Hintergrund

Coming-out: Ich liebe Dumbphones

David Lee
19.9.2017

Ich teste gerade das Nokia 3310. Ein merkwürdiges Unterfangen, ich fühle mich zu einer Erklärung verpflichtet. Ich bin wahrscheinlich der einzige Tech-Redaktor, der dumme Handys lieber hat als smarte.

Es ist Zeit für mein Coming-out. Ich bin asophophonophil (pseudogriechisch asophos «nicht klug», phone «Telefon» und philia «Freundschaft»). Ich fühle mich nicht zu den gescheiten, smarten Phones hingezogen, sondern zu den dummen, primitiven. Ich wusste das schon sehr früh und es hat sich im Lauf der Zeit trotz zahlreicher Umpolversuche von gutmeinenden, besorgten Mitmenschen nie geändert. Bitte akzeptiert mich, wie ich bin.

Dumbphone-Pornographie

Meine Asophophonophilie

Meine Ausreden, warum ich gerade jetzt noch kein Smartphone haben möchte, sondern erst später, haben sich im Lauf der Jahre immer wieder geändert. Anfangs war es noch einfach zu rechtfertigen: Die Dinger waren teuer und nicht so toll. Das allererste iPhone war in der Schweiz über ein Jahr gar nicht erhältlich, und es konnte nicht mal 3G. Auch die Konkurrenzgeräte waren nicht besser. Sie hatten Bildschirme, die nur auf massiven Druck reagierten, das ganze kombiniert mit Windows Mobile 6.1. Ein Albtraum. Ich konnte vorerst sogar in Tech-Kreisen ein Dumbphone benutzen, ohne als schräger Sonderling aufzufallen.

Das sollte sich aber bald ändern. Spätestens ab 2010 waren auch Android-Smartphones bestens brauchbar. Nur nicht für mich. Zum Launch des Galaxy S inszenierte Samsung eine gigantomanische Show im Hallenstadion, wo gezeigt wurde, wie das Smartphone in jeder Lebenslage mein Begleiter werden sollte. Völlig verständnislos starrte ich an die riesige Leinwand und dachte: Ich will gar nicht so leben. Da war ich aber offenbar, zusammen mit ein paar ewiggestrigen Opas, so ziemlich der einzige.

Dann wurden Smartphones nicht nur brauchbar, sondern auch günstig. Doch für mich gab es immer noch ganz viele Ausflüchte, keines zu kaufen. Smartphones spionieren dich aus. Der Akku ist dauernd leer. Der Bildschirm zerbricht. Und das Schlimmste: Sie machen süchtig. Überall diese Junkies, die nicht mal beim Aussteigen aus dem Zug ihre Finger mal von ihrem Gerät lassen können! Die vom Tram überfahren werden, weil sie ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen. Die völlig irritiert sind, wenn sie ein realer Mensch im realen Leben anspricht und überhaupt nicht wissen, wie man auf so etwas reagieren soll. Willkommen auf der dunklen Seite der Macht!

Ich habe es versucht, aber es ging nicht

2015 gab ich meinen Widerstand auf und kaufte mir ein Smartphone. Ein ziemlich teures sogar, das Yotaphone 2. Ich habe wirklich versucht, den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen, aber es ging nicht. Nach wenigen qualvollen Wochen verkaufte ich das Smartphone wieder und kehrte erleichtert zu meinem Nokia zurück. Respektive zu meinen Nokias, denn ich hatte inzwischen drei. Mit Nokia würde es bald zu Ende gehen, das war schon seit dem Verkauf an Microsoft klar. Aber ich war vorbereitet. «Ich werde bis ans Ende meiner Tage mit Nokia-Dumbphones telefonieren» dachte ich trotzig, mit anderen Worten, ich wurde ein Prepper, der sich für den telekommunikativen Weltuntergang rüstete.

Der Versorgungsengpass an Nokia-Handys war vorhersehbar, und ich war vorbereitet

Wenn es unbedingt muss, geht es doch

Aber es kam anders. Inzwischen war ich vollständig von schwer Abhängigen umzingelt. Und wie das so ist bei Junkies: Sie wissen genau, dass das Zeug schädlich ist, aber sie machen trotzdem weiter. Geheimdienste spionieren die ganze Welt aus, zapfen direkt bei den Datengrosslieferanten an, die Wohnungen unbescholtener Bürger werden mitten in der Nacht von der Polizei gestürmt, am Flughafen wird man wegen einem blöden Witz auf Twitter stundenlang verhört – alles egal. Die Süchtigen aus meinen Freundeskreis drängten mich anfangs freundlich, dann immer renitenter, mich endlich bei WhatsApp anzumelden. Denn mit WhatsApp kann man Termine abmachen! Als ob die Menschheit das zuvor nicht gekonnt hätte. Es gäbe E-Mail, SMS, Doodle, es gäbe sogar verschlüsselte Messenger, aber nein, es muss ums Verrecken WhatsApp sein. Ich hatte die Wahl: Entweder mein soziales Netz zu verlieren oder auch mitzumachen.

Ich machte also mit. Kaufte mir ein Samsung Galaxy A3, Vorjahresmodell, für 199 Franken. Mit diesem Teil kam ich besser zurecht als mit meinem ersten Smartphone. Was mir bei der Umstellung half: Es hat einen Modus namens «Ultrasparen», der das Smartphone im Handumdrehen in ein Dumbphone verwandelt. Und die Hülle sorgt dafür, dass der Bildschirm nicht gleich kaputt geht. So kann sogar ich mit einem Smartphone leben.

Das Nokia 3310 – endlich darf ich so sein, wie ich bin

Doch nun, als ich mich schon auf ein Leben ohne Dumbphones eingestellt hatte, erhalte ich das Nokia 3310 zum Testen. Denn das gibt es ja jetzt in neu. Es ist nicht ganz dasselbe wie das Original, aber es scheint ein lupenreines Dumbphone zu sein: Klein, schön, ehrlich, zuverlässig, unkompliziert. Ob das wirklich stimmt, liest du hier in etwa einer Woche.

Ist es nicht wunderschön?

Update

Der Test ist jetzt fertig und es gibt neu eine 3G-Variante des Nokia 3310:

  • Produkttest

    Nokia 3310 – die Legende lebt

    von David Lee

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