«Dass man nur Lautstärke 29 oder 31 wählen kann – wer macht so was!?»
Luca hat 99 Probleme, doch er hätte lieber 100. Denn sein Hauptproblem sind Zahlen, die nicht rund sind. Sie lassen ihm keine Ruhe. Ein Gespräch über die unzumutbaren Unregelmässigkeiten des Lebens.
Eigentlich hatte ich nicht vor, schon wieder ein Interview über eigenartige Verhaltensweisen zu führen. Doch dann schreibt Luca im Chat, dass er manchmal ein falsches Datum angibt, «einfach damit es eine schöne, runde Zahl ist.» Moment mal, wie bitte? Darf ich vorstellen: Luca Fontana, bekannt als TV-Experte, weniger bekannt als Zahlenneurotiker.
Luca, stört es dich, dass ich diesen Interviewtermin auf 13:59 Uhr angesetzt habe?
Weniger ausgewogene Menschen als ich würden das als Schikane betrachten. Ich nehm's aber sportlich. Noch. Es wäre mir aber schon lieber gewesen, du hättest 14:00 Uhr gewählt. Wie das normale Menschen halt so machen.
Was ist denn so viel besser an einer runden Zahl?
Sie wirkt ... vollständiger. 13:59 ist nicht 14:00 Uhr. Es hetzt mich. Als müsste ich alle paar Minuten auf die Uhr schauen. Die Null ist harmonisch. Ordentlich. Aufgeräumt. Vollständig. Nichts davon ist die 59 in 13:59 Uhr.
Sind unrunde Zahlen bloss unschön, oder stressen sie dich so richtig?
Früher musste ich mit der S12 um 7:32 Uhr ins Büro fahren. Der Bus zum Bahnhof fuhr um 7:17 Uhr von meiner Busstation ab. Die einzige schöne, runde Zahl, die ich kontrollieren konnte, war, dass ich um 7:10 Uhr von zu Hause loslaufen konnte. Brrrr! Welches Monster erstellt so einen Zeitplan? Warum kann es nicht die S10 um 7.30 Uhr sein?!
Weil die S10 schon woanders fährt?
Genau. Das ist der Grund, warum ich nicht mehr Zug fahre. Mit dem Auto kann ich immerhin abfahren, wann ich will. Mit anderen Worten: Um 7:30 Uhr.
Ich finde 64 schöner als 65 – besser teilbar ...
Du bist auch so ein Monster, das ein Interview auf 13:59 Uhr ansetzt. So, jetzt hast du mich da, wo du mich haben wolltest, nehme ich an?
Ich versuche nur, das Problem zu verstehen – sofern es überhaupt eines ist. Empfindest du es als problematisch? Behindert es dich im Alltag?
Ganz und gar nicht. Ich betrachte es als einen völlig normalen Versuch meines Unterbewusstseins, Ordnung in meinen Alltag zu bringen. Ich beachte mein Tun nicht besonders und fühle mich völlig normal darin.
Naja, das glaub ich dir jetzt nicht ganz. Du hast gesagt, dass du ewig auf dem Laufband trainierst, weil entweder die Kalorienzahl oder die Zeit nicht passt ...
Das stimmt. Wenn ich auf dem Laufband sage, okay, heute laufe ich 20 Minuten, und dann nach 20 Minuten sehe, dass ich 243 Kalorien verbrannt habe, dann laufe ich extra noch ein bisschen länger, damit ich auf die 250 Kalorien komme. Wenn ich dann aber sehe, dass ich jetzt 23 Minuten gelaufen bin, laufe ich noch ein bisschen länger, damit ich auf 25 Minuten komme. Das bringt dann aber wieder die Kalorienanzahl durcheinander ...
Das ist doch die Hölle!
Vielleicht ist das ja eine spielerische Art und Weise meines Unterbewusstseins, mit der Unberechenbarkeit des Lebens umzugehen.
Es deutet also nichts auf ein tieferes Problem hin?
Jetzt, wo du's sagst. Mit der Sony-Fernbedienung kann ich die Lautstärke meines Sonos-Systems nur in Zweierschritten verändern. Lautstärke 30 wäre perfekt, aber ich kann nur zwischen 29 oder 31 wählen. Das geht gar nicht. Also schalte ich auf 35 hoch. Das zerreisst mir zwar fast das Trommelfell, aber immerhin erlange ich durch die 35 innere Ruhe. Das ist es mir wert. Vielleicht ist das ja doch ein Problem. Aber ganz ehrlich: Dass man die Lautstärke nur in Zweierschritten regeln kann – wer macht so was!?
Zweierschritte für ungerade Zahlen, wohlgemerkt.
So was macht mich fertig. 0, 1, 3, 5 ... es ist falsch. Einfach falsch.
Was ist besser: Ein 90-Grad-Winkel oder ein 100-Grad-Winkel?
90-Grad-Winkel. Ganz klar.
Wieso? 100 ist doch eine super Zahl ...
Sag das meinem Geodreieck!
Stören dich denn auch schräge Linien und generell Unordnung?
Wenn ich auf Fliesen laufe, versuche ich, nicht auf die Fugen zu stehen. Wenn ich über den Zebrastreifen gehe, meide ich es, sowohl auf als auch zwischen den gelben Streifen zu gehen. Entweder oder. Ich würde sagen, dass mich Linien und Unordnung irgendwie triggern, auch wenn ich selber nicht ganz verstehe, inwiefern. Ich habe auch eine ganz klare Reihenfolge, wie ich mein Gipfeli esse. Willst du sie wissen?
Unbedingt.
Zuerst ziehe ich in der Mitte, am Zipfelchen, den knusprigen Rand einmal weg. Dann esse ich die beiden knusprigen Enden links und rechts. Von hier an freestyle ich den Rest.
Aha, und äh, das gibt dir dann so ein bisschen das Gefühl, dein Leben im Griff zu haben?
Wie gesagt, das Leben ist unberechenbar. Nicht alles kann ich kontrollieren. Sehr wohl aber, wie ich mein Gipfeli esse. Das ist ein beruhigendes Gefühl.
Kommt dir dein Verhalten manchmal verrückt oder absurd vor?
Irgendeine Macke hat doch jeder. Solange sie dich im Alltag nicht komplett beeinträchtigt, macht das nichts. Ich kenne jemanden, der immer, wenn er eine Spinne mit dem Staubsauger einsaugt, danach eine Münze einsaugen muss, die sie erschlägt. Ich frage mich, wieviel Geld da in seinem Staubsauger steckt ...
Windows bleibt für immer bei Version 10. Müssten das alle Hersteller so machen?
So einen Vorstoss würde ich sofort unterschreiben und in der Bundesverfassung an erster Stelle setzen, noch vor den Freiheiten und Rechten des Volkes.
Eigentlich ein schönes Schlusswort, aber es ist jetzt 14:24. So können wir nicht aufhören, oder?
Warte.... warte... jetzt. Jetzt können wir aufhören. Es ist 14:25 Uhr.
Ich hätte zwar noch eine schöne Frage gehabt ...
NEIN!
Freust du dich auf deinen 50. Geburtstag?
Tatsächlich freue ich mich mehr auf den, als auf den 49. Geburtstag. Ausserdem freue ich mich auch mehr auf den 65. als auf den 64. Zum Glück ist das Pensionsalter für Männer genau dann. Apropos, 14:26 Uhr... du weisst, dass wir noch bis 14:30 Uhr weitermachen müssen?
Ja, das war mir klar.
Du verstehst mich also?
(überlegt vier Minuten lang) Das Was ist nicht schwer zu verstehen, nur das Warum. Jedenfalls danke für diesen Einblick in Dinge, über die man normalerweise nicht so gern redet!
Ich danke dir für deine Rücksicht, das Interview um 14:30 Uhr zu beenden!
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.