Das Geheimnis von Alan Smithee: Hollywoods erfolgreichstes Phantom
Steven Spielberg, Ridley Scott oder Quentin Tarantino – es gibt viele Regisseure, die bekannter und erfolgreicher sind als Alan Smithee. In Sachen Produktivität hingegen macht ihm keiner was vor, und das hat seine Gründe.
«Dafür stehe ich mit meinem Namen.» Mit diesem Spruch wirbt Hipp seit Jahrzehnten für seine Babynahrungsmittel aus biologischem Anbau. Klar, der Name soll für einwandfreie Qualität stehen. Für das Gegenteil gibt es zumindest auch in Hollywood einen Namen: Alan Smithee. Siehst du diesen Namen in den Credits, stehen die Chancen verdammt gut, dass der Film grottig ist.
Schlecht ist nicht immer gleich schlecht
Nun gibt es Filme, die sind so schlecht, dass sie auf abstruse Weise schon wieder gut sind und mit der Zeit sogar Kultstatus erlangen. Zum Beispiel «Attack of the Killer Tomatoes» aus dem Jahre 1978, der sogar mehrere Fortsetzungen mit sich zog. So ist 1988 in «The Return of the Killer Tomatoes» ein gewisser George Clooney zu sehen. Hoppla Schorsch!
Es gibt auch Filme, die sind so schlecht, dass sie einfach schlecht sind. Und zwar so schlecht, dass selbst der Regisseur nicht mit seinem Namen dafür stehen will. In solchen Fällen übernimmt dann gerne mal Alan Smithee die Rolle des Sündenbocks. Das ist kein Problem für ihn, denn Alan ist aalglatt wie Teflon. Häme und Kritik perlen einfach an ihm ab, er geht stur und unbeirrt seinen Weg fragwürdiger Filme und Schnittfassungen.
Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage
Davon zeugt auch IMDb, diegrösste Online-Datenbank zum internationalen Filmschaffen. Laut dieser hat Alan Smithee inzwischen bei über 150 Filmen Regie geführt. Dazu gesellen sich Dutzende Einträge in Sparten wie Drehbuch, Kamera, Produktion oder Musik. Und als ob das nicht schon genug wäre, hat er auch bei Comics und Videospielen mitgewirkt.
Du siehst, Alan Smithee ist ein regelrechter Hansdampf in allen Gassen. Ein Tausendsassa. Wenn nicht sogar ein Universalgenie – und dann erst noch einer, der schon ewig im Kino-Business ist. Länger als beispielsweise Steven Spielberg. Aber weisst du, was das Verrückteste an Alan Smithee ist?
Er hat nie existiert.
Das von der Gewerkschaft empfohlene Pseudonym
1968 kam es bei den Dreharbeiten für den Western «Death of a Gunfighter» zu einem Streit zwischen Regisseur Robert Totten und Hauptdarsteller Richard Widmark, der darin gipfelte, dass Totten durch Don Siegel ersetzt wurde. Siegel stellte den Film zwar fertig, wollte aber nicht als Regisseur in den Credits aufgeführt werden, weil er weniger lange daran gearbeitet hatte als Totten und der Film noch deutlich dessen Handschrift trug. Robert Totten wiederum weigerte sich nach seiner Absetzung ebenfalls, als Regisseur genannt zu werden.
Ein Dilemma, denn nach dem Willen der Directors Guild of America (DGA) musste der Regisseur als treibende kreative Kraft eines Films zwingend in den Credits aufgeführt werden. Und so kam es, dass die Gewerkschaft der US-amerikanischen Regisseurinnen und Regisseure entgegen ihrer bisherigen Vorgaben zum Einsatz eines Pseudonyms riet.
Es war die Geburtsstunde von Allen Smithee, aus dem später Alan Smithee wurde. Da sich die Dinge damals noch nicht so schnell herumsprachen wie heute, wurde dieser Name tatsächlich für bare Münze genommen. So schrieb etwa der Filmkritiker Roger Ebert in seiner Rezension zu «Death of a Gunfighter» wohlwollend:
Warum eigentlich Alan Smithee? Weil dieser Name einzigartig und doch unauffällig sei, sagt die DGA. Zudem sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass er mit einem echten Namen verwechselt wird. Das Gerücht, dass Alan Smithee lediglich ein Anagramm für «The Alias Men» sein soll, hält sich seit Jahrzehnten hartnäckig. Das wiederum tut die DGA als Mythos ab. Sie bestreitet es sogar. Warum weiss niemand, schliesslich passt der Name doch eigentlich wie die Faust aufs Auge.
Der Mann mit prominenten Gesichtern
Seither kommt Alan Smithee meist bei künstlerischen und kreativen Differenzen zum Einsatz. So wollte David Lynch in den 1980er-Jahren mit der Schnittfassung fürs Fernsehen von «Dune» nicht in Verbindung gebracht werden. Die TV-Version entsprach noch viel weniger seiner Vision als die Kinofassung, für die er auch schon nicht das Recht am endgültigen Schnitt hatte. Was Lynch übrigens bis heute bereut.
Das Hickhack um David Lynchs «Dune» ist möglicherweise das bekannteste Beispiel für den Einsatz von Alan Smithee. Doch es gibt weitere bekannte Namen, die mit Schnittfassungen ihrer Filme so unzufrieden waren, dass sie sich ersetzen liessen. «Easy Rider»-Schöpfer Dennis Hopper wollte mit der 90-minütigen Version von «Backtrack» (1990) nichts zu tun haben. Erst im zweistündigen Director’s Cut auf VHS gab er sich in den Credits als Regisseur zu erkennen. «24»-Star Kiefer Sutherland liess sich nachträglich als Regisseur von «Woman Wanted» streichen … Vielleicht, weil der Film, in dem er notabene auch eine Hauptrolle spielt, so schlecht ist? Womöglich peinlich war es auch «Evil Dead»- und «Spider-Man»-Schöpfer Sam Raimi und seinem älteren Bruder: Das Drehbuch für «The Nutt House» (1992) schrieben sie als Alan Smithee Junior und Alan Smithee Senior.
Das Ende von Alan Smithee
Von 1968 bis 2000 empfahl die DGA Alan Smithee offiziell als Pseudonym, wenn Regisseure mit dem Endprodukt nicht in Verbindung gebracht werden wollten. Doch trotz dieser Empfehlung genehmigte die Gewerkschaft den Einsatz des Pseudonyms nicht in jedem Fall. Tony Kaye etwa durfte sich 1998 nicht als Regisseur von «American History X» streichen lassen. Er verstiess nämlich gegen die goldene Regel der DGA und äusserte sich öffentlich negativ zum Film, weil dieser mehrmals und ohne sein Wissen oder Einverständnis umgeschnitten worden war.
Alan Smithees Ende läutete 1997 der Mockumentary-Film «An Alan Smithee Film: Burn Hollywood Burn» ein. Darin will ein Filmemacher namens Alan Smithee (gespielt von «Monty Python»-Urgestein Eric Idle) seinen Namen in den Credits des Endprodukts streichen lassen. Was nicht so einfach ist, weil sein richtiger Name das offizielle Pseudonym für solche Fälle ist.
Obwohl der Film mit bekannten Namen wie Sylvester Stallone und Whoopie Goldberg nur so gespickt ist, scheint «Burn Hollywood Burn» ein ganz übles Machwerk zu sein. Eines, bei dem auch Regisseur Arthur Hiller unzufrieden war mit dem finalen Schnitt und sich durch Alan Smithee ersetzen liess.
Das war für die DGA zu viel des Guten. Oder besser gesagt: zu viel Alan Smithee. Das Pseudonym war zu bekannt geworden und dessen Ruf zu ruiniert. Filme mit diesem Namen in den Credits galten automatisch als schlecht, was es Studiobossen und Kinobetreibern noch schwieriger machte, den Film erfolgreich zu vertreiben. So hob die Gewerkschaft ihre offizielle Pseudonym-Empfehlung im Jahr 2000 auf. Stattdessen empfiehlt sie inzwischen andere Pseudonyme wie beispielsweise Thomas Lee. Dieser Name kam erstmals bei «Supernova» zum Einsatz, wo sich der eigentliche Regisseur Walter Hill aus den Credits streichen liess.
Alan Smithees Vermächtnis
Und, war’s das jetzt mit Alan Smithee? Mitnichten. Seit dem Jahr 2000 kommt er weiterhin fleissig zum Einsatz als Regisseur für Filme, Serienepisoden, Musikvideos und mehr. Sogar in mehreren noch nicht veröffentlichten Projekten ist er schon aufgeführt. Einerseits stecken wohl weiterhin künstlerische Differenzen hinter dem Einsatz dieses Pseudonyms. Auf der anderen Seite dürfte es ein Stück weit auch Kalkül sein, Alan Smithee in den Ring zu schicken. So ein populärer Name lässt nun mal aufhorchen. Wie heisst es in Marketing-Kreisen so schön (und meistens falsch): «Bad publicity is better than no publicity.»
In diesem Sinne wird Alan Smithee die Arbeit wohl auch in Zukunft nicht so schnell ausgehen. Auch wenn sich im digitalen Zeitalter kaum mehr verheimlichen lässt, wer tatsächlich hinter einem Film steckt. Diesen Beitrag hat übrigens nicht Alan Smithee geschrieben. Dafür stehe ich mit meinem Namen.
Ich bin Vollblut-Papi und -Ehemann, Teilzeit-Nerd und -Hühnerbauer, Katzenbändiger und Tierliebhaber. Ich wüsste gerne alles und weiss doch nichts. Können tue ich noch viel weniger, dafür lerne ich täglich etwas Neues dazu. Was mir liegt, ist der Umgang mit Worten, gesprochen und geschrieben. Und das darf ich hier unter Beweis stellen.