Hintergrund
Ausprobiert: Gesunde Gewohnheiten im Selbstversuch
von Anna Sandner
Ich dachte, eine Woche ohne Kaffee sollte kein Problem sein. Denkste: Was der Koffeinentzug mit mir macht, hat mich überrascht. Und lässt mich meine Kaffee-Liebe wieder neu denken.
Es ist ein müder Start in diese neue Ausprobiert-Woche. Denn: Ich sitze hier morgens mit einer Tasse entkoffeiniertem Kaffee. Und koffeinfrei wird es nun eine Woche weiter gehen. Nach über zwanzig Jahren, in denen ich lediglich in der Schwangerschaft bewusst auf Koffein verzichtet habe, will ich herausfinden, was mein Körper dazu sagt, wenn es mal keinen zusätzlichen Boost gibt. Und so viel kann ich schon verraten: Er protestiert zum Teil vehement!
Medizinisch und pharmakologisch gesehen ist Koffein eine Droge, die bei Entzug eben entsprechende Entzugserscheinungen mit sich bringen kann. Koffein verengt die Blutgefäße in den Eingeweiden, aber erweitert die Gefäße im Gehirn. Fehlt die tägliche Zufuhr, an die sich der Körper gewöhnt hat, kommt es kurzfristig zu schnellerem Blutfluss und einem höheren Blutdruck mit Kopfschmerzen als Folge.
Meine Erwartung an diese Woche also: Kopfschmerzen und Müdigkeit. Die Frage ist: Wann setzen die Symptome ein, und wie heftig und wie lange werde ich damit zu kämpfen haben? Der erste Tag startet erwartet müde, aber (noch) ohne Kopfschmerzen. Allerdings spüre ich ein leicht benebeltes Gefühl, als wäre mein Kopf in Watte gepackt. Gegen Mittag setzt dann der Kopfschmerz ein, der bis zum frühen Nachmittag tatsächlich so Fahrt aufnimmt, dass ich mich nur mit Schmerztablette weiter konzentrieren kann. Okay, das ist stärker als befürchtet. Auch die Müdigkeit zieht sich durch den ganzen Tag. Wobei ich auch früher Tage mit regulärem Kaffeekonsum hatte, an denen ich müder war. Um trotzdem munterer zu werden, ziehe ich alle Register aus den bisherigen Ausprobiert-Wochen, von Zitronenwasser trinken bis Powernapping.
Mein Fazit nach dem ersten Tag ohne Koffein: Ich habe die Auswirkungen unterschätzt. Ich spüre den Koffeinentzug so stark, dass er mich richtig einschränkt.
Mein Kopf ist etwas weniger benebelt, trotzdem sind auch heute morgen meine Augen ganz schön schwer. Immerhin sind die Kopfschmerzen gewichen. So schöpfe ich Hoffnung, dass es dabei bleibt und ich nun das Schlimmste bereits hinter mir habe. Mal sehen, was der Tag bringt.
Zu früh gefreut: Die Kopfschmerzen kommen im Laufe des Tages zurück. Sie sind erträglich, nerven aber. Dafür komme ich mit dem obligatorischen Glas Zitronenwasser doch noch in die Gänge und bleibe auch den restlichen Tag munter.
Wie erstaunlich mein Vorhaben offenbar ist, merke ich am Nachmittag, als Freunde zu Besuch sind. «Ich kann euch heute leider nur entkoffeinierten Kaffee anbieten», sage ich und blicke in völlig verwirrte Gesichter. «Wie, was, warum – was soll das denn für einen Sinn ergeben?!». Das Erstaunen ist groß, das Unverständnis auch. Mir kommt wieder in den Sinn, was ich in der wissenschaftlichen Veröffentlichung zum Thema Koffeinkonsum gelesen hatte: «Der Koffeinmissbrauch ist wahrscheinlich der häufigste von allen Substanz-Missbräuchen. Der chronische Konsum einer toleranzfördernden Droge mit einer mäßigen bis schnellen Ausscheidungsrate, macht diese Substanz zu einem hervorragenden Kandidaten für die Entstehung einer körperlichen Abhängigkeit, die sich durch biochemische, physiologische oder Verhaltensänderungen beim Absetzen der Droge zeigt.» Damals dachte ich noch, die Wortwahl «Droge», «Abhängigkeit», «Missbrauch» wäre übertrieben. So langsam dämmert mir, dass die Forschenden wohl richtiger liegen, als mir in meiner momentanen Lage lieb ist.
Der nächste Tag beginnt ohne Kopfschmerzen und mit mäßiger Müdigkeit. Die aber eher an der kurzen Nacht als am fehlenden Koffein liegen dürfte. Ich habe große Hoffnung, dass heute nun doch das Gröbste geschafft ist und die Kopfschmerzen nicht zurückkehren.
Es ist mein Bürotag und damit fehlt mein «fake» Kaffee – zwar spendet die Kaffeemaschine im Büro eine riesige Bandbreite an Kaffee, von Cappuccino über Espresso bis zu Latte Macchiato und auch die Milchauswahl ist vielfältig. Auf den absurden Gedanken, Kaffee ohne Koffein zu trinken, scheint außer mir vor allem im Arbeitskontext jedoch niemand zu kommen. Sprich: Ich müsste mir ein Café suchen, das diese Seltenheit anzubieten hat, wenn ich weiter versuchen will, mir keinen Verzicht vorzugaukeln. Dafür fehlt die Zeit. Zum Glück, denn so merke ich, dass es sehr wohl ohne geht.
Als ich am späten Nachmittag nach zwölf Kilometern Radfahren zu Hause ankomme, bin ich todmüde. Leicht verzweifelt lasse ich diese perfekte Gelegenheit für einen Nachmittagskaffee ungenutzt verstreichen. Ich bin wiiirklich müde und habe wieder dieses benebelte Gefühl. Es ist ein spürbarer Entzug, den ich gerade durchlebe. Das muss ich mir spätestens jetzt wohl oder übel eingestehen.
Dank der unbändigen Müdigkeit gestern bin ich früh eingeschlafen und habe nun eine lange, erholsame Nacht hinter mir. Nach einem Glas Zitronenwasser und einer Runde Yoga sitze ich wesentlich munterer und ohne Kopfschmerz am Computer. Ich scheine nun wirklich aus dem Gröbsten raus zu sein, denn die Kopfschmerzen und das Gefühl, als wäre ich in Watte gepackt, sind von jetzt an passé. Und mit genug Schlaf in den Knochen ist auch Müdigkeit kein Thema mehr. Damit habe ich für mich persönlich einen Richtwert: Bei meinem bisher üblichen Kaffeekonsum von im Schnitt vier bis sechs Tassen am Tag dauert es offenbar drei Tage, bis ich den Koffeinentzug hinter mir habe.
Mein Ziel mit diesem Selbstversuch ist es nicht, für immer auf Kaffee zu verzichten. Dafür bin ich eine viel zu große Kaffeeliebhaberin. Aber ich wollte mir nach den vielen Jahren mit oft beiläufigem Kaffeetrinken die Wirkung auf den Körper einmal bewusst machen. Und von einem Zustand, in dem ich den halben Tag über unbedacht (zu viel) Kaffee trinke, wieder zur Genuss-Kaffeetrinkerin werden. Statt nebenbei kannenweise Kaffee zu trinken, der mich dann hibbelig und nervös macht, sollen es lieber zwei, vielleicht drei Tassen am Tag sein, die ich mit vollem Bewusstsein genießen will.
Genau danach sehne ich mich heute: eine köstliche Tasse Kaffee – frisch gemahlen und aufgebrüht. Mein Ersatz dafür, der entkoffeinierte Filterkaffee, ist dagegen eher eine ungenießbare Plörre, auf die ich lieber verzichte.
Heute wird mir zum ersten Mal die für mich größte Errungenschaft ohne Koffein bewusst. Dieses hibbelige, nervöse, unruhige Gefühl, das mich manchmal überkommt, wenn ich den ganzen Tag am Computer sitze, arbeite und Kaffee trinke – es ist weg. Ich kann mich leichter auf die Arbeit konzentrieren, ohne zwischendrin nach Ablenkung zu suchen. Sonst ist das häufig ein sich selbst verstärkender Mechanismus: Ich bin unruhig, hole mir als kurze Pause eine Tasse Kaffee, die macht mich noch hibbeliger, woraufhin ich mir den nächsten Kaffee hole und so weiter. Das habe ich nun (zumindest vorerst) durchbrochen.
Am letzten Tag meiner Ausprobiert-Woche stehe ich etwas ratlos vor dem Ergebnis. Ich habe es geschafft, eine Woche ohne Koffein auszukommen. Der Verzicht auf Kaffee an sich war dabei gar nicht das größte Problem. Dafür habe ich einen viel einschneidenderen Entzug durchgemacht, als ich zuvor erwartet hatte.
Nun kann ich darauf hoffen, dass ein abermaliges Weglassen von Kaffee nicht diese beachtlichen Konsequenzen hat, vorausgesetzt ich trinke nicht wieder standardmäßig Unmengen an Kaffee. Denn ohne Weiteres würde ich mir ehrlicherweise diese drei Tage in Watte gepackt mit Kopfschmerzen nicht noch mal antun. Zugleich will ich eben auch nicht ganz auf Kaffee verzichten, zumal es dafür nicht mal eine gesundheitliche Notwendigkeit gibt. Denn Kaffee ist ja keineswegs per se ungesund und Koffein hat sogar positive Effekte für die Gesundheit. Die Dosis macht eben das Gift.
Trotzdem habe ich irgendwie Skrupel, jetzt einfach wieder einen Kaffee zu trinken, nachdem ich gerade erst den Absprung geschafft habe. Es fühlt sich merkwürdig an. Tatsächlich verzichte ich deswegen noch drei weitere Tage auf Koffein. Ich finde einfach nicht den Moment, der zu passen scheint. Als es dann nach insgesamt zehn Tagen soweit ist, genieße ich die erste Tasse sehr. Und spüre zum ersten Mal seit vielen Jahren bewusst die Wirkung des wunderbaren Gebräus. Ich bin regelrecht euphorisch (was wohl eher an der Freude als an der physischen Wirkung des Kaffees liegt), merke, wie ich munterer, energiegeladener und wacher werde.
In einem Satz: Die Woche ohne Koffein hat mich über die Entzugserscheinungen erschrecken lassen, dafür von der Massenkonsumentin wieder zur absoluten Genießerin gemacht.
Für mich hat es sich gelohnt, auch wenn das eine Ausprobiert-Woche war, die ich weder dauerhaft fortführen noch wiederholen möchte. Das Hauptproblem war nicht, wie befürchtet, die Müdigkeit, sondern das Gefühl, nicht richtig denken zu können und diese vermaledeiten Kopfschmerzen. Dass die Grundnervosität gewichen ist, die durch zu viel Kaffee manchmal zum Alltagsbegleiter wird, war eine sehr positive Erfahrung. Aus der nehme ich definitiv etwas mit: Kaffeetrinken mit Bedacht und Genuss ist wundervoll und wird wieder fester Bestandteil meines Lebens. Das unüberlegte Kaffee-in-großen-Mengen-nebenbei-Trinken ist dafür passé und wird sich (hoffentlich) nicht mehr unbemerkt einschleichen. Ich weiß diese magischen Bohnen nach dieser Woche viel mehr zu schätzen und werde in Zukunft jeden Schluck heißen Kaffee wieder in vollen Zügen genießen.
Wie stehst du zu Kaffee und Koffein? Hast du schon mal versucht ganz darauf zu verzichten oder trinkst du ohnehin kaum Kaffee? Schreib es in die Kommentare.
Und wenn du noch mehr Ausprobiert-Wochen von mir miterleben möchtest, wirst du hier fündig:
Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.