Nice try, Marie Kondo! So sollen Kinder das Aufräumen lernen
In einem neuen Interview sagt Aufräum-Profi Marie Kondo, wie sie ihren eigenen Kindern beibringt, Ordnung zu halten. Mit Methoden, die bei meinen Kids ganz bestimmt nicht funktionieren.
Sie ist die weltberühmte Profi-Entrümplerin. Die Mary Poppins unserer Generation. Was sie anfasst, steht schlagartig in Reih und Glied da. Perfekt gefaltet und nach Farben sortiert.
Was waren wir erleichtert, als Marie Kondo dann vor kurzem erstmals etwas Menschlichkeit offenbarte. «Mein Zuhause ist unordentlich», gestand die Netflix-Aufräumexpertin und Bestseller-Autorin im Januar im Gespräch mit der «Washington Post». «Aber die Art und Weise, wie ich meine Zeit verbringe, ist zu diesem Zeitpunkt, in dieser Phase meines Lebens, die richtige Art und Weise.» Willkommen im Leben mit Kindern, Kondo! Dachte ich mir, nicht ohne Genugtuung.
Dass ihre perfekte Fassade bröckelte, besänftigte mich. Ich malte mir aus, wie sie in ihrem pastellfarbenen Wohnzimmer über die Legos ihrer Kinder stolpert und die Essensreste ihrer Kleinen vom rosa Tripp-Trapp-Stuhl) klaubt. Und diese Vorstellung liess erstmals etwas Sympathie für die perfekt inszenierte Perfektionistin aufkeimen.
Alles Zuschauen nützt nichts
Sympathie, die sie jetzt wieder im Keim erstickt hat. Denn die 38-jährige Japanerin gab einem deutschen Portal vor wenigen Tagen erneut ein Interview – und zementierte dabei wieder ihre Makellosigkeit.
Wie sie ihren Kindern beibringe, Ordnung zu halten, wollte Focus.de von ihr wissen. Ihre unspektakuläre und genau darum spektakuläre Antwort: «Ich räume vor meinen Kindern auf, damit sie es als tägliche Aufgabe oder als etwas sehen, das Freude macht – und nicht als lästige Pflicht.» Manchmal ertappe sie ihre Töchter dabei, wie sie ihre Wäsche selbst zusammenlegen oder den Esstisch abdecken.
Ok, wow. Ich anerkenne neidvoll: Beim Wäsche zusammenlegen habe ich meine zwei Mädchen tatsächlich noch nie ertappt. Höchstens beim Süssigkeiten stibitzen. Immerhin: Den Esstisch haben sie auch schon freiwillig gedeckt. Zweimal, um genau zu sein.
Und ja, auch meine zwei Mädchen dürfen mir beim Aufräumen zusehen. Ich erledige das nicht hinter ihrem Rücken. Sie sollen sehen, dass das zur täglichen Routine gehört – und sie sollen mit anpacken. Nur laufen sämtliche Motivations- und Lockmethoden erst einmal ins Leere. Mitgemacht wird prinzipiell nur nach mehrmaligem Auffordern und auch dann nur mit Murren.
Mami beim Aufräumen zusehen – ohne mit der Wimper zu zucken beziehungsweise einen Finger zu rühren –, funktioniert dagegen weltmeisterlich.
Wo bleibt die Aufräum-Lust?
Dass die Kondo-Mädchen aus komplett anderem Holz geschnitzt sind als meine, unterstreicht eine weitere Aussage im Interview: «Ich habe meinen Kindern von klein auf beigebracht, dass sie die Dinge behalten sollen, die ihnen Freude bereiten», so Kondo. «Kinder können schon mit drei Jahren entscheiden, was ihnen Freude macht. Und der wichtigste Grundsatz ist, dass jeder Mensch für sich selbst Entscheidungen treffen sollte.»
Einverstanden. Aber bei allem Respekt: Liesse ich meine Siebenjährige immer selbst entscheiden, was sie behalten darf und was nicht – beziehungsweise, was ihr Freude macht und was nicht – ihr Kinderzimmer wäre schon mehrmals explodiert. Und das wäre dann auch nicht Kondo-Philosophie, nicht? Nur mit regelmässigen gemeinsamen Ausmist-Aktionen hält sich ihre Sammelwut in Zaum.
Nun gut, Vorleben ist halt nicht gleich Vorleben, höre ich Marie Kondo ermahnende Worte in meinem Ohr. Vielleicht sollte ich beim Aufräumen künftig vor Freude durchs Wohnzimmer tanzen, um meine Kinder mit meinem (spärlich vorhandenen) Ordnungseifer anzustecken? Fair. Vielleicht ist es tatsächlich das, was Kondo hat – und ich eben nicht: die Lust am Aufräumen. Für mich ist und bleibt es eine lästige Pflicht.
Entspannen à la Kondo
Zum Glück verrät mir Kondo im Interview aber auch gleich noch, wie ich mich anschliessend entspannen kann. Auf die Frage, wie sie es schaffe, als Dreifach-Mutter auch Zeit für sich einzuplanen, antwortet sie nämlich: «Seitdem ich verheiratet bin und Kinder habe, habe ich eine ideale Zubettgeh-Routine gefunden, die zu meinem Lebensstil passt: Nach dem Familienessen bringe ich die Kinder mit einer Gute-Nacht-Geschichte ins Bett. Und wenn alle schlafen, bin ich an der Reihe, mich zu entspannen.» Klingt gut, nicht?
Nur versteht Kondo unter «mich zu entspannen» offensichtlich nicht ganz dasselbe wie ich: «Ich räume die Küche auf, bereite das Essen für den nächsten Tag vor, checke meine E-Mails und schreibe meine Termine für den kommenden Tag auf», führt sie ihre Abendroutine aus. Immerhin: Wenn anschliessend noch Zeit bleibt, macht sie sich eine Tasse Tee und lässt den Tag mittels Journaling Revue passieren. «Danach verteile ich vielleicht etwas ätherisches Öl, trage ein paar Hautpflegeprodukte auf oder mache sogar ein paar Dehnübungen, wenn ich mich danach fühle. Mein oberstes Ziel ist es, mich jeden Abend zu entspannen, damit ich gut schlafen kann.» Na dann, gute Nacht.
Zeit der Abrechnung
Kondo wollte uns also weismachen, dass es bei ihr plötzlich menschlich unordentlich sei? Gescheitert. Ganz so schleifen lässt sie’s zu Hause also doch nicht. Vielleicht sollte sie als Nächstes mal ihren Instagram-Account von seiner Makellosigkeit entrümpeln, ihrer Glaubwürdigkeit und unserem Selbstwertgefühl würde es jedenfalls guttun.
Unsere Wickelschublade hat höchstens fünf Minuten nach dem Einrichten so ausgesehen. Sowieso: Selbst wenn ich unser Zuhause – ob mit oder ohne Hilfe der Kinder – dreimal täglich aufräume, bleibt es nie länger als eine Stunde ordentlich. Weil ich die Kontrolle über mein Leben verloren habe? Nein. Weil ich zwei Kinder habe.
Irgendwann werde ich es ihnen aber heimzahlen. Dann trample ich in ihr Zuhause, werfe meine Kleider auf den Boden, bediene mich grosszügig am Kühlschrank und haue mich mit fettigen Chips aufs Sofa, um ihnen beim Aufräumen zuzusehen. Ha! Und diesen Spass wird Marie Kondo ganz bestimmt nie haben.
Titelfoto: ShutterstockAnna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.