Manfrotto MT055CXPRO3, 3 Sektionen
Carbon
Ein Gewitter zieht auf. Die meisten Menschen flüchten in ihre Häuser, suchen eine möglichst tief gelegene Stelle oder verkriechen sich gleich unter der Bettdecke. Gewitterfotografen tun das Gegenteil. Denn es gilt ein Naturspektakel einzufangen. Hier erfährst du, wie das geht.
Wie schaffst du es, ein Gewitter mit spektakulärem Blitz fotografisch festzuhalten? Rein aufnahmetechnisch ist das gar nicht so schwer. Der schwierigere Teil ist, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Für beides bekommst du hier die nötigen Tipps.
Normalerweise gebe ich keine Ratschläge, ohne sie vorher selbst ausprobiert zu haben. Nun hat es aber wochenlang nie gewittert und ich möchte den Beitrag vor der nächsten Gewitterwelle veröffentlichen, damit du gleich selbst loslegen kannst. Ich habe deshalb nicht auf meine eigenen Erfahrungen zurückgegriffen, sondern auf die von Andreas Hostettler, der nicht nur Gewitter fotografiert, sondern auch Meteorologe von Beruf ist.
Doch zunächst das Prinzip der Aufnahmetechnik. Da du nie weisst, wann und wo genau der nächste Blitz einschlägt, belichtest du andauernd: Du öffnest den Verschluss der Kamera und schliesst ihn erst, wenn ein Blitz im Blickfeld der Kamera eingeschlagen hat. Der Bildausschnitt sollte möglichst gross sein, daher ist ein Weitwinkelobjektiv das richtige. Langzeitbelichtung bedeutet ausserdem, dass du ein Stativ brauchst. Wenn möglich eines, das nicht beim leichtesten Windhauch umfällt. Und wenn wir schon bei der Ausrüstung sind: Ein Reserve-Akku kann nicht schaden, denn Langzeitbelichtungen brauchen viel Strom.
Die langen Verschlusszeiten funktionieren natürlich am besten, wenn es dunkel ist. Da kommt es gelegen, dass sich Gewitter oft abends oder nachts entladen. Mit einem ND-Filter (auch Graufilter genannt) kannst du aber auch lange belichten, wenn es hell ist. Der Blitz selbst ist bei Tageslicht vielleicht weniger eindrücklich, aber dafür kommen die Gewitterwolken und die Landschaft besser zur Geltung.
Alternativ erweist sich bei Tageslicht auch die Videofunktion als nützlich, insbesondere bei 4K-fähigen Kameras. Besonders einfach geht es mit einem speziellen Aufnahmemodus, über den manche Kameras verfügen. Dieser nimmt laufend Videobilder oder sehr schnelle Serienfotos auf, speichert aber nur ab, wenn du tatsächlich auf den Auslöser drückst. Andreas Hostettler hat dies bei der Panasonic Lumix G81 ausprobiert und gute Erfahrungen damit gemacht. Panasonic nennt die Funktion «Pre-Burst» und hat sie auch in anderen Modellen eingebaut.
Die ISO-Empfindlichkeit stellst du auf den niedrigsten Wert ein (normalerweise 100 ISO). Die richtige Blende hängt von der Helligkeit und von den Lichtquellen ab, die im Bild zu sehen sind. Und natürlich auch von der Belichtungszeit. Wenn du nicht nur den Blitz, sondern auch die Umgebung perfekt belichtet haben willst, empfiehlt sich deshalb, sowohl Belichtungszeit als auch Blende im Voraus festzulegen (zum Beispiel 30 Sekunden und Blende f/8). Dann solltest du die 30 Sekunden aber auch durchziehen, egal, ob drei Blitze einschlagen oder gar keiner. Hat also auch seine Nachteile.
Für die feste Belichtungszeit schaltest du die Kamera in den manuellen Modus (M) und wählst dann Blende und Verschlusszeit. Drehst du diese über die Maximalzeit von 30 Sekunden, aktiviert das bei den meisten Kameras den Bulb-Modus. Einige Kameras ticken etwas anders, sie haben neben dem M-Modus einen separaten Bulb-Modus mit Abkürzung B. Wie auch immer: Im Bulb-Modus belichtet die Kamera so lange, wie du den Auslöser drückst – das kann dann auch länger als 30 Sekunden sein. Damit das Bild nicht verwackelt, benutzt du einen Fernauslöser oder du löst über die Kamera-App auf deinem Smartphone aus.
Bei spiegellosen Kameras wird dir schon im Sucherbild die Helligkeit angezeigt, die bei der Langzeitbelichtung mit der momentanen Blende resultiert. Wenn nicht, ist vermutlich in den Einstellungen diese Option deaktiviert. Bei der Canon M50, um ein Beispiel zu nennen, heisst der Menüpunkt «Belichtungssimulation».
Bei Spiegelreflexkameras ist das im Sucher natürlich nicht möglich, nur in der Live-View des LCD. Falls du aus irgendeinem Grund gar keine Belichtungssimulation bei deiner Kamera hinkriegst, greifst du zum Trick der Umrechnung. Denn du willst natürlich nicht jedes Mal 30 Sekunden warten, nur um zu sehen, dass du immer noch nicht richtig belichtet hast. Darum schraubst du für die Testaufnahme die Empfindlichkeit auf 3200 ISO hoch und belichtest stattdessen nur eine Sekunde. Zur Erklärung: Von 100 auf 3200 ISO wird der Wert fünf Mal verdoppelt. Um die gleiche Helligkeit zu erreichen, muss die Belichtungszeit (bei gleicher Blende) fünf Mal halbiert werden. Bei 30 Sekunden ergibt das 0,93 Sekunden, was ich hier grosszügig aufgerundet habe. So genau kommt es nicht drauf an.
Die grosse Herausforderung der Gewitterfotografie ist, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein – natürlich mit der kompletten betriebsbereiten Ausrüstung.
Die Wetterprognose gibt einen ungefähren Anhaltspunkt für die nächsten zwei bis drei Tage. Wenn der fragliche Zeitpunkt näher rückt, musst du es jedoch genauer wissen. Dann hilft das Regenradar weiter. Zum Beispiel auf der Webseite von MeteoSchweiz oder noch besser auf der mobilen App.
Nun ist Regen nicht dasselbe wie Blitz. Kann ich vom Regenradar zuverlässig auf Blitze schliessen? Weil dazu sehr unterschiedliche Meinungen im Netz kursieren, habe ich bei MeteoSchweiz angefragt – so bin ich auf Andreas Hostettler gekommen. Er sagt: «Ja, das Regenradar zeigt ganz gut, wo die Gewitter sind. Die Niederschlagsmengen sind durch unterschiedliche Farben dargestellt. Wo sich eine Zelle mit intensiven Niederschlägen befindet, lässt sich beim Niederschlagsradar anhand der unterschiedlichen Färbungen feststellen. Kräftige Gewitterregen werden meist orange, rot oder sogar in der höchsten Stufe violett dargestellt. Bei der höchsten, violetten Stufe handelt es sich wahrscheinlich um Hagel.»
Als Ergänzung zeigen dir Blitzkarten, wo in letzter Zeit Blitze eingeschlagen haben. Die unterschiedlichen Farben signalisieren, wie lange der jeweilige Blitzeinschlag her ist. Aus dem Farbverlauf kannst du – ähnlich wie beim Regenradar – herauslesen, in welche Richtung sich ein Gewitter bewegt. Weltweite Blitzkarten liefern die Webseiten blitzortung.org und lightningmaps.org. Letztere hat die etwas bessere Darstellung, basiert aber auf den gleichen Daten wie blitzortung.org, die von einer weltweiten Community geliefert werden. Die zugehörigen Mobile-Apps heissen BlitzortungLive (iOS) respektive Blitzortung GewitterMonitor (Android).
Wie nutzt man nun die Informationen aus Regenradar und Blitzkarte am besten? Einfach mit dem Auto dorthin fahren, wo die Action stattfindet? Oder vorher einen bestimmten Ort aussuchen, und dann warten, bis das Gewitter dort ist? Andreas Hostettler sagt, unter den Gewitterfotografen gäbe es schon solche, die «mitten ins Gewitter reinfahren, egal wo es sich gerade befindet». Er selbst habe aber schlechte Erfahrungen damit gemacht. Denn es reicht ja nicht, in der richtigen Gegend zu sein, du musst auch einen geeigneten Spot finden: einen Ort mit Aussicht in Richtung Gewitter. Im Idealfall zeigt der Aussichtspunkt auch einen interessanten Vordergrund. Und das alles muss relativ schnell gehen, sonst ist die Gelegenheit schon wieder vorbei. Ohne Ortskenntnisse ist das schwierig.
Hostettler macht es deshalb umgekehrt. Er sucht sich im Voraus einen Ort, von dem er weiss, dass er etwas zum Fotografieren hergibt. In seiner Umgebung ist das zum Beispiel die Aussichtsterrasse Bäumli in Winterthur. «Dieser Ort hat den Vorteil, dass die Sicht nach Südwesten gerichtet ist, wo die Gewitter oft herkommen. Ausserdem ist auf den Fotos auch die Stadt zu sehen und nicht bloss das nächste Gebäude.»
Zum Entdecken geeigneter Aussichtsplätze empfiehlt er die Website turmfinder.ch. Sie listet begehbare Aussichtstürme in der Schweiz auf und zeigt sie auf einer Karte an.
Sehr wichtig ist, dass du zwar in der Umgebung eines Gewitters bist, aber nicht mittendrin. Besonders auf Aussichtspunkten bist du sonst viel zu exponiert. Hostettler: «Die Apps geben teilweise einen Warnton, wenn man zu nahe dran ist. Bei einem Sicherheitsabstand von 15 Kilometern ist auch das Fotografieren leichter, weil Wind und Regen sich in Grenzen halten.» Aber nicht immer. Es gebe Situationen, bei denen einem Gewitter schon aus 20 bis 30 Kilometer Entfernung Windstärken über 70 km/h vorausgehen.
Hostettler empfiehlt dazu die App Gewitter Alarm für iOS und Android, denn hier ist nebst den Blitzen auch das Radarsignal sichtbar.
Wichtig ist laut dem Meteo-Experten auch folgendes: Nicht selten bilden sich überraschend neue Gewitterzellen vor einer aufziehenden Gewitterlinie; darum ist es nötig, den Himmel regelmässig auf drohende Wolkenformationen über dem Foto-Standort zu beobachten. «Häufig lässt sich bei Neubildungen von Gewitterzellen akustisch eine Art Grummeln vernehmen. Dies sind kleinere Entladungen in den oberen Wolkenstockwerken, welche darauf Hinweisen, dass ein Gewitter mit Blitzschlägen unmittelbar bevorsteht.»
Zur Abschätzung der Blitzentfernung gibts auch einen alten Trick ohne Hilfsmittel: Du zählst die Sekunden zwischen dem Blitz und dem allerersten Donnergeräusch. Der Schall braucht ungefähr drei Sekunden pro Kilometer, das Licht hingegen null. Wenn zehn Sekunden verstreichen, bist du also etwas mehr als drei Kilometer vom Blitzschlag entfernt.
Wenn dir dein Leben lieb ist, versuch nicht, etwas zu erzwingen und brich die Übung im Zweifelsfall ab, auch wenn du noch kein gutes Foto hast. «Ich habe mich einmal gerade noch ins Auto retten können und sah dann, wie 100 Meter entfernt der Blitz in einen Kran einschlug», erzählt Hostettler. Das ist ein weiterer Sicherheitstipp: Sich nicht zu weit vom Auto zu entfernen, denn dort bist du vor dem Blitz geschützt.
Titelbild: Andreas HostettlerDurch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.