Willkommen Angst
Deutsch, Constanze Dennig, 2023
Kann die Angst vom Feind zum Freund werden? Eine Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie gibt Auskunft – und präsentiert Werkzeuge, um akute Angst in den Griff zu bekommen.
Die Angst hat uns weit gebracht. Evolutionsbiologisch betrachtet, sicherte sie das Überleben unserer Spezies. Allerdings haben sich unsere Lebensbedingungen über tausende Jahre dramatisch verändert, während unser Gehirn dasselbe geblieben ist. Jäger und Sammler? Das war einmal. Heute verbringen wir die meiste Zeit sitzend und schauend. Dadurch brauchen wir das akute Hochfahren unseres Organismus nicht mehr in dem Ausmaß wie damals, als unser Alltag noch weitaus feindlicher war.
Doch was passiert eigentlich in uns, wenn wir Angst bekommen? Es ist wichtig, zu bemerken, dass sich die «normale Angst» von der «pathologischen Angst» (unbegründet, unangemessen, stark und häufig) unterscheidet. Nicht in der Qualität, sondern in der Dauer, der Intensität und der Angemessenheit in Relation zum auslösenden Reiz und im Ausmaß des Vermeidungsverhaltens. Die im Gehirn betroffenen Areale sind in beiden Fällen dieselben, ganz egal, ob die Angst von einer realen Gefahr ausgelöst wird oder sie eine überschießende Reaktion auf einen objektiv ungefährlichen Reiz ist. Unser Organismus schaltet in solchen Situationen blitzschnell in einen erhöhten Arousalzustand, die Hirnrinde wird schwer erregt und dabei das Hormon Adrenalin ausgeschüttet.
Dieses Wissen habe ich bei Angst-Expertin «Dr. Constanze Dennig, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie» und Autorin gefunden. In ihrem aktuellen Buch «Willkommen Angst - Vom Nutzen der Furcht» skizziert sie, dass Angst auch durchaus gute Seiten hat – wenn man sie versteht und zu nutzen weiß. Anhand konkreter Beispiele wird erklärt, wie sie im Gehirn entsteht, wo der Unterschied zwischen «normaler» und pathologischer Angst liegt, welche Systeme unserer modernen Gesellschaft sie ausnutzen und befeuern – und wie man sich dem entgegenstellt. Denn das vermeintlich negative Gefühl ist in Wahrheit auch ein mächtiger Motor für Weiterentwicklung, Veränderung und Selbstakzeptanz.
Was haben die großen Genies unserer Geschichte mit den schlimmsten Despoten gemeinsam? Die Angst als einen der Motoren ihrer Entscheidungen. Denn sie kann gleichermaßen konstruktiv verarbeitet wie auch zerstörend ausgelebt werden, so die Autorin: «Die Evolution hat erfolgreich auf diese Reaktion des menschlichen Gehirns gesetzt. Angst aktiviert alle unsere körperlichen Möglichkeiten, ihrem Auslöser davonzulaufen oder ihn zu bekämpfen – also sich zu stellen.»
Praktische Beispiele, wie Angst umgewandelt werden kann, finden sich auch im Buch – darunter folgende Geschichte: «Frau M. ist Mutter zweier Schulkinder und ständig in Sorge, dass ihre Söhne auf dem Schulweg von einem Auto angefahren werden könnten. Die Kontrolle mittels GPS-Funktion auf dem Handy findet sie in den ersten Wochen sehr beruhigend: Sie starrt wie gebannt auf ihr Display, um den Weg ihrer Kinder bis zur Schule zu verfolgen. Nach einigen Wochen bemerkt sie allerdings, dass sie es immer wieder mal vergisst. Sie überprüft den Schulweg ihrer Söhne nicht mehr regelmäßig. Ihre Sorge wegen eines Autounfalls tritt immer mehr in den Hintergrund, je länger die beiden allein unterwegs sind und nichts passiert ist.» Frau M. hat sich mit ihren schlimmsten Befürchtungen konfrontiert – und dazugelernt. Sie ist heute ebenso entstresst wie ihre Kinder. Durch das Erleben, dass das gefürchtete Ereignis nicht eingetreten ist, wurde ihre Angst immer weniger und wich schließlich einer neuen Gelassenheit. Ihr Verstand hat die Kontrolle über ihre Sorgen erlangt.
Das Buch will schaffen (und tut das sicher zum Teil), woran Regalwände voll Ratgebern scheitern: Es will nicht trösten, als wären wir Kinder, sondern hebelt so manchen Irrglauben aus und lässt den Feind zum Freund werden. «Betrachtet man die normale Angst von allen Seiten, kann man summa summarum behaupten: Sie ist besser als ihr Ruf. Die Qualität von Angst erschließt sich leider immer erst im Nachhinein. Erst wenn man sie ausgestanden hat, wird man für das Ertragen und Überwinden belohnt», so Dennig dazu: «Doch wir sind ihr nicht hilflos ausgeliefert. Auch im Umgang mit diesem primär unangenehmen Gefühl hilft einerseits das Wissen darüber, andererseits rationale Methoden zur Bekämpfung.»
Kleine Ideen können im Umgang mit Angst wirksamer sein als komplizierte, aufwendige Strategien. Wir haben einige Tricks der Angst-Expertin für euch zusammengefasst:
Auspowern hilft: Die Umwandlung und Reduzierung der vegetativen Reaktion durch «Anstrengung, Sport und körperliche Arbeit» funktioniert verlässlich.
Dreht sich das Gedanken-Karussell? Die Ablenkung des Gehirns vom Grübeln klappt nicht nur körperlich, sondern auch z.B. durch das Erstellen einer To-do-Liste zur Lösung des Problems. Die Kontrolle der Angstgefühle wirkt dabei auch durch die Ursachenanalyse.
Lights on: Die Steuerung der Neurotransmitter «durch Licht» funktioniert: Haltet euch täglich mindestens eineinhalb Stunden bei Tageslicht im Freien auf oder benutzt eine Tageslichtlampe.
Positive Routine: Eine gewisse Ordnung durch sich wiederholende Zeitabläufe sorgt «für innere Sicherheit».
Blick über den Tellerrand: Die Kontrolle der eigenen Sicht fällt unter das simple Motto «Das Häufige ist häufig, das Seltene ist selten». Überprüft bereits beim ersten Auftreten eines Angstgefühls, ob eine realistische Gefahr besteht.
Objektivierung und Kontrolle der Ängste durch Bewusstmachung: Führt ein «Angsttagebuch», in dem in einer Spalte die Dauer und Ursache der Angst eingetragen wird, in die andere Spalte in Prozenten das tatsächliche, realistische Gefahrenpotenzial.
Wenn du mehr oder andere Tipps und zusätzliche Informationen über den Umgang mit Angst möchtest, lohnt sich vielleicht ein Blick ins Buch von Constanze Denning:
Titelfoto: shutterstockLebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.