Mikamax Springseil
28 cm
Das Springseil ohne Seil zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Aber wie das bei Liebe auf den ersten Klick manchmal so ist, entpuppt es sich beim Realitätscheck als ziemlicher Mist. Dabei wäre die Lösung so einfach – und wird sogar mitgeliefert.
Schatz oder Scherzartikel? Als ich beim Stöbern im Sportsortiment über das Springseil von Mikamax stolpere, versüsst es mir ob seiner Absurdität im ersten Moment den Alltag. Denn statt eines verbindenden Seils baumeln zwei kleine Kunststoffkugeln an den losen Griffen. Das sieht, vorsichtig formuliert, etwas seltsam aus. Nach etwas, das die Welt nicht braucht. Aus Neugier besorge ich mir dieses Produkt, das selbstbewusst zu sagen scheint: «Warum sollte das Seil beim Seilspringen denn nicht verzichtbar sein?» So viel Chuzpe verdient einen genaueren Blick.
Es ist schon so, dass Kabel, Schnüre und Seile störend sein können. Das Telefon ist ein gutes Beispiel. Während wir früher «an der Strippe» hingen und beim Telefonieren einen Bewegungsradius von anderthalb Metern hatten, sind wir heute in der völligen Freiheit gefangen, immer und überall verbunden zu sein. Auch an Computern, Fernsehern, Kopfhörern und Lautsprechern empfinden die meisten jedes Kabel weniger als Gewinn. Aufmerksame Geister stellen fest, dass das Kabel bei allen genannten Produkten Mittel zum Zweck war und mittlerweile verzichtbar ist, weil neue Wege gefunden wurden, dasselbe Ziel zu erreichen.
Auch beim Seilspringen ist das Seil eindeutig Mittel zum Zweck, der da ist, rhythmisch über ein aus den Handgelenken beschleunigtes, um den Körper rotierendes Seil zu springen, ohne sich zu verheddern. Das namensgebende Teil wegzulassen ist mutig, weil damit ein grosser Teil des Sinns verschwindet. Das eigentliche Ziel der Übung lässt sich nun nicht mehr erreichen.
Seilspringen ohne Seil ist nur noch Springen. Immerhin: eine sportliche Betätigung, die eine Ahnung davon vermittelt, wie Seilspringen sein könnte. So wie Telefonieren ohne Kabel früher einfach nur ein Hörer-ans-Ohr-halten und somit Kleinkindern vorbehalten war. Ein So-tun-als-ob. Keine Kommunikation. Aber eine Vorstufe davon, die selbst im Windelalter beherrschbar ist. Dem Seilsprung-Simulator muss dagegen der Drahtseilakt gelingen, sich für eine ältere Zielgruppe interessant zu machen, ohne dass diese sich verarscht vorkommt.
Dafür setzt er erstens auf ein Display und zweitens auf eine Geschichte. Ein Display, das bei Bewegung irgendwas anzeigt, dient als Rechtfertigung, zwei Griffe ohne Seil in der Hand zu halten. Und die Geschichte liefert das passende Problem für die soeben entwickelte Lösung, das Seil wegzulassen.
Du kennst das: Kaum hast du mit dem häuslichen Work-out begonnen, reisst dein herkömmliches Springseil eine Vase vom Sockel, bevor du damit versehentlich die Katze strangulierst. Überall dort, wo ein umherfliegendes Seil ein Risiko darstellen könnte, bist du mit der Wireless-Variante auf der sicheren Seite. Du zerstörst damit nichts. Höchstens deine Selbstachtung. Also packen wir’s an. Beziehungsweise aus.
Die Verpackung macht in elegantem Dunkelblau noch was her. Doch kaum ist sie offen, verströmt sie genau die ungute Kunststoffnote, die dir beim Anblick des Bildes aus dem Geruchsgedächtnis in die Nase steigt. Das Set enthält zwei Griffe, wovon einer mit einem Display und vier Tasten in der Grösse eines Reiskorns versehen ist.
Damit kannst du einstellen, wie oft du gerne über ein Seil springen würdest, wenn da eins wäre. Oder wie lange du springen möchtest. Dein Gewicht will es auch noch wissen, um als Bonus einen Wert für die Kalorien anzuzeigen, die du eventuell verbrannt haben könntest.
Ausserdem finden sich in der Packung natürlich die beiden kabelähnlichen Seilersatzbommel, deren Enden in die Griffe gefädelt werden. Genau genommen ist das Springseil also nicht wireless, sondern benötigt lediglich less wire. Das Wertvollste scheint mit die Ersatzbatterie zu sein. Ein kleiner Schraubenzieher rundet das Angebot ab.
Mein Blitztest ergibt, dass ich mir beim Seilspringen mit Bommeln so doof vorkomme, dass ich nach fünfzehn Sekunden wieder aufhören muss, obwohl mich niemand dabei beobachten kann. Zwar fühlt es sich nicht komplett unrealistisch an, die Kugeln statt eines Seils durch die Luft zu wirbeln. Du kannst damit so tun, als ob du Seilspringen würdest. Aber es ist freud- und damit sinnlos.
Nichts zischt durch die Luft, nichts klatscht auf den Boden, die Griffe klappern traurig in der Hand. Es ist eine Trockenübung, wie Schwimmbewegungen am Strand.
Damit würde dieser Kurztest mit der lange heraufbeschworenen Enttäuschung enden, wenn da nicht noch etwas in der Verpackung wäre: ein Seil! Ein Seil, das an ein Stromkabel erinnert und sich als echtes Killer-Feature erweisen könnte. Also schnell gewechselt, weg mit den Bommeln und siehe da, nun ergibt die Sache Sinn und ist auch eine koordinative Herausforderung. Mikamax sollte offensiver damit werben, dass eines dabei ist. Es ändert alles.
Aber da das Verkaufsargument nun mal kein Seil ist, hole ich eine Zweitmeinung ein und drücke die beiden Bommelgriffe meinem siebenjährigen Sohn in die Hand. Der rudert hopsend damit in der Luft herum, hört sofort wieder auf und befindet mit verständnislosem Blick: «Ohne Seil bringt das doch nichts.» Und ich merke, dass das Wireless-Seil auch nicht unbedingt etwas für Anfänger ist.
Man muss den Rhythmus beim Seilspringen schon verinnerlicht haben, um bei den Handbewegungen nicht völlig verloren zu sein. Nach dieser Erfahrung erhärtet sich mein Verdacht: Vielleicht gibt es am Springseil gar nichts zu optimieren oder zu digitalisieren. Vielleicht ist es ja zu Ende entwickelt und einfach gut so, wie es ist. Hier findest du eine grosse Auswahl. Das Wireless Jumping Rope taugt dagegen vor allem als Babyrassel. Es sei denn, du montierst das Seil.
Trotz dieses Reinfalls blicke ich weiterhin mit Begeisterung auf das Sortiment von Mikamax. Von der «Angry Mama» über das Brandeisen fürs Steak bis zur Meerjungfrauschwanzdecke ist noch viel mehr dabei, wovon ich niemals geträumt habe. Weihnachten kann kommen.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.