Hintergrund
Themenwoche: Wir rollen den roten Teppich aus für – die Farbe Rot
von Oliver Fischer
Rot ist die Farbe der starken Emotionen – die Farbe von Liebe, Wut und Raserei. Sie ist auch die einzige Farbe, bei der bisher eine physiologische Reaktion aufgezeigt wurde und damit die einzige Farbe, die unseren Körper nachweislich beeinflusst.
Wie Emotionen und Farben zusammenhängen und welche Wirkung sie haben, erforscht Christine Mohr, Psychologieprofessorin an der Universität Lausanne, seit mehr als zehn Jahren. In einer Umfrage mit ihren Kollegen, an der inzwischen rund 12 000 Menschen aus 90 Ländern teilgenommen haben, zeigt sie, dass Farbassoziationen über Kulturen hinweg sehr ähnlich sind. Rot steht weltweit für Liebe und Wut. Mit Ausnahme von Nigeria. Dort wird die Farbe – wahrscheinlich wegen eines lokalspezifischen Rituals – zusätzlich mit Angst assoziiert.
Farbforschung kann, trotz spannender Ergebnisse, zuweilen frustrierend sein. Denn obwohl Selbsthilfebücher und kommerzielle Farbtherapien die heilende oder beruhigende Wirkung von Farben aus dem ganzen Spektrum anpreisen, liess sich bisher wissenschaftlich wenig davon belegen. «Ich dachte schon, wir finden gar nichts mehr und die Wirkung der Farben beruhe nur auf abstrakten Sprachassoziationen und kulturellem Lernen», sagt Christine.
So war die Forschungsgruppe der so häufig angepriesenen Farbtherapiewirkung in einem kommerziellen Farbkartenset auf der Spur. Auch hier war der Befund ernüchternd. Die Farben selbst zeigten keinen Effekt, denn die sogenannte «Farbtherapie» funktionierte auch ohne die Karten. Zwar massen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Verringerung des Stresslevels bei den 60 Probandinnen und Probanden während der Forschungsphase, die über drei Wochen ging. Allerdings reduzierte sich der Stress in gleichem Masse, wenn die Teilnehmenden der Studie gar keine farbigen Karten zu sehen bekamen. Dass die farbigen Scheiben dennoch als beruhigend, stimulierend oder stimmungsaufhellend empfunden wurden, lag sehr wahrscheinlich am meditativen Prozedere mit positiven und beruhigenden Suggestionen. Das Ganze wurde begleitet von entsprechender Hintergrundmusik. Also, wieder nichts. Keine Wirkung. Bis Rot ins Spiel kam.
Rot ist die bisher einzige Farbe, bei der als Reaktion eine körperliche Veränderung aufgezeigt wurde. Das macht Rot so besonders. Nachdem Christine und ihre Forschungsgruppe durch ihre Studien zum Thema Farben und Gefühle herausgefunden hatten, dass Rot über fast alle Kulturen hinweg mit den starken Emotionen Liebe, Leidenschaft, Wut und Hass assoziiert wird, wollten sie erforschen, ob Rot auch ganz direkt auf uns wirkt. Noch vor einigen Jahren wäre die Beantwortung einer solchen Frage schwierig gewesen, da ganze Räume in Rot- oder Vergleichsfarbtönen gestrichen werden müssten, um ein solches Experiment kontrolliert durchführen zu können. Dank Virtual Reality (VR) ist es jetzt aber möglich.
Die Forscherinnen und Forscher versetzten 60 Versuchspersonen mittels VR-Brillen in rote oder blaue Umgebungen. Mit Elektroden massen sie, wie sich die Leitfähigkeit der Haut in den blauen oder roten Räumen veränderte. Die elektrische Leitfähigkeit der Haut gilt in der Neurowissenschaft als Messgrösse für Erregung. Und – tada – du ahnst es wahrscheinlich bereits: Bei bestimmten Rottönen veränderte sich dieser Wert. Bei Blau blieb er gleich. Dass die Farbe Rot mit einem erhöhten Erregungszustand in Verbindung gebracht wird, gibt Hinweise darauf, warum genau diese Farbe mit so gegensätzlichen Emotionen wie Liebe und Hass assoziiert wird. Bei beiden ist die Erregung hoch. Genauso wie die Bereitschaft zu handeln.
Was das jetzt bedeutet? Auf jeden Fall, dass die Farbe Rot sich von anderen Farben in ihrer Wirkung unterscheidet. Vermutet hatte Christine das schon lange. Denn frühere Studien zeigten: Neugeborene können die Farbe Rot bereits erkennen und schenken ihr Aufmerksamkeit, während sie Blau ignorieren. Solch ein biologischer Mechanismus ist nur dann sinnvoll, wenn Rot evolutionär eine besondere Bedeutung hat.
Auch in der Sportpsychologie wird schon seit knapp zwei Jahrzehnten an der Frage gearbeitet, ob rote Sportkleidung Athleten zu Siegern macht. 2005 hatten die Wissenschaftler Russell Hill und Robert Barton eine vielbeachtete Studie veröffentlicht, die darauf hinwies, dass bei olympischen Kampfsportarten Athleten in roten Trikots häufiger gewinnen als Athleten in blauen Trikots.
Toll, dachten sich Sportlerinnen und Sportler, die fortan von roten Shirts und Podiumsplätzen träumten. Selbst der damalige deutsche Fussball-Bundestrainer Jürgen Klinsmann ersetzte 2006 bei den Trikots der Nationalspieler das traditionelle Schwarz durch Rot. Dass es ganz so einfach dann doch nicht ist, zeigten weitere Untersuchungen. Mal brachte Rot den erwünschten Sieg, in einem anderen Kontext war die Farbe eher hinderlich. Oder hatte keine Auswirkungen auf die Resultate.
Jedoch ergab eine Langzeitbetrachtung über 55 Jahre hinweg, dass englische Fussballteams in roten Trikots häufiger gewannen, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Woran das liegt, ist hingegen unklar. «Es geht ja nicht nur ums Gewinnen, wenn wir Rot tragen, sondern auch darum, was man dem Gegner signalisiert», ordnet Christine ein. «Es heisst nicht zwangsläufig, dass das rote Team in der Angriffsphase überlegen ist, sondern auch, dass sich das andere Team möglicherweise schlechter verteidigen kann, wenn es rot sieht.»
Dass Rot Dominanz signalisiere, sehe man bei Männern mit roten Krawatten, sagt Christine. Ihr Lieblingsbild in diesem Zusammenhang stammt von der Pressekonferenz der britischen Ex-Premierministerin Theresa May und dem US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump. Sie trug ein leuchtend rotes Kostüm, er eine tiefrote Krawatte. «Die Frage ist: Soll die rote Kleidung zeigen, dass man kraftvoll angreifen oder sich kraftvoll verteidigen will», sagt die Psychologieprofessorin.
Dass auch hier biologische Mechanismen im Spiel sein könnten, zeigt eine Studie mit 73 Sportlern an der University of Sunderland. Sie durften bei einem Sportleistungstest zwischen roten und blauen Trikots wählen. Zuvor waren ihnen Speichelproben entnommen worden. Es zeigte sich, dass die Athleten, die sich für das rote Shirt entschieden, von vornherein höhere Testosteron-Level im Blut hatten. Testosteron ist ein männliches Sexualhormon, das mit Aggressivität und Paarungsbereitschaft assoziiert wird. Tatsächlich brachten die roten Shirts in Hinblick auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit keinen Vorteil. Die Wissenschaftler vermuteten deshalb, dass Rot nur bei Wettkämpfen mit einem direkten Gegner positive Auswirkungen hat. Denn ein Gegner im roten Gewand würde als starker Opponent wahrgenommen, was eine Studie inzwischen auch belegt hat, und könne die eigene Leistung schmälern.
Klar ist auf jeden Fall: Rot ist eine Farbe der Widersprüche. Sie signalisiert «Stopp» und «Los», steht für Liebe und Hass, für Gift und Sex, für Gefahr in Form von giftigen Pflanzen und für Belohnung in Form von reifen, süssen Früchten. Und in diesem Spannungsfeld wird es für Psychologieprofessorin Christine Mohr und ihr Team noch viele Fragen zu untersuchen geben. Eine, die immer wieder gestellt wird, kann sie allerdings bereits jetzt beantworten: Was die Lieblingsfarbe über den Charakter aussagt. Das Ergebnis ihrer Forschung: rein gar nichts.
Dieser Beitrag ist im Rahmen unserer Sonderwoche zum Thema «Rot» entstanden. Sieben Tage, sieben Beiträge. Mehr Infos dazu und alle bisher erschienenen Artikel liest du hier nach:
Titelfoto: Christian WalkerForschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.