Hintergrund

Beraterin für Babynamen: «Ich werde oft nach genderneutralen Namen gefragt»

Diese Entscheidung fürs Leben will gut überlegt sein: Andrea Horka unterstützt werdende Eltern bei der Suche nach dem perfekten Namen fürs Kind. Im Interview erzählt sie, welche Trends, Tücken und tollen Momente damit verbunden sind.

Ein Kind zu benennen ist ein grosser Moment. Du erlebst ihn ein-, zwei- vielleicht dreimal und schreibst damit Geschichte. Zumindest Familiengeschichte. Eines ist sicher: Irgendwann, wenn dein Kind diesen Namen längst mit Leben gefüllt und einmalig gemacht hat, steht es vor dir und fragt nach dem Warum. Warum ausgerechnet dieser? Und die Antworten darauf sind genauso verschieden wie die Menschen.

Es kann allerdings sein, dass bei der einen oder anderen Familie der Name Andrea Horka in der Erklärung vorkommt. Die Zürcherin ist mit babynamenconsulting.ch darauf spezialisiert, werdende Eltern bei der Auswahl zu unterstützen. Ein mir bislang völlig unbekannter Job, über den ich im Interview mehr erfahren will.

Seit fünf Jahren bietet Andrea Horka ihren Service an.
Seit fünf Jahren bietet Andrea Horka ihren Service an.
Quelle: Michael Sonderegger

Du heisst Andrea, ich Michael. In unserer Generation war die Auswahl an gängigen Namen noch überschaubar. Wann hast du begonnen, dich intensiver damit auseinanderzusetzen, was es sonst noch so für Möglichkeiten gibt?
Andrea Horka, Namensberaterin: Als Andrea war ich natürlich auch immer eine von vielen, doch das Thema hat mich lustigerweise schon als Teenie interessiert. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich überhaupt Kinder haben möchte, aber ich habe schon Namenslisten geführt und mit meinen Freundinnen auf dem Schulweg besprochen (lacht).

Heute steht werdenden Eltern in der Namensfrage die Welt offen. Es muss nicht der des Grossvaters und auch keiner aus dem eigenen Sprachraum sein. Treibt die Qual der Wahl die Leute zu dir?
Ich glaube, häufig ist es die Uneinigkeit mit dem anderen Elternteil. Manchmal ist es gut, wenn man eine neutrale Person ohne Verstrickung in die Familienverhältnisse und ohne die Präferenz einer Seite konsultieren kann und so vielleicht auf neue Namen kommt. Ich finde es immer schade, wenn jemand nachgeben muss. Es ist viel schöner, wenn man gemeinsam zu einem Namen kommt, der alle überzeugt.

Wie gehst du vor, wenn du bei der Namenssuche zu Rate gezogen wirst? Es geht ja um eine sehr persönliche Frage und die Geschmäcker sind verschieden.
Ich verschicke ein Formular mit vielen Fragen und die Eltern können entscheiden, was sie beantworten möchten. Die meisten beantworten alles. Je mehr ich weiss, desto individueller kann ich die Liste mit Vorschlägen gestalten. Das macht auch mehr Spass.

Was sind das für Fragen?
Ich muss die bevorzugte Richtung kennen und auch wissen, was sie auf keinen Fall wollen. Ob es Namen gibt, die im Familien- oder Freundeskreis schon besetzt sind. Natürlich ist auch wichtig, wie das Kind zum Nachnamen heissen wird, damit es mit den Initialen kein Problem gibt. Und falls das Kind schon Geschwister hat, sollte der Name vom Stil her dazu passen. Häufig ist es so, dass man beim ersten Kind einen Namen findet, ab dem zweiten oder dritten wird es dann richtig schwierig.

Im persönlichen Kontakt musst du wahrscheinlich erstmal eine gute Beziehung aufbauen.
Ja, ich bekomme einen Einblick in etwas sehr Intimes. In vielen Fällen ist im Vorhinein niemand über den Namen informiert und er wird erst nach der Geburt bekanntgegeben. Ich denke, man tut auch gut daran, diese Entscheidung für sich zu treffen.

Gab es Fälle, in denen Paare dir freudestrahlend ihre Idee präsentiert haben, und du dachtest: Hilfe, das muss ich ihnen ausreden?
Nein, das hatte ich jetzt noch nicht, dass ich dachte: Der Name geht gar nicht. Das wäre der Fall, wenn das Kind einen Schaden davontragen würde. Alles andere ist Geschmackssache.

In welcher Situation könnte ein Kind unter seinem Namen leiden?
Zum Beispiel, wenn der Name rückwärts gelesen problematisch ist. Das berühmteste Beispiel ist Lana. Früher oder später testen die Kinder aus, was ihr Name rückwärts bedeutet und das kann in der Schule schon kritisch sein. Obwohl es ein richtig schöner Name wäre. Wenn ein Name mit zweifelhaften historischen Figuren in Verbindung gebracht werden könnte, ist es natürlich auch kritisch.

Wie wichtig ist der Zusammenklang von Vor- und Nachname? Ich muss manchmal schmunzeln, wenn sie völlig unterschiedliche Bilder im Kopf aufmachen. Wenn der Vorname nach Flamenco, der Nachname nach Emmental klingt. Kann das funktionieren?
Das funktioniert immer besser. Es gibt so viele internationale Familien, die im Namen auch die verschiedenen Kulturen und Sprachen vereinen wollen. Ich glaube, da sind wir viel offener geworden und das ist schön. Auch wenn bei manchen Namen nicht jeder auf den ersten Blick weiss, wie er ausgesprochen wird.

Täusche ich mich oder ist es gar nicht mehr so wichtig, ob man anhand des Namens das Geschlecht eindeutig zuordnen kann?
Absolut! Auch das entspricht dem gesellschaftlichen Trend und ist kein Problem mehr. Ich werde oft nach genderneutralen Namen gefragt, das wird gewünscht. Im Moment ist es noch so, dass eher im englischsprachigen Raum viele Namen für alle Geschlechter gebraucht werden. In der Schweiz sind die meisten klar männlich oder weiblich konnotiert. Aber es wird sich auch aufweichen.

Aus den USA ist zu hören, dass dort immer mehr Mädchen den Namen eines männlichen Vorfahren bekommen, teils in leicht abgewandelter Form.
Es ist tatsächlich so, dass Mädchen zum Beispiel James und Jungen Rose heissen. Die USA sind uns diesbezüglich einen Schritt voraus. Die fragen im Zweifel einfach nach den Pronomen und wie ein Name ausgesprochen wird, dann ist das Thema erledigt.

Welche Regelungen gelten bei uns? Was darf ein Name nicht sein?
Schlussendlich entscheidet das lokale Zivilstandsamt. Das kann dann auch gerichtlich angefochten werden, wenn der Name abgelehnt wird. Aber ich kenne keinen Namen, der abgelehnt wurde. Er darf dem Kind einfach nicht schaden.

Was hältst du davon, mehrere Vornamen zu vergeben? Dann hat das Kind mehrere Optionen, falls es mit dem Rufnamen irgendwann unglücklich ist …
Ich finde das ganz schön. Von vielen Familien wird der zweite Name genutzt, um jemanden aus der Verwandtschaft zu ehren. Als Rufname wird er im Alltag aber nach wie vor selten verwendet.

Was ist den Leuten am wichtigsten, wenn sie sich auf Namenssuche begeben: Der Klang? Die Bedeutung? Oder etwas ganz anderes?
Die meisten Eltern suchen den «sweet spot» zwischen bekannt, aber nicht zu bekannt und individuell, aber gut aussprechbar. Viele wollen keinen aus den Top Ten der beliebtesten Vornamen.

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Die beliebtesten Vornamen sind kurz und knackig: 2023 waren in der Schweiz Noah, Liam und Matteo bei den Jungs am beliebtesten. Bei den Mädchen führten Mia, Emma und Sofia.
Das sind ja auch schöne Namen. Ich finde, wenn einem ein Name gefällt, dann sollten diese Listen keine Rolle spielen und man sollte sich trotzdem dafür entscheiden. Es ist auch immer die Frage, in welchem Einzugsgebiet man sich die Top Ten anschaut. In Zürich? In der Deutschschweiz? Je nach Statistik sind sie sehr unterschiedlich. Und es ist generell so eine grosse Diversität da, dass man keine Angst haben muss, dass mehrere Kinder mit demselben Namen in einer Klasse sind.

Die genannten Namen sind schon länger vorne dabei. Erkennst du neue Trends?
Grundsätzlich sind Namen mit Bezug zur Natur im Kommen. Bei den Jungs zum Beispiel Rio, bei den Mädchen Celeste oder Luna. Ausserdem trenden genderneutrale Namen und Neukombinationen. Es ist nicht mehr so, dass die Namen alle 50 Jahre recycled werden.

Aber es gibt sie schon noch, die Klassiker?
Traditionelle Namen wie Oskar oder Konstantin werden bevorzugt bei den Jungs verwendet. Bei den Mädchen kommen eher neue Kombinationen vor. Das Suffix -lea ist beliebt und führt zu Namen wie Solea oder Malea. Auch Kombinationen mit oder -eva und -lia werden im Moment als ästhetisch empfunden. Zum Beispiel Silia, Felia oder Mileva.

Diese Namen sind alle kurz und international kompatibel. Ist das auch ein Punkt, der häufig in die Überlegungen mit einfliesst?
Absolut. Das ist eines der Top-Kriterien meiner Kundinnen und Kunden. Die nächste Generation ist sehr international unterwegs, viele Familien sprechen unterschiedliche Sprachen und kommen aus verschiedenen Ländern. Da ist es schon schön, wenn möglichst viele Leute den Namen möglichst richtig – und damit im Sinne der Eltern – aussprechen können.

Wann bist du persönlich mit deiner Dienstleistung zufrieden, was ist ein Erfolg für dich?
Wenn Eltern sagen, du hast uns nochmal neu inspiriert. Ich finde es schön, wenn Eltern einen Namen finden, mit dem sie beide zu hundert Prozent zufrieden sind.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.

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