Gleiche Ladungen können sich gegenseitig anziehen
Eine rätselhafte Verletzung elektromagnetischer Regeln hat eine überraschende Erklärung. Wasser hilft gleichen Ladungen, sich anzuziehen. Der Effekt hat weitreichende Auswirkungen auf Chemie und Biologie.
Entgegengesetzte Ladungen ziehen sich an, gleiche Ladungen stossen sich ab – doch das gilt nicht immer. Unter bestimmten Umständen können geladene Teilchen diese Regeln brechen, fand eine Arbeitsgruppe um Madhavi Krishnan von der University of Oxford heraus. Sie brauchen dazu allerdings etwas Hilfe, wie das Team nun in der Fachzeitschrift «Nature Nanotechnology» berichtet. Teilchen, die in einer Flüssigkeit gelöst sind, können mit deren Molekülen so wechselwirken, dass sich gleiche Ladungen anziehen. Solche Effekte können sogar die Symmetrie zwischen den Ladungen brechen: Positiv geladene Teilchen ziehen sich gegenseitig an, während sich gleichzeitig negativ geladene Teilchen gegenseitig abstossen. Die Entdeckung hat weitreichende Folgen für Phänomene wie die Bildung von Kristallen oder Wechselwirkungen zwischen Proteinen.
Schon länger ist speziell in der Biologie bekannt, dass sich gleich geladene Moleküle oder gar grössere Strukturen manchmal anzuziehen scheinen. Was fehlte, war aber eine Erklärung dafür: Alle anderen Wechselwirkungen galten als zu schwach, um die Abstossung der Ladungen zu kompensieren. Um das Rätsel zu lösen, untersuchte die Arbeitsgruppe das Verhalten von negativ und positiv geladenen Nanoteilchen aus Silikat in Wasser und Ethanol. Die Erklärung für die seltsame Anziehung gleich geladener Teilchen liegt demnach im Verhalten des Wassers an der Oberfläche der Teilchen. Deren Ladungen zwingen den ebenfalls mit negativen und positiven Bereichen ausgestatteten Wassermolekülen eine bestimmte Ordnung um die geladenen Teilchen herum auf.
Wie die Arbeitsgruppe feststellt, kann die räumliche Anordnung der Teilchen immer energieärmer werden, wenn sich zwei negativ geladene Teilchen aufeinander zubewegen. Die Energie, die dadurch frei wird, ist bis zu einem gewissen Abstand grösser als die Energie, die aufgewendet werden muss, um die Abstossung der gleichen Ladungen zu überwinden. Das bedeutet: Die gleich geladenen Teilchen ziehen sich über grössere Entfernungen an. Das führt dazu, dass die negativ geladenen Nanoteilchen in Wasser durch ihre Anziehung geordnete Gruppen bilden. Positiv geladene Teilchen dagegen erfahren in Wasser keinen solchen Energiegewinn, sie stossen sich weiterhin ab.
Das ändert sich jedoch in Alkohol. Dessen Moleküle ordnen sich an Oberflächen so an, dass sie ihre positiv und negativ geladenen Bereiche entgegengesetzt zu denen des Wassers ausrichten. Entsprechend hat auch der Effekt ihrer Umordnung das umgekehrte Vorzeichen: Positive Ladungen ziehen sich gegenseitig an, negative nicht. Zusätzlich zeigt die Arbeitsgruppe, wie man die entscheidenden Kräfte und Potenziale an Oberflächen misst und vorhersagt. Der Effekt hat weitreichende Folgen für eine ganze Reihe von Fachgebieten und Anwendungen. So beeinflusst er wahrscheinlich das Verhalten vieler biologischer Strukturen, verändert die Löslichkeit von Nanoteilchen oder Chemikalien oder lässt Dinge verklumpen, die idealerweise nicht verklumpen sollten.
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Originalartikel auf Spektrum.deTitelbild: © Just_Super / Getty Images / iStock (Ausschnitt) Teilchen, die sich abstossen sollten, ziehen sich plötzlich an – lange galt das als theoretisch nicht zu erklären. Doch nun zeigt sich: Man muss nur genauer hingucken.
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