«Nintendo World Championships» – ein nervenaufreibendes Spiel gegen die Zeit
«Nintendo World Championships: NES Edition» ist ein Traum für alle Retro-Fans und Speedrunner. Das volle Potenzial des Konzepts wird aber nicht ganz ausgeschöpft.
In «Nintendo World Championships: NES Edition» spielst du kleine Gameplay-Fetzen aus alten Nintendo-Klassikern möglichst schnell durch – entweder alleine, gegen deine Freunde oder online gegen Spieler aus der ganzen Welt. Oft entscheiden Hundertstelsekunden über Sieg oder Niederlage.
Die kleinen Speedrun-Challenges sind nervenaufreibend, sehr unterhaltend und machen süchtig. Es wäre aber noch mehr drin gelegen.
Magere Spielauswahl mit vielen Challenges
Die Idee für Nintendos Speedrun-Game ist auf eine Turnierreihe zurückzuführen, die das Unternehmen in den Neunzigern veranstaltet hat. In dieser sind Nintendo-Fans aus den USA in drei verschiedenen NES-Disziplinen gegeneinander angetreten: «Super Mario Bros.», «Rad Racer» und «Tetris».
Ziel war es, innerhalb eines Zeitlimits eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen, die sich aus einer kumulativen Highscore-Formel für alle Spiele ergeben hat.
Das Finale der Weltmeisterschaft wurde in den Universal Studios in Los Angeles ausgetragen und gilt als eine der legendärsten Gaming-Veranstaltungen aller Zeiten. Nun bringt Nintendo ihre Weltmeisterschaft nicht als neue Live-Veranstaltung, sondern als Switch-Game zurück.
«Nintendo World Championships: NES Edition» beinhaltet insgesamt 156 Speedrun-Challenges aus dreizehn NES-Klassikern. Einige davon sind simpel und dauern wortwörtlich nur ein paar Sekunden.
So muss ich zum Beispiel in der «Pilzsuche» möglichst schnell den ersten Superpilz in «Super Mario Bros.» berühren (mein Rekord: 00:04,56). Oder in der Challenge «Obacht: Oktoroks» in «The Legend of Zelda» möglichst schnell alle Gegner auf einem Screen killen (mein Rekord: 00:02,56).
Die schwierigsten Herausforderungen im Spiel dauern mehrere Minuten. So muss ich in «Wildes Warpen» das gesamte (!) «Super Mario Bros.»-Spiel mithilfe von Abkürzungen möglichst schnell durchzocken (mein Rekord: 08:24,01). Oder in «Panik im Parapa-Palast» so schnell wie möglich einen Dungeon aus «Zelda II» absolvieren (mein Rekord: 04:30,10).
Besonders cool: Für diese ultraschwierigen Challenges gibt es virtuelle «Spielberater», die mir die optimale Route durch die Levels und «geheime» Tricks verraten. Das erinnert an NES-Booklets aus den Achtzigern. Weniger cool ist, dass die Games in den Speedruns trotz kleiner Fenstergrössen etwas unscharf aussehen.
Die Challenges bieten dank unterschiedlicher Längen und Aufgabenstellungen viel Abwechslung. Schade ist, dass Nintendo nur dreizehn NES-Games in ihre virtuelle Weltmeisterschaft integriert hat. Das Unternehmen hat noch so viele weitere Klassiker auf der Konsole veröffentlicht, die sich perfekt für solche Speedrun-Challenges eignen würden. Schmerzlich vermisse ich Spiele wie «Punch-Out», «Tetris», «Dr. Mario» oder «Duck Hunt».
Ich gegen mich selbst
Die meiste Zeit für den Test verbringe ich im Singleplayer-Modus. In diesem verdiene ich durch erfolgreich gemeisterte Speedruns Münzen, mit denen ich neue Challenges und kosmetische Items für mein Online-Profil freischalte.
Jede Zeit in einem Speedrun wird mit einem Rang bewertet – von der schlechtesten Note «C», über «B» und «A» bis zur besten Note «S». Ziel ist es, alle Challenges mindestens mit einem «A»-Rang abzuschliessen. Das ist mir aber oft nicht genug. «Ich kann sicher noch ein paar Hundertstelsekunden einsparen und den ‹S›-Rang knacken», denke ich mir und gehe einzelne Challenges immer wieder und wieder an.
Oftmals verzweifle ich, weil ich trotz vermeintlich perfekten Runs nur schlechte Bewertungen kassiere oder mit einem «A++»-Rang verdammt knapp an der «S»-Bewertung vorbeischlittere. Ich gebe aber nicht auf und lerne immer neue Tricks dazu.
Der Soundeffekt beim Erreichen einer neuen persönlichen Bestzeit hat sich in mein Hirn eingebrannt. Ich bin süchtig danach. Knacke ich meinen eigenen Rekord und höre den kurzen Jingle, stehe ich wie ein Verrückter vom Sofa auf und juble, als hätte ich das entscheidende Tor im Finale der Fussball-Weltmeisterschaft geschossen.
Lobenswert ist, dass ich die Challenges bei einem schlechten Versuch sofort neu starten kann. Ebenfalls cool: Sterbe ich in einer Herausforderung, wird das Game vor den Todeszeitpunkt zurückgespult, während der Timer weiterläuft. Eine elegante Lösung, die Frust erspart und motiviert, die Challenges immer und immer wieder anzugehen.
Ich gegen meine Freunde
Im lokalen Multiplayer treten bis zu acht (!) Spieler in den Challenges gleichzeitig an. Ich teste den Multiplayer mit drei unterschiedlichen Freundesgruppen und jeweils drei bis vier gleichzeitigen Spielern.
In allen Multiplayer-Sessions haben wir verdammt viel Spass. Wir schreien einander an, springen vor Freude in die Luft und werfen unsere Controller frustriert aufs Sofa. Vor allem, wenn nur ein paar Hundertstelsekunden den ersten vom letzten Platz trennen, kochen die Emotionen über. Ich LIEBE es.
Welche Vorkenntnisse oder Skills meine Kontrahenten haben, ist meist egal. Die Challenges sind in der Bedienung sehr simpel – der NES-Controller hatte ja schliesslich nur zwei Knöpfe und ein Steuerkreuz. Jeder kann sich ohne grosse Erklärungen an die Herausforderungen wagen und mit etwas Glück auch gewinnen. Nur die komplexeren und längeren Challenges können für unerfahrene Spieler bisweilen frustrierend sein.
Etwas mager sind die Spielmodi im Multiplayer. Ich kann entweder zwischen einzelnen Speedruns oder vorgefertigten Speedrun-Paketen wählen. Bei letzterer Option spielen wir mehrere Challenges nacheinander und am Schluss wird ein Gewinner gekürt. Das ist zwar spannend, aber ich hätte mir doch noch einige weitere, kreativere Spielmodi gewünscht, um ein bisschen Abwechslung in die Multiplayer-Sessions zu bringen.
Etwas enttäuschend ist auch die Darstellung der Games im Multiplayer-Modus. Schon im Solo-Modus muss ich mit einem relativ kleinen Spielfenster auskommen. Mit vier Spielern schrumpft dieses Fenster auf eine fast schon lächerliche Grösse, weil alle vier horizontal nebeneinander platziert sind. Die Bildschirmfläche hätte man besser nutzen können.
Ich gegen die Welt
Den Online-Modus teste ich für die Spielkritik nur beschränkt, weil die Server erst spät in der Testphase den Betrieb aufnehmen. Hier erwarten mich wöchentlich wechselnde «Weltmeisterschaften» mit globalen Leaderboards.
Diese bestehen jeweils aus fünf einzelnen Speedruns. Während sieben Tagen kann ich versuchen, möglichst gute Zeiten in den einzelnen Challenges hinzulegen. Danach wird abgerechnet. Was ich schade finde: Die globalen Leaderboards mit den Bestzeiten sind jeweils nur für die Challenges sichtbar, die sich gerade in der Meisterschaft befinden.
Besonders gelungen finde ich den zusätzlichen «Überleben»-Modus, der unabhängig von der Weltmeisterschaft stattfindet. Hier trete ich in Challenge-Paketen gegen sieben Geisterdaten von Teilnehmenden aus der ganzen Welt an. Nach jedem Speedrun werden die schlechtesten Teilnehmenden jeweils eliminiert. Speedrun-Battle-Royale, sozusagen. Ein lustiger und kreativer Modus – den ich mir auch im lokalen Multiplayer mit echten Mitspielern wünschen würde.
Auch in den Online-Modi bin ich insgesamt vom knappen Funktionsumfang enttäuscht. So vermisse ich beispielsweise permanent sichtbare Leaderboards zu allen Challenges und einen «echten» Online-Multiplayer, bei dem ich live gegen andere Spieler antrete.
Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, dass mich die Online-Funktionen Woche für Woche zurück ins Spiel locken werden. Schon nur um zu sehen, welch unmenschliche Zeiten die Speedrun-Profis in den Herausforderungen schaffen werden.
«Nintendo World Championships: NES Edition» ist erhältlich für die Switch. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Nintendo zur Verfügung gestellt.
Fazit
Nervenaufreibend, süchtig machend und macht verdammt viel Spass
Das Spielprinzip von «Nintendo World Championships: NES Edition» ist simpel und genial. Die kleinen Speedrun-Challenges sind nervenaufreibend und machen süchtig – sowohl im Singleplayer als auch im lokalen Multiplayer und Online-Modus.
Insgesamt hätte ich mir etwas mehr NES-Klassiker und mehr Spielmodi gewünscht. Für 29 Euro oder 39 Franken bekommst du aber trotzdem ein extrem unterhaltendes Retro-Paket, mit dem du NES-Klassiker auf eine komplett neue Art und Weise erleben kannst.
Pro
- süchtig machendes Spielprinzip
- viel Abwechslung in den Challenges
Contra
- kleine Auswahl an NES-Games und Spielmodi
- visuelle Darstellung mit kleineren Macken
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.