La Sportiva Aequilibrium ST GTX
Der Aequilibrium strapaziert das Gleichgewicht
Ein bequemer Wanderschuh ist er, der Aequilibrium ST GTX von La Sportiva. Den Fels dagegen mag er nicht. Die vielseitige Teststrecke durch die Tessiner Alpen überlebte das Leichtgewicht nur arg lädiert. Deswegen habe ich dem verletzungsanfälligen Italiener bereits nach 19 Tagen «ciao» gesagt.
Der Rucksack war gepackt und der Aequilibrium ST GTX von La Sportiva bereit für den Stresstest. Angepriesen wird der Schuh als «ultraleichter Bergschuh für technische Exkursionen, ideal für Klettersteig, Trekking, Gletscherüberquerungen und wechselndes Terrain». Also quälte ich den Allrounder der Trienter Bergschuhschmiede 200 Kilometer über die schroffen Gipfel und steilen Alpweiden der Via Alta Vallemaggia.
Wanderfinken für heisse Aufstiege
Starten wir mit den Stärken: Der Tragekomfort des Aequilibrium ST GTX hat mich sofort überzeugt. Der am Fusse der Dolomiten entwickelte Bergschuh fühlt sich an wie ein gut gepolsterter Wanderfinken. Die Sohle ist ungewöhnlich weich, was das Abrollen erleichtert. Besonders positiv aufgefallen ist mir zudem das gute Fuss- und Schuhklima: Während ich in sommerlicher Gluthitze bei 30 Grad am Berg gegrillt wurde, blieben meine Füsse stets angenehm temperiert.
Beim Gang über Schnee und Eis dagegen wurde schnell klar, dass es bei kalten Temperaturen für die Zehen eher frostig werden dürfte. Wie auch immer: Mit 630 Gramm pro Fuss ist der Italiener ein Federgewicht und somit ein leichtfüssiger Begleiter. Mit etwas Training könnte sogar Yann Sommer im Stadio Giuseppe-Meazza damit auflaufen und mit Inter Mailand zu neuen Höhenflügen ansetzen.
Schaft innert Tagen zerlegt
Wer jenseits grasiger Weiden auch im felsigen Gelände unterwegs ist, darf mit dem Aequilibrium ST GTX nur kurz flirten. Nach einigen Kilometern im Geröll zeigte sich, dass der verletzungsanfällige Italiener über wenig Stehvermögen verfügt. Im Schaft klafften subito links und rechts Löcher. Der abriebfeste Knöchelschutz franste aus, so dass der Schuh an mehreren Stellen undicht wurde. Gleiches gilt für die Schutzränder an der Schuhspitze und an der Ferse. Der Kunststoff erodierte innert weniger Tage und die Schweissnähte zeigten erste Risse. Gerade hinten, wo der Steigeisenbügel auf der Kunststoffnaht aufliegt, ist ein Ermüdungsbruch programmiert.
Der Absatz: das Werk eines Genies oder eines Halbschuhs?
Für mich schlicht eine Fehlkonstruktion ist der Absatz. Die Idee, den Wandersleuten etwas Dämpfung im Abstieg zu schenken, ist zwar löblich. Doch der Effekt der erhöhten Ferse ist in vielerlei Hinsicht unsinnig: Erstens bleibt man mit dem Absatz gerne an Unebenheiten hängen. Zweitens ist die Auflagefläche der Sohle im Mittelfuss und Fersenbereich sehr klein – der Schuh verliert an Bodenkontakt und somit an Reibung. Gerade bei feuchtem Untergrund bin ich ungewohnt weggerutscht. An zwei heiklen Kletterstellen hat mich der Aequilibrium damit schwer aus dem Gleichgewicht gebracht. Das darf nicht sein. Und last but not least: Die weichen Noppen an der Ferse haben schroffem Felsen nichts entgegenzusetzen. Sie bekommen Risse und brechen früher oder später ab.
Den Testschuh habe ich nach zweieinhalb Wochen im Gebirge an La Sportiva zurückgeschickt und temporär den 10-jährigen Nepal Top aus dem Ruhestand zurückgeholt. Mein Fazit: Wäre der Aequilibrium ST GTX als robuster Trekkingstiefel deklariert, bekäme er von mir mindestens vier von fünf Sternen. Das Prädikat Bergschuh, mit dem er angepriesen wird, hat er dagegen nicht verdient. Denn dem Fels ist er nicht gewachsen.
Titelfoto: Tobias BilleterMitarbeitende und Medien auf dem Laufenden zu halten, das ist mein Job. Ohne frische Bergluft geht bei mir allerdings nix! In der Natur hole ich mir den langen Atem, um stets dranzubleiben. Und beim Jazz die Ruhe, um meine Teenager zu bändigen.