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«As Dusk Falls» im Test: Das Design bleibt ein Gimmick, dafür reisst die Story mit

Das Auffälligste an «As Dusk Falls» ist der Grafikstil und der überzeugt am wenigsten. Auch die Story gewinnt keinen Oscar. Warum sie mich dennoch bis zum Schluss gepackt hat, liegt an den Charakteren und den Dialogen.

Was soll ich tun? Die Banditen wollen meine Tochter als Geisel mitnehmen. Flehe ich sie an? Versuche ich sie zu überwältigen? Kann ich mit ihr den Platz tauschen oder ist Passivität vielleicht der beste Weg? «As Dusk Falls» ist voll mit tückischen Entscheidungen, deren Ausgang sich oft erst viel später offenbart.

«As Dusk Falls» spielt sich wie ein interaktiver Film. Ein Grossteil der Zeit schaue ich einfach zu, was sich vor mir ereignet. Regelmässig wird das Geschehen aber durch Quick-Time-Events unterbrochen. Entweder muss ich im richtigen Moment eine Taste drücken oder mit dem Analog-Stick, respektive der Maus, die richtige Bewegung machen.

Ab und zu darf ich auch einen Raum nach einem versteckten Tresor absuchen oder muss mich aus einem Fahrzeug befreien, indem ich das passende Objekt anklicke. Das sorgt für etwas Abwechslung beim sonst eher passiven Gameplay. Das Spiel lässt sich sowohl alleine als auch mit bis zu sieben Personen spielen. Dann werden die Entscheidungen gemeinsam gefällt.

Hier ist die Welt der Walkers noch in Ordnung.
Hier ist die Welt der Walkers noch in Ordnung.

Das Herz von «As Dusk Falls» sind die Dialoge. Sie bestimmen zusammen mit den Quick-Time-Events, wie sich die Geschichte entwickelt. Meist sorgt ein Timer dafür, dass ich mir nicht ewig Zeit nehmen kann. Nur bei besonders schweren Entscheidungen steht die Zeit still. Nach jedem Kapitel kann ich in einem Baum-Diagramm nachschauen, wo sich die Geschichte dadurch verändert hat. Nach dem ersten Durchspielen (rund sechs Stunden) sind bei mir mehr als die Hälfte der Äste noch verdeckt.

Die Parallelen zu Spielen wie «Heavy Rain» oder «Beyond: Two Souls» sind nicht zufällig. «As Dusk Falls» entstand unter der Leitung von Caroline Marchal. Sie war Lead Game Designerin bei Quantic Dream, das die beiden Titel entwickelt hat. Der Hauptunterschied ist, dass ich meine Figuren in «As Dusk Falls» nie direkt durch die Umgebung steuere.

Trotz vieler Entscheidungen läuft es am Ende eines Kapitels meist auf zwei Ausgängen hinaus.
Trotz vieler Entscheidungen läuft es am Ende eines Kapitels meist auf zwei Ausgängen hinaus.

Vorhersehbare Story(s)

Im Zentrum des Spiels stehen zwei Familien. Einerseits die Walkers, die mit Tochter und Grossvater wegen einer Autopanne in einem Hotel mitten in der Wüste Arizonas Halt machen müssen. Dort machen sie unfreiwillig Bekanntschaft mit den Holts, die sich nach einem missglückten Einbruch auf der Flucht befinden.

Die Geschichte spielt hauptsächlich im Jahre 1998, zum Zeitpunkt der eingangs erwähnten Geiselnahme. Im Verlauf des Spiels springt die Zeit vor und zurück und umfasst so rund 30 Jahre. Dabei wechsle ich regelmässig die Perspektive und lerne beide Familien kennen.

Die Hauptfiguren sind Vince sowie Jay, der jüngste Bruder der Holt-Familie. Eine weitere Person werde ich hier nicht spoilern. Vince und Jay haben das Schicksal der Beteiligten am meisten in der Hand. Hier glänzt das Spiel. Sei es, wenn bei Vince der Verdacht entsteht, dass ihn seine Frau betrügt oder Jay sich zwischen seine Familie stellen muss.

Die englischen Sprecher, respektive Schauspieler, machen dabei grösstenteils einen hervorragenden Job, ihre Figuren wie echte Menschen wirken zu lassen. Ein paar Klischees wie der korrupte Kleinstadt-Sheriff oder der trinkende Vater werden dennoch bedient. Das Spiel schafft es aber fast immer, den Figuren genug Tiefgang zu verleihen, dass sie sich in die Geschichte einfügen.

Besonders das Dialogsystem hat mich überrascht. Oft ist es in solchen Spielen so, dass die vorhandenen Antworten nicht meiner Vorstellung entsprechen. Oder die Antwort fällt anders aus, als ich es erwartet habe. Nicht so in «As Dusk Falls».

Gewissen Klischees wie Jays gewalttätiger und trinkender Vater entkommt das Spiel nicht.
Gewissen Klischees wie Jays gewalttätiger und trinkender Vater entkommt das Spiel nicht.

An einem Punkt des Spiels muss ich mich von meiner Begleitung verabschieden, weil ich sie nicht unnötigen Risiken aussetzen will. Dabei hätte ich gerne erfahren, wie unsere gemeinsame Reise ausgesehen hätte. Ich wähle schweren Herzens aus zwei Auswahlmöglichkeiten die verantwortungsvolle aus. Die kurze Antwort passt mir nicht. Ich würde lieber anders reagieren. Entsprechend überrascht bin ich, als mein Charakter eine erfrischend nuancierte Antwort gibt.

Die Dialoge sind fast ausnahmslos glaubhaft und werden von den Schauspielern authentisch überliefert. Es ist das, was «As Dusk Falls» am spannendsten macht. Das Spiel erzählt nichts, was ich nicht schon mal in irgendeiner Form gesehen oder gelesen hätte. Es ist die Erzählweise, die den Unterschied macht. Das Diagramm am Ende eines Kapitels zeigt zwar viele Gabelungen, schlussendlich laufen sie aber meist auf zwei Ergebnisse hinaus. Das heisst nicht, dass es in «As Dusk Falls» keine folgenschweren Entscheidungen zu fällen gibt oder dass die Quick-Time-Events keine Konsequenzen hätten. Mit Selbstmord oder Missbrauch werden zudem einige schwer verdauliche Themen aufgegriffen.

Nicht jede Entscheidung hat schwerwiegende Konsequenzen.
Nicht jede Entscheidung hat schwerwiegende Konsequenzen.

Ein stilloser Stil

Obwohl der Grafikstil zweifellos das herausstechendste Merkmal von «As Dusk Falls» ist, hatte ich damit anfangs am meisten Mühe. Das Spiel nutzt echte Schauspieler, reduziert die Bewegung aber so stark, dass es wie animierte Standbilder aussieht. Hin und wieder sorgen fahrende Fahrzeuge oder flüssig animierte Hintergründe für etwas Kontrast, die Personen bleiben aber statisch.

Zusätzlich liegt ein aquarellartiger Filter über dem Ganzen, der einen Comic-Look erwecken soll. Auf mich wirkt dieser störend. Die fehlende Bewegung macht das Spiel träge und der Comic-Überzug sieht weder schön aus, noch ist er inhaltlich sinnvoll. Im Film «A Scanner Darkly» soll der Comicstil das Gefühl einer total überwachten Welt, voller Drogenkonsum und psychisch fragwürdigen Charakteren verstärken. In «As Dusk Falls» ist er ein reines Stilelement.

Es gibt Momente im Spiel, da erzeugt der bewegungsarme Stil zusammen mit dem Design stimmige Szenen. Sie bleiben aber die Ausnahme. Meist wirkt er künstlich und aufgesetzt.

Packend bis zum Schluss

Das Design ist das, was mich auf «As Dusk Falls» aufmerksam gemacht hat. Nun ist es das Element, das mir am Spiel am wenigsten gefallen hat. Zuweilen sorgt der Stil gar dafür, dass ich mich beim Zuschauen langweilte, weil meinen Augen nichts Spannendes geboten wurde. Aber dann zog mich das Geschehen wieder mitten hinein und verlangte die nächste knifflige Entscheidung von mir. Auch wenn die Geschichte wenig Überraschendes bereithält, wird sie packend und glaubhaft erzählt. Ich konnte den Controller Abends regelmässig nur schwer aus der Hand legen, weil ich noch die nächste Szene spielen wollte. Und das ist schliesslich das beste, was man bei einem Spiel erleben kann.

«As Dusk Falls» wurde mir von Microsoft zur Verfügung gestellt. Das Spiel ist ab dem 19. Juli erhältlich für PC und Xbox und ist im Game Pass enthalten.

Mehr über «As Dusk Falls» oder sonstige Game- und Tech-Themen rede ich im wöchentlichen digitec Podcast, der jeden Donnerstag erscheint.

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