Schildkröt Crossboccia Pro
Zwölf softe Säckchen, die ziemlich viel Spass machen
Den Trendsport Crossboccia habe ich um ein gutes Jahrzehnt verpennt. Ich entdecke jetzt erst das urbane Update des Klassikers und stelle fest, dass dieses Wurfspiel mit den platten Bällen genau mein Ding ist.
Boccia, das ist für mich Kindheit. Das sind bunte Plastikkugeln in italienischem Sand und ein Spiel, das niemals jemand kaufen muss, weil es einfach da ist. Es gehört zum Inventar. Mindestens ein billiges Set findet sich in jeder Familie irgendwo im Keller oder in der Gartenhütte. Egal ob du mit fünf Jahren deinen blauen Kunststoffball ins Gebüsch feuerst oder mit 75 eine ruhige Metallkugel auf dem schattigen Dorfplatz schiebst – alle verstehen das Prinzip. Alle können mitmachen und dem Spiel etwas abgewinnen. Es zählt nur das Geschick.
An Boccia, Boule und Pétanque ist alles gut, sofern du gute Gesellschaft und etwas Freizeit hast. Mit den Jahren steigen höchstens die Ansprüche ans Material. Eigentlich habe ich mit ein paar hochwertigen Stahlkugeln geliebäugelt. Stattdessen habe ich vor dem letzten Familienurlaub spontan Crossboccia gekauft. Zwölf softe Säckchen, die weder schmerzhaft auf Füsse fallen noch endlos weit davonrollen können.
Anfangs denke ich, etwas Neues entdeckt zu haben. Dann stelle ich fest, dass ich lediglich ein Jahrzehnt hinter dem Mond gelebt habe. Als Trendsport wurden die jonglierball-ähnlichen Wurfsäckchen mit Granulatfüllung Anfang der 2010er-Jahre gefeiert. Trends kommen und gehen. Was übrig bleibt, ist in diesem Fall eine spassige Freizeitbeschäftigung. Als ich im Büro unserem Spielzeug-Spezi Ramon Schneider von meiner Begeisterung für das Spiel erzähle, nickt er wissend und zieht auch so ein Set unter dem Schreibtisch hervor.
Wir reden von Würfen über Bande, auf Bänke oder Treppen. Vom Übermut, der aufkommt, wenn sich Kindsköpfe duellieren und immer kreativere Wurfziele suchen. Der Reiz liegt darin, Hindernisse einzubauen und die ganze Umgebung als Spielfeld zu begreifen. Wenn es bergauf oder bergab geht, ist das kein Problem. Im Gegenteil: Es macht das Spiel noch interessanter. Dafür, dass die Möglichkeiten unbegrenzt sind, sorgen die Wurf... ja, was? -Bälle? -Kugeln?
Mich erinnern die granulatgefüllten Säckchen an Jonglierbälle. Sie sind weder zu platt noch zu prall, rollen bei flachen Würfen oder auf Schrägen ein Stück oder lassen sich in hohem Bogen gut platzieren. Dazu haben sie mit 115 Gramm ein angenehmes Gewicht und eine robuste Hülle. Wenn du es leichter magst, gibt es eine weniger prall gefüllte Variante für Einsteiger. Die neigt naturgemäss noch weniger zum Rollen.
Altes Spielprinzip, neue Regeln
Während das Spielprinzip sofort klar ist, muss ich die offiziellen Regeln erst lernen. Gegnerische Bälle lassen sich nicht richtig wegschiessen wie beim klassischen Boccia, aber trotzdem aus dem Spiel nehmen. Liegt dein Ball mindestens zur Hälfte auf dem eines Mitspielers, fliegt dessen Wurf aus der Wertung.
Ansonsten gilt: Wer den Marker wirft, fängt an. Anschliessend fliegt reihum der erste Ball. Danach ist mit seinen beiden übrigen Bällen dran, wer am weitesten entfernt liegt. Punkte gibt’s am Ende für jeden Ball, der näher zum Marker liegt als der beste Versuch der Konkurrenz.
Berühren sich zwei deiner gewerteten Bälle, gibt diese «Combo» 3 Punkte. Berühren sich drei, kannst du 6 Punkte für dich verbuchen. Mit 13 Punkten (und mindestens zwei Vorsprung) gewinnst du einen Satz, mit zwei Sätzen das Match. Habe ich bislang noch nie so gespielt. Macht aber nichts, denn Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Gerade beim Crossboccia.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.