Hintergrund

Der Bambusbetrug in meinem Bett

Seit gut einem Jahr schlafe ich mit einem natürlichen Bambus-Duvet. Dachte ich zumindest. Anscheinend steckt da doch einiges an Chemie drin.

Bis vor Kurzem hatte ich eine dicke Daunendecke, die noch aus meinem Kinderzimmer stammte. Ich sah lange keinen Grund, Geld in eine neue zu investieren, obwohl sie mir zu warm war. Denn ich habe Mühe, intakte Dinge zu ersetzen. Vor allem aber treffe ich Kaufentscheidungen nur schwer. Im Kleiderladen schleiche ich gefühlt vierzigmal an einem Produkt vorbei, nehme es in die Hand, hänge es zurück, bis ich es überhaupt anprobiere. Beim Kauf eines Tisches musste mein Freund mit mir eine Kaffeepause einlegen, damit ich all die gesehenen Exemplare sacken lassen konnte.

Vor einem Jahr aber habe ich mich durchgerungen, zumindest nach neuen Duvets zu sondieren. Bei den Wärmepunkten reichen mir ein bis zwei, was einer leichten Decke entspricht. Dort gibt’s dann auch sehr viele Optionen: Polyester, Kamelhaar, Zirbenflocken, Hanf und und und. Ich habe mich für Bambus entschieden.

Ein Naturprodukt oder doch nicht?

Bambus klang für mich am nachhaltigsten, wird doch etwa jedes (vermeintliche) Öko-Ersatzprodukt aus dem Material hergestellt. Ausserdem gedeiht das verholzende Süssgras unglaublich schnell. Der Moso-Bambus zum Beispiel wächst täglich fast bis zu einem Meter. Aufgrund dieser Eigenschaft wurde Bambus gar als Foltermethode genutzt: Der zu Folternde wurde über einen Bambusspross gelegt, der sich dann innerhalb weniger Tage durch den Körper des Opfers bohrt und unglaubliche Schmerzen verursacht, welche zum Tod führen können. Unter anderem wurde diese Methode von Japan im Zweiten Weltkrieg angewandt. Deutlich schöner sind die symbolischen Bedeutungen, die der Bambus in einigen Kulturen hat. In China steht er zum Beispiel für langes Leben und in Indien für Freundschaft.

So in etwa musst du dir die Bambusfolter vorstellen.
So in etwa musst du dir die Bambusfolter vorstellen.

Freunde werden ich und die Textilindustrie, zumindest was mein Duvet betrifft, nicht mehr; ich fühle mich von ihr verhöhnt. Denn die Bambusfasern sind eigentlich Bambusviskosefasern. Ein grosser Unterschied. Bei Viskosefasern ist lediglich das Ausgangsprodukt, die Zellulose, natürlich. Danach werden hintereinander verschiedene Chemikalien wie Natriumhydroxid, Schwefelsäure oder Schwefelkohlenstoff hinzugemischt, um eine viskose (daher der Name) Flüssigkeit zu erhalten, die dann zu Filament verarbeitet und schliesslich zu Fasern gesponnen wird. Die hat dann nicht mehr sonderlich viel mit dem Naturprodukt zu tun. Herausgefunden habe ich das erst, als ich die Decke waschen wollte und mir deshalb das Etikett genauer angeschaut habe.

Auf dem Etikett steht's. Hilft beim Onlinekauf aber nur wenig.
Auf dem Etikett steht's. Hilft beim Onlinekauf aber nur wenig.

Irreführung mit grünen Schlagworten

Dieser Umstand wird in vielen Produktbeschreibungen auf Galaxus, aber auch den Herstellerseiten unterschlagen oder gar beschönigt. Zur Verwirrung wird mit Wörtern wie «Naturprodukt», «nachhaltig» und «Ökotex 100», einer Zertifizierung, die lediglich besagt, dass das Produkt keine für den Menschen schädlichen Substanzen beinhaltet, um sich geworfen. Ja, Bambus selbst ist natürlich und auch nachhaltig, da schnell nachwachsend, die Viskosefaser aber nicht. Da könnte man aus Gründen der Ethik und Transparenz gerne darauf hinweisen.

Ein Beispiel: Beim Duvet «Bernina Uno» von Billerbeck finde ich erst auf der Herstellerseite heraus, dass es sich bei der Füllung um Bambusviskose handelt. Und dort auch erst sehr weit unten, nachdem das Duvet erst in der Kategorie «Natur» verortet wurde.

Um selbst nichts zu unterschlagen: Ja, die Ökobilanz von Bambus ist gut. Er bietet hohe Erträge mit geringem Flächen- und Wasserverbrauch, durch seine Widerstandsfähigkeit müssen keine Düngemittel und Pestizide eingesetzt werden und er bindet viel CO₂. Getrübt werden diese Eigenschaften durch den Hauptproduzenten der Pflanze: China. Das bedeutet einerseits lange Transportwege und andererseits eher dürftige Sozialstandards. Beim Bambusanbau fallen die weniger ins Gewicht, da er noch nicht so stark industrialisiert ist wie der anderer Agrargüter und oft auf kleinbäuerliche Betriebe zurückgeht. Doch auch die Viskoseproduktion findet oft in China statt. Und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken dort erfüllen keine europäischen Standards.

Die sogenannten Regeneratfasern, die in meinem Duvet stecken, sind also nicht nur schlecht. Ich schlafe sehr gerne unter ihnen und sie sind besser als synthetische Fasern. Denn im Gegensatz zu Polyester wird zur Herstellung kein Erdöl benötigt. Unterdessen gibt es auch ein umweltverträgliches Verfahren zur Viskoseherstellung, bei dem auf die organische Verbindung N-Methylmorpholin-N-Oxid gesetzt wird. Sehe ich aber in den Produktdaten, ob die Fasern meiner oder andere Bambusdecken damit hergestellt wurden? Nein. Wer sichergehen will, achtet beim Kauf auf das schöne Kompositum «Naturbambusfaser», da steckt keine Chemie drin.

Ich werde mich jedoch weiterhin mit meinem unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erstandenen Bambusviskose-Duvet zudecken. Denn bis ich mich für eine Alternative entschieden habe, legen wir uns alle schon in eiskalten Edelstahlbehältern schlafen.

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