lady aus Cupertino keinen Dialekt spricht und die Message in Hochdeutsch verfasst.
Die Gegenfrage meines Vaters kann ich selbst auf dem grösseren iPhone-Display und mit In-Screen-Tastatur nicht beantworten. Also rufe ich ihn an. Die Qualität des Anrufs überrascht nicht nur mich, sondern auch ihn, als ich ihm erzähle, dass wir über die Watch kommunizieren – ohne Telefon, ohne Kopfhörer.
Nachdem der PC meines Vaters wieder einwandfrei läuft, widme ich mich abermals meinem Pausenbrötchen. Dieses habe ich übrigens mit der Apple Watch bezahlt. Das ist zwar nicht neu und Apple-exklusiv, da ich bisher aber immer mit der Karte kontaktlos bezahlt habe, ist es neu für mich.
Da auch die Watch über eine solche Bezahlfunktion verfügt, meine Visa und die PostFinance dies jedoch nicht unterstützen, besorge ich mir eine kostenlose Revolut-Kreditkarte. Damit bezahle ich nun überall mit der Smartwatch. Die digitale Kreditkarte wird im Wallet abgelegt. Ich kann das Wallet auf der Apple Watch auch für Flug- oder Hoteltickets nutzen – schon wieder ein Griff zum Handy gespart.
Mittwochabend, 17:13 Uhr
Nach getaner Arbeit ist für mich noch nicht Feierabend. Ich schiebe eine kurze Trainingssession mit anschliessender Abkühlung in der Badi ein, bevor ich mich auf die Couch pflanze. Zu Hause angekommen, lade ich meine Freitag-Tasche ab, ziehe mich um und... renne einfach los. Bisher musste ich immer erst das Telefon verstauen, etwas Kleingeld einpacken und meine Armbanduhr auf die Garmin Forerunner 735XT wechseln. Doch dank eSIM und Apple Watch habe ich alles dabei: Handy, Geldbeutel und Trainingstracker.
Nach 45 Minuten habe ich eine lockere Runde gedreht und treffe im Freibad ein. Den Eintritt bezahle ich kontaktlos, wie auch später die Glacé zur Belohnung. Spasseshalber – und um die Watch etwas zu fordern – entscheide ich mich dazu, auch noch einige Längen im 25-Meter-Becken zu schwimmen. Die Uhr bleibt dabei selbstverständlich am Handgelenk, denn sie ist wasserdicht.
Sobald ich das Schwimmtraining starte, stellt die Apple Watch den speziellen Wasser-Modus ein, welcher das Eindringen von Feuchtigkeit durch Vibrationen aus den zwei eingebauten Lautsprechern verhindern soll. Auch ohne diesen Modus ist die Uhr wasserdicht. Wiederum ein tolles Feature, aber kein Must-have.
Donnerstagnachmittag, 14:45 Uhr
Die Woche neigt sich langsam dem Ende zu, meine Motivation ebenfalls – der richtige Zeitpunkt für etwas aufbauende Musik. Meine Spotify-Playlist gibt mir den nötigen Kick, sodass ich es bis zum Feierabend ohne grössere Zwischenfälle schaffe. Fun fact: Mir fällt auf, dass ich den Spotify-Player auch via Apple Watch steuern könnte. Was zwar originell ist, aber nicht wirklich viel Sinn macht, da ich sowieso am Notebook arbeite, auf welchem ich Spotify nutze.
Nachdem ich wieder eine Zugfahrt ohne musikalische Untermalung über mich ergehen lassen muss, poppt beim Aussteigen die Erinnerung auf, dass ich noch zwei, drei Dinge einzukaufen habe. Die Migros-App ist übrigens inklusive Einkaufsliste mit der Apple Watch kompatibel, das Coop-Pendant zeigt dir hingegen nur den Supercard-Code an. Auch die Erinnerungs-App, die du auf dem iPhone findest, synchronisiert sich mit der Watch und listet dir all deine To-Dos auf.
Zurück in meinen eigenen vier Wänden, muss ich den Musikentzug dieser Woche nachholen. Dazu entstaube ich mein iPhone, welches nun schon seit vier Tagen unberührt am Ladekabel hängt. Ich verbinde es mit dem WiFi, starte die Sonos-App, drehe die Lautstärke auf und lasse mich vom Sound in meine eigene Welt entführen.
Genau zwei Songs geniesse ich, bevor die Uhr am Handgelenk vibriert: Eine weitere Erinnerung teilt mir mit, dass ich heute Abend noch ins Unihockeytraining darf. Beim Blick auf die intelligente Armbanduhr realisiere ich, dass ich auch meinen Sonos-Player via Watch steuern kann. Cool! So bleibt mein iPhone weiterhin an jenem Platz, an den ich es am Montag zu Beginn des Tests gelegt habe.
Freitagvormittag, 09:59 Uhr
Den letzten Arbeitstag der Woche starte ich gemütlich. Bald schon ist es geschafft und ich habe eine Woche ohne smartes Phone, dafür mit einem fast so klugen Zeitmesser überstanden. Zugegeben, ich übertreibe. Denn bisher war es eine äusserst angenehme Woche. Alles mit einer Smartwatch zu machen, beeindruckt mich. Ich begutachte das kleine Technikwunder. Als ich auf die Watch blicke, zeigt mir ein Schriftzug über dem digitalen Zifferblatt, dass es Zeit fürs Brainstorming ist. Mist, das Notebook habe ich bereits gesperrt und vergessen nachzuschauen, in welchen Sitzungsraum ich muss. Nur einen Smartwatch-Klick später weiss ich, dass mich mein Team im «Dr. Sanity Affaire» erwartet.
Zum Lunch treffe ich einen Kollegen aus der Studienzeit. Er hat im Moudi reserviert. Ich kenne das Lokal, war auch schon mal dort, kann mich aber nicht mehr an die exakte Adresse erinnern. Ich greife in meine Hosentasche und merke, dass mein iPhone zu Hause liegt. Als mir bereits die ersten Fluchworte über die Lippen huschen, kommt mir die Smartwatch in den Sinn. Karten-App starten, Adresse eingeben und schon beginnt die Navigation. Wow! Ich, «Mister Orientierungslos» höchstpersönlich, bin begeistert.
Beim anschliessenden Mittagessen fällt mir ein Minuspunkt von Smartwatches auf: Ich schaue jedes Mal – wenn auch nur ganz kurz – auf die Uhr, wenn ich eine Nachricht kriege. Mein Gegenüber fragt mich beim dritten Blick auf mein Handgelenk genervt, ob ich es eilig hätte. Die durchaus als unhöflich aufzufassende Geste wird mir erst jetzt bewusst .
Der Freitagnachmittag bedeutet das Ende der Testphase. Beinahe, denn da auch Fashion-Queen und Redaktionskollegin Vanessa die eSIM-Funktion mithilfe der Apple Watch getestet hat, hat sie mich zu Beginn der Woche via Aktivitäten-App zu einer Challenge herausgefordert. Ein Schuss ins eigene Knie oder eine Kampfansage? Heute, nach einer Woche, ziehen wir Bilanz, wer mehr für seine Gesundheit getan hat. Deshalb möchte ich abschliessend folgendes Statement abgeben: Chapeau, Vanessa, du hast mich fair and square besiegt.
Fazit
Ich habe eine Woche ohne Smartphone überlebt. Das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn die Apple Watch, eine Smartwatch mit eSIM-Funktion, hat mich auf dem mobiltelefonlosen Weg begleitet. Von einem Kampf ums Überleben kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Die Smartwatch wich mir nicht von der Seite und war stets da, wenn’s brenzlig wurde. Auch wenn sie aufgrund der fehlenden WhatsApp- und Spotify-Kompatibilität mein iPhone nicht komplett ersetzen konnte, fühlte ich mich sicher und gut aufgehoben.
Hervorheben möchte ich an der Smartwatch mit eSIM, dass ich dank ihr viel weniger am Handy hing. Klar, wenn ich auf der Uhr rumdrücke, SMS verschicke und meinen Fitnesszustand checke, zählt auch das als Smartphone-Zeit. Aber vor der Apple-Watch-Woche nahm ich das Mobiltelefon viel öfter zur Hand – obwohl ich es gar nicht brauchte und «eigentlich nur die Zeit checken wollte». Aber auch Smartwatches haben keine Zauberkräfte: Ich erwischte mich dabei, wie ich auch mit der Apple Watch fünf Minuten länger auf dem Klo sass.
Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist, dass die Provider – in meinem Falle die Swisscom – einen zusätzlichen monatlichen Betrag für die eSIM verlangen. Die Karte liegt weder physisch vor, noch habe ich irgendwelche zusätzlichen Daten oder Gespräche inklusive. Es geht einzig darum, dass ich mein Abo auf einem weiteren Gerät nutzen kann. Sorry für den Kraftausdruck, aber das ist einfach nur beschissen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Smartwatches sind derzeit noch auf ihre gepairten Smartphones als Schaltzentrale angewiesen. Deshalb warte ich mit dem Kauf einer Apple Watch noch zu. Doch bald schon dürften die cleveren Armbanduhren als Stand-Alone-Gadget funktionieren. Ich bin gespannt, was das watchOS-6-Update diesen Herbst bringt.
Noch kann die Apple Watch mein iPhone nicht ersetzen – dank eSIM kommt sie dem Ganzen aber mit grossen Schritten gefährlich nahe.
Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben.