
Dank Studierenden der ETH Zürich filmt Giuliano Carnovali auch im Rollstuhl
Personen im Rollstuhl benötigen beide Hände, um diesen anzutreiben. Gleichzeitig filmen und rollen geht nicht. Studierende der ETH Zürich haben sich diesem Problem für einen Betroffenen angenommen.
Giuliano Carnovali ist leidenschaftlicher Filmer. Für seinen TikTok-Account dreht er regelmässig Clips. Seit einem Unfall vor fünf Jahren sitzt er im Rollstuhl. «Wenn ich mich im Rollstuhl fortbewege, fehlen mir die Hände zum Filmen, da ich mit ihnen angeben muss», erklärt Giuliano. Für gewisse Aufnahmen braucht es aber mehr Dynamik. Deshalb bat er die ETH Zürich um Hilfe. Im Zuge eines Kurses hat sich eine Studierendengruppe der Herausforderung angenommen, Giuliano das Filmen im Rollstuhl zu vereinfachen.
Die Problemstellung
Von dem Projekt erfahre ich von Francesco, einem der Studierenden, die den Rollstuhl von Giuliano modifizieren. Er kontaktiert mich, weil sie einen Gimbal dafür benötigen. Diesen stellt mein Arbeitgeber zur Verfügung und ich schaue mir das Projekt der Gruppe bei einem Treffen genauer an.

Quelle: Kevin Hofer
An einem verregneten Nachmittag treffe ich Francesco Bianchi, Valentina Haas, Michela Calabrò und Rahel Kaufmann an der ETH. Giuliano ist ebenfalls vor Ort. Heute wollen sie ihre Lösung ein erstes Mal am Rollstuhl anbringen. «Zunächst mussten wir uns mit Giuliano zusammensetzen, um die Problemstellung genau zu verstehen», erklärt mir Francesco. Giulianos rollstuhlkompatible Halterung ist eines von drei Projekten, für das sich die Studierenden eines Kurses an der ETH einschreiben konnten. Die Teams wurden dann von den Dozierenden aufgrund ihrer Fertigkeiten zusammengesetzt.

Quelle: Kevin Hofer
Die Idee
Nach dem ersten Austausch mit Giuliano ist klar: Von ihrem ursprünglichen Plan, einer Kamerawagen ähnlichen Konstruktion, müssen die Studierenden abkommen. «Wir haben uns gesagt: Wieso sollen wir etwas basteln, wenn wir einen bestehenden Gimbal einsetzen können? Dieser ist erprobt und funktioniert», meint Francesco. In der Folge machen sich die Studierenden an die Arbeit. Ihre Idee: Einen Gimbal so am Rollstuhl anbringen, dass Giuliano nach Herzenslust filmen kann. Zunächst planen sie noch mit einem Gimbal für eine Systemkamera. Der Aufbau wäre so aber zu gross. Deshalb wechseln sie später auf einen für Smartphones. Die Aufgaben teilen sie nach ihren Kompetenzen auf.

Quelle: Kevin Hofer
Bei meinem Besuch sind die Studierenden am Filmen. Als Leistungsnachweis machen sie ein Video ihrer Arbeit. Ihre Lösung für Giuliano lehnt an einem Stuhl im Raum. Es handelt sich um eine Art Arm. Das Team plant ein Metallrohr senkrecht am Rollstuhl zu befestigen. Über ein Kugellager ist der Arm – ein Vierkantrohr – in einem 90-Grad-Winkel daran befestigt. So lässt er sich schwenken, damit Giuliano aus dem Rollstuhl ein- und aussteigen kann. «Den Arm haben wir am Computer gezeichnet und vom Schlosser der ETH fertigen lassen», sagt Francesco. Heute prüfen die Studierenden unter anderem, ob die Adapter, mit welchen der Arm am Rollstuhl befestigt wird, passen.

Quelle: Kevin Hofer
Diverse Anpassungen
Schnell stellt sich heraus: Das tun sie nicht. Die in 3D-Druck gefertigten Adapter lassen sich nicht wie gewünscht am Rollstuhl befestigen. Schuld sind die Winkel des Rollstuhlrahmens. «Wir haben zwar die Pläne des Rollstuhls vom Hersteller und haben ihn auch schon einmal live gesehen, gewisse Winkel sind aber nicht eingezeichnet oder hatten wir nicht auf dem Schirm.»

Quelle: Kevin Hofer
Statt den Arm ein erstes Mal zu befestigen, heisst es für die Studierenden: Design anpassen. Auf einen weiteren, 3D-gedruckten Prototypen verzichten sie jedoch. «Dazu fehlt uns die Zeit. Wir müssen das Projekt demnächst abschliessen.» Deshalb schicken sie die überarbeiteten CAD-Zeichnungen an den Schlosser, damit er sie aus Metall fräst. «Wir sind zuversichtlich, dass es jetzt passt.»
Neben dem Filmen und dem Anpassen der Adapter besprechen die Studierenden auch Lage und Höhe des Arms. Soll er auf der linken oder rechten Seite des Rollstuhls angebracht werden? Wie hoch soll er sein? Und: Wo sollen die Befestigungsschrauben für den Gimbal hin? Momentan ist dieser noch mit Klebeband und Kabelbinder befestigt. Später soll er sich jedoch ähnlich wie Kameras auf Stativen über eine Schraube einfach anbringen und entfernen lassen.

Quelle: Kevin Hofer
Der Arm soll sich aber nicht nur vorne montieren lassen, sondern auch hinten am Rollstuhl. So kann Giuliano aus einem weiteren Blickwinkel filmen. «Ich freue mich auf die neuen Perspektiven, wenn der Arm fertig ist», meint er denn auch.
Das Ergebnis
Ein paar Wochen nach meinem Besuch schickt mir Francesco ein Gruppenbild:

Quelle: Francesco Bianchi
«Wir sind zufriedener als erwartet. Als du dabei warst, war der Adapter, welcher jetzt «Wheelcam» getauft wurde, überproportional gross. Nachdem wir ihn jedoch angepasst haben, passt er proportional und im Winkel sehr gut! Wir haben schon eine erste potentielle Bestellung von einem anderen Betroffenen.»

Quelle: Rahel Kaufmann
Trotz aller Zufriedenheit sind die Studierenden auch kritisch: «Wir hätten agiler planen müssen. Wir haben uns sehr schnell auf etwas festgelegt, das nicht anpassbar war. Ferner hätten wir mit agilerem Planen am Schluss nicht so einen Zeitdruck gehabt.»
Und Giuliano? «Das Gerät sieht super aus. Es erinnert mich an einen Space Rover. Ich kann es nicht erwarten, damit zu filmen.» Seine ersten Versuche mit der Wheelcam siehst du im Video, das die Studierenden als Leistungsnachweis gemacht haben.
11 Personen gefällt dieser Artikel


Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.