Das erste Mal am Oktoberfest: So (schlimm) wars
Hintergrund

Das erste Mal am Oktoberfest: So (schlimm) wars

Livia Gamper
3.10.2022

Landauf, landab machen Menschen diesen Monat in Lederhosen und Dirndl die Strassen und Bahnhöfe unsicher, um irgendwo im Krachen in ein Oktoberfest-Zelt zu sitzen. Ich war das erste Mal eine von ihnen.

Als Ostschweizerin bin ich öfters an Volksfesten anzutreffen. Auf die in die Schweiz importierten Oktoberfeste habe ich aber bisher immer leicht verachtend geschaut. Die Festzelte, die plötzlich seit ein paar Jahren in jedem Kaff wie Unkraut auftauchen, können gar nicht gut sein. Klar, dass ich bisher auf das pseudo-bayrische Pendant dankend verzichtet habe. Doch als meine Kollegin mich vor einem halben Jahr (!) so lieb fragt, dass ich nicht nein sagen kann, habe ich mein Schicksal besiegelt.

Ich gehe an eine Schweizerische Aneignung des über 200-jährigen urbayerischen Brauchtums und grössten Volkfests.

Natürlich gehe ich im Dirndl, ich will nicht in Zivilkleidung negativ auffallen. Bei mir hat es nur für die günstige Alternative aus einem Onlineshop gereicht – die echten sind exorbitant teuer und um eines zu mieten, war ich viel zu spät dran. Dass ich in meiner bayrischen Tracht wegen des engen Schnitts kaum sitzen kann, nehme ich als nötiges Übel an.

Eine Zugfahrt, viel Bier (die Trinkfesten trinken schon vor dem Trinkfest) und eine Gruppenwanderung mit allen Oktoberfestbesuchenden später, sind wir da. Was in München den Reichen vorbehalten bleibt, bekommen in der gut organisierten Schweiz alle: einen reservierten Festbank. Darf man auch erwarten, habe ich doch 60 Stutz hingeblättert.

Mass und Bizepstraining sind einbegriffen

Kaum im Festzelt angekommen, kommt die erste Überraschung: Es gibt hier nicht nur Hendl und Haxen zum Verspeisen, sondern für die Vegis auch Kartoffelsalat, Brezn, Sauerkraut und Pasta-Pesto. Ich nehme die traditionelle vegetarische Option aka den Beilagenteller. Aber immerhin – an anderen Volksfesten musste ich schon oft mit Brot ohne Senf vorliebnehmen.

Dazu gibt’s die erste Mass. Die kommt mit dem Menü, das im Eintrittspreis inbegriffen war – ich bin erstaunt. In gewissen Zürcher Clubs zahlst du gleich viel Eintritt und bekommst dafür nur einen bösen Blick vom Türsteher.

Ritzenhoff & Breker Bierkrug JUPP Maßkrug (1 l, 1 x)

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1 l, 1 x

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Biergläser

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1 l, 1 x

Dass eine Mass schwer ist, nämlich 2,3 Kilogramm, wusste ich. Wie schwer das allerdings wirklich ist, war mir bis zur Oktoberfest-Premiere nicht bewusst. Jedes Anstossen wird zum Bizepstraining und jeder Schluck zum Mini-Workout. Am Ende des Abends bin ich vor lauter Anstossen nahe an einer Sehnenscheidenentzündung.

Sturzbänke überall

Als wären die riesigen Biermasskrüge nicht schon genug schwer zu manövrieren, steht, kaum sind die Teller leer, das gesamte Zelt kollektiv auf den Festbänken. Und springt darauf herum, als wären es Trampoline im Garten von Einfamilienhäusern. Im Laufe des Abends sehe ich mehrere Bänke brechen und noch mehr Leute hinunterstürzen. Wo bleibt die Suva, wenn man sie mal braucht? Und geht das unter «Nichtbetriebsunfall?»

Alle stehen auf den Bänken. Und eine angeknabberte Brezel liegt hier auch noch rum.
Alle stehen auf den Bänken. Und eine angeknabberte Brezel liegt hier auch noch rum.

Kaum steht man als Gruppe etwas zu weit auf dem vorderen oder hinteren Rand der Sitzgelegenheit, kippt diese schneller weg als der Durchschnittsoktoberfestler den Jägermeister in sich hinein. Um uns herum fallen immer wieder Leute auf die Tische, Biermass leeren in grossem Mass aus, Menschen rappeln sich hoch. Gäste, Tische und Boden sind biergetränkt und es wird noch viel rutschiger auf den schmalen Holzbänken.

Ich verstehe die Tradition des «Bankstehens» nicht. Wenn einfach neben den Bänken gestanden würde, würden wir die Live-Band genau gleich gut sehen, die vorne Schlager nach Schlager zum Besten gibt. Von Rosi bis Layla wird selbstverständlich alles mitgegrölt.

Total eskaliert es, als das grosse Herumlaufen beginnt – nicht etwa um die Tische herum, sondern darüber. Ein Typ mit Lederhosn will zu meiner Kollegin, bemerkt aber nicht, dass auf der Bank dorthin sonst niemand steht. Er tritt auf das Ende der Bank und befördert diesen katapultartig nach oben und sich selber unter den Tisch. Schmerz lass nach.

Drei Polonaisen und Prosits später

Weil mir dieses Treiben viel zu gefährlich wird – ich will weder meine Zähne an einer Mass herausschlagen, noch mir alles brechen, weil ich vom Bank falle – suche ich nach einer sicheren Alternative.

Diese finde ich zwischen den Bänken. Immer wieder schlängeln sich Polonaisen durch das Festzelt. Felsenfest mit beiden Füssen am Boden und den Händen vorne aufgestützt, erkunde ich in Tatzelwurmform das Festzelt. Und nach jedem Prosit und einem Hoch auf die Gemütlichkeit – also etwa alle halbe Stunde – stosse ich mit dem jeweiligen Festnachbarn an.

Dann, pünktlich um Mitternacht, ist der ganze Spuk vorbei. Das Licht geht an. Geordnet verlassen alle Volkstfestler das Festzelt und machen sich auf die Gruppenwanderung zurück zum Bahnhof auf. Während vereinzelt Leute gestützt werden müssen und andere vor lauter Torkeln das Dreifache an Weg zurücklegen, fällt mir etwas auf: Viel Alkohol? Sexistische Schlager? Festzelte in Kuhkäffern? Das kenne ich alles schon.

Das Schweizer Oktoberfest unterscheidet sich kaum von den hiesigen Hundsverlocheten. Nur das Bankstürzen, das Dirndl und die Vegi-Optionen sind neu. Vielleicht habe ich die Nase nur die ganze Zeit so gerümpft, weil das schon fast zum guten Ton gehört? Ein bisschen wahrscheinlich. Vor allem aber schon wegen der ganzen Nichtbetriebsunfälle. Das ist sogar mir zu krass. Da gehe ich lieber wieder ans Säulirennen an der Olma. Diese beginnt schon am 13. Oktober.

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Experimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival. 


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