Instagram braucht kein Ministerium für Wahrheit
Meinung

Instagram braucht kein Ministerium für Wahrheit

David Lee
30.1.2020

Facebook hat die Faktenprüfung auf Instagram ausgeweitet. Es gab bereits einige kuriose Bildsperrungen, doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Idee an sich ist höchst problematisch.

Kürzlich machte mal wieder ein kleiner Aufreger die Runde. Facebook hat auf Instagram einen Fact-Checking-Mechanismus eingeführt, wie zuvor schon auf der Facebook-Plattform. Und wie zu erwarten war, hat dieses Fact Checking in einigen Fällen auf sehr lächerliche Weise versagt.

Da wäre zum Beispiel der oberschlaue Fact Checker, der uns darauf hinweist, dass dieses Bild «falsch» ist.

Ja, natürlich sehen diese Berge in echt nicht so aus. Aber das hat ja auch gar niemand behauptet. Es ist jedem klar, dass das eine Fantasielandschaft ist. Muss man das Bild deswegen gleich von der Plattform verbannen? Ist Kreativität ab sofort verboten?

Oder der Fact Checker, der uns belehrt, dass ich einen allfälligen RFID-Chip nicht los werde, indem ich das Ventil des Autoreifens durchschneide. Vielen Dank, ich hatte die Heckenschere schon bereit.

Der Prüfmechanismus funktioniert so, dass User einzelne Bilder melden können. Diese werden dann von einem externen Unternehmen überprüft. Klingt erst mal nicht schlecht, denn das bedeutet wohl, dass die Bilder tatsächlich von einem Menschen angeschaut und nicht bloss von halbschlauen Algorithmen herausgefiltert werden.

Aber Menschen versagen ebenfalls, besonders, wenn ihre Arbeit nichts kosten darf. Sie stehen dann unter extremem Zeitdruck, müssen jedes Bild innert Sekunden bewerten, und das den ganzen Tag lang. Vermutlich werden möglichst billige Arbeitskräfte dafür eingesetzt, denen für gewisse Fälle die nötige Allgemeinbildung fehlt. So wie bei den Facebook-Zensoren, die auf den Philippinen arbeiten. Eine solche Arbeitskraft würde vielleicht das berühmte Vietnamkriegs-Foto mit dem neunjährigen nackten Mädchen als Kinderpornografie einstufen und zum Verschwinden bringen. Tatsächlich hat Facebook dieses Foto gesperrt, wobei Unwissen noch die wohlwollendste Erklärung ist.

Aus dem Zusammenhang gerissen

Selbst wenn gebildete Menschen stundenlang Zeit für die Entscheidung hätten, blieben einige ihrer Entscheidungen zumindest umstritten. Denn ein Bild ist nicht per se wahr oder falsch. Es kommt auf den Kontext an. Social-Media-Plattformen würfeln in der Timeline die unterschiedlichsten Quellen mit den unterschiedlichsten Hintergründen durcheinander; der ursprüngliche Kontext geht verloren, alles wird aus dem Zusammenhang gerissen. Keine guten Voraussetzungen.

Ein ganz besonderer Kontext ist Satire. Von einem rein faktenorientierten Standpunkt aus gesehen ist Satire nichts weiter als Falschinformation. Aber es geht eben um mehr als um Fakten. Es geht darum, einen bestimmten Sachverhalt zu überzeichnen, um das Lächerliche daran für alle sichtbar zu machen. Leider ist die Realität oftmals so lächerlich und grotesk, dass sie ohne Kontext kaum noch von Satire unterschieden werden kann.

Für Instagram besonders wichtig ist ein anderer spezieller Kontext: Die Kunst. Bei der Malerei ist akzeptiert, dass etwas nichts realitätsgetreu abgebildet werden muss. Bei der Fotografie, die ebenfalls eine Kunstform sein kann, herrscht immer noch die Meinung vor, dies seien im Wesentlichen Dokumentationen der realen Welt, und alles, was davon abweicht, sei Lug und Trug. Eine engstirnige und veraltete Sichtweise, die auch schlecht zu Instagram passt, denn die Plattform ist ja selbst durch künstliche Effekte in Form von Filtersimulationen bekannt geworden.

Digitale Kunst sieht oft realistisch aus. So ist nur durch den Kontext zu entscheiden, ob es sich um ein Abbild der Realität handelt oder um ein Fantasiegebilde. Ist der Anspruch eines Fotos rein künstlerisch, rein dokumentarisch oder beides? Nur wer das weiss, kann es fair beurteilen.

Bei News und Reportagen erwarte ich, dass die Fotos nicht sinnverfremdend manipuliert sind. Ansonsten fühle ich mich hinters Licht geführt. Das gilt etwa für Bilder, die im Geo-Magazin oder im National Geographic erschienen. Die Aufregung um das manipulierte Foto der ältesten Bäume bei Nacht ist berechtigt; es ist ein schönes Bild, keine Frage, aber der Kontext im National Geographic suggeriert, dass es sich um ein dokumentarisches Bild handelt. Der Beitrag wurde dann auch entfernt.

Bild: Beth Moon
Bild: Beth Moon

Das Ministerium für Wahrheit

Nehmen wir der Einfachheit halber mal an, die Faktenprüfer würden nur dokumentarisch gemeinte Inhalte checken. Dazu haben sie zwar keinen finanziellen Anreiz, denn es ist viel leichter, dämliche Memes als falsch zu markieren als Newsbeiträge. Aber gut, nehmen wir eine Welt an, in der das funktionieren würde.

Selbst dann wäre ein Fakten-Check problematisch.

Wer sind diese Fakten-Checker? Sind sie besser als die internen Prüfer des «Spiegel», der «New York Times» oder des «Guardian»? Wohl kaum. Woher nimmt sich Facebook das Recht heraus, sich darüber zu stellen? Wer kann schon wirklich überprüfen, was Kriegsreporter berichten? Wer kann beurteilen, ob sie den Überblick haben oder nur die Froschperspektive?

Eine Armee von schlecht bezahlten Faktenprüfern, die jeden Tag Millionen von Beiträgen checken müssen, kann das sicher nicht.

Wenn es nur noch eine zentrale Instanz gibt, die bestimmt, was richtig ist und was falsch, kommen wir dann nicht der Welt von «1984» gefährlich nahe? Konzerne wie Facebook oder Alphabet haben durch ihre monopolartige Stellung eine extreme Definitionsmacht. Sie können Beiträge einfach zum Verschwinden bringen. Wird diese Macht nicht verantwortungsvoll eingesetzt, entsteht im schlimmsten Fall so etwas wie das Ministerium für Wahrheit in Orwells «1984»: Anonyme, nicht kontaktierbare Angestellte entscheiden nach undurchsichtigen Kriterien, was sichtbar ist und was nicht.

Als ob das alles nicht schon problematisch genug wäre, kommt beim Faktenprüfen noch ein psychologischer Mechanismus hinzu: Menschen glauben oft nicht das, was plausibel ist, sondern was sie glauben wollen. Das bedeutet, dass viele an ihrer Meinung festhalten, selbst wenn jedes einzelne Argument nachvollziehbar widerlegt wird. Das Fact Checking seine Wirkung verfehlt, ist ein Fakt, den ausgerechnet Faktenprüfer nicht wahrhaben wollen.

Durchschauen statt filtern

Aber was ist mit den armen Teenie-Mädchen, die sich ein überperfektes Model als Vorbild nehmen und sich damit unglücklich machen? Obwohl die Bilder auf Instagram gar nicht echt sind? Könnte Instagram ihnen nicht helfen, indem die Plattform ihnen Hinweise gibt?

Auch hier bin ich skeptisch, denn das tiefere Problem wird damit nicht gelöst. Es gibt Models, die ganz real unreal aussehen. Und auch in anderen Gebieten ist die Welt voll von unerreichbaren Vorbildern – realen und künstlichen. Ein Mensch, der erwachsen wird, muss lernen, damit umzugehen. Es ist weder möglich noch wünschenswert, alles wegzufiltern, was einen Teenager verunsichern könnte. Was es braucht, ist ein Umfeld, das einem Menschen das Gefühl gibt, als Person etwas wert zu sein, unabhängig von Leistung und Aussehen.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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