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Wie viel Füdlibluttsein darf's denn sein?
von Ümit Yoker
Ich bin Papa. Meine Tochter ist vier Jahre alt und surft noch nicht im Internet. Vorausschauend wie ich bin, überlege ich mir schon mal, wie ich meine Tochter vor Gewaltdarstellungen, Extremismus und anderen heiklen Inhalten schützen werde.
Der Anstoss für diesen Artikel kam von Produktmanager Sebastian Karlen. Eigentlich wollte Sebastian, dass ich die Sicherheitseinstellungen von Routern, die sogenannten «parental controls», erkläre. Ein Kunde hätte sich dafür interessiert. Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto mehr kam ich ins Grübeln.
Dieser Text ist übrigens nach einer Nacht entstanden, wo ich stündlich den Wecker gestellt habe, um regelmässig Fieber beim kranken Kind zu messen. Dieser Artikel ist also voller väterlicher Sorge, kann dafür den einen oder anderen Tippfühler enthalten.
Vergangene Nacht lag ich also unter dem Hochbett unseres kleinen Monsters und surfte zwischendurch auf dem Smartphone. Als ich auf Reddit über einen ziemlich derben Thread – es ging um Fetische – gestolpert bin, kam mir der Router-Artikel wieder in den Sinn. Das brachte mich auf den Gedanken, wie meine Frau und ich das eigentlich handhaben werden. Wie macht das Zukunfts-Aurel, wenn das nicht mehr so kleine Monster selbst in den Untiefen des Internet unterwegs ist? Da gibt es Dinge, von denen ich definitiv nicht will, dass meine Tochter sie sieht. Beziehungsweise, ich möchte nicht, dass sie alleine damit konfrontiert wird.
Einige Anhaltspunkte, wie Eltern in Deutschland mit den Fragestellungen umgehen, liefert die umfangreiche Kim-Studie. Weiter gehts für 12- bis 19-Jährige mit der JIM-Studie.
Ich unterteile das Problem in verschiedene Entwicklungsperioden meiner Tochter:
Ich glaube, jede Phase wird ihre ganz eigenen Herausforderungen haben. Abhängig vom Entwicklungsstadium unserer Tochter werden meine Frau und ich das Thema unterschiedlich handhaben müssen. Und vor allem: wir sollten in der Sache ungefähr die gleichen Ansichten haben und am selben Strang ziehen. Über einiges davon haben wir bereits diskutiert, über anderes noch nicht.
Es ist ganz einfach: Jetzt und in nächster Zeit sind die wichtigste Sicherung – wir Eltern. Meine Tochter wird nicht alleine am Computer oder Tablet sitzen oder auf meinem Smartphone herumspielen dürfen. Ende der Geschichte. Einen TV besitzen wir übrigens nicht.
Da wir anwesend sind, liegen die Gefahren hier eigentlich nur in den Werbemitteln, die auf Internetseiten eingeblendet werden. Da geht es auf Seiten, wo ich durchaus mal landen könnte, zur Sache. Beispiel: ich öffne *hust* zu Recherchezwecken *hust* die Seite mit den neusten Uploads von Piratebay:
Klar, das ist jetzt ein harmloses und etwas doofes Beispiel. Ist nicht so, dass ich das für total unmoralisch halte. Gewalt und Extremismus beschäftigen mich mehr als Nacktheit oder Sexualität. Es geht mir dabei mehr um das Selbstbild meiner Tochter. Aber früher oder später wird sie sowieso herausfinden, dass es Männer gibt, die auf Frauen stehen, deren Brüste so gross wie die Euter von Kühen sind. Und lernen damit umzugehen, dass ihr eigener Körper anders gebaut ist. Voll okay. Aber nicht mit vier Jahren.
Die Alltagsprobleme sind viel eher, dass während des Kochens die Radionachrichten laufen. Und ich meiner Tochter erklären muss, weshalb Menschen Krieg führen, weil sie unterschiedliche unsichtbare Wesen anbeten. Weshalb Menschen sich gegenseitig absichtlich Schmerzen zufügen. Weshalb Menschen verhungern, während wir im Überfluss leben. Es gibt keine Software, die dies leisten kann. Ergibt auch keinen Sinn, diese Aufgabe ist nicht delegierbar.
Deshalb reicht für Phase 1 ein simpler Adblocker. Mein Favorit is uBlock Origin.
Irgendwann wird Phase 2 eintreten. Wie alt meine Tochter dann sein wird, weiss ich nicht. Aber es kommt der Zeitpunkt, an dem sie allein auf dem Computer oder dem Tablet herumdrücken darf. Fakt ist, dass wir sie nicht permanent überwachen werden können. Und wollen. Irgendetwas speziell filtern möchte ich eigentlich nicht. Der Plan ist, dass wir abmachen, was genau sie in der Zeit unternehmen oder anschauen möchte. Die Seite surfen-ohne-risiko.net mit Netzregeln bookmarke ich mir.
Einige Bordmittel bieten schon die Betriebssysteme Windows («Windows Family Safety») und MacOS («Parental Control»). Sowohl auf Windows als auch beim Mac könnten maximale Nutzungszeiten definiert werden, etwa «eine Stunde pro Tag», oder Sperrzeiten, zum Beispiel «kein Internet zwischen 22 Uhr und 6 Uhr».
Falls doch ein Content Filter aktiv sein soll, reichen die Bordmittel nicht. Ich will ja nicht jede einzelne Internetseite überprüfen, ob sie möglicherweise unerwünscht ist. Software wie «Net Nanny» oder «Kasperski Safe Kids» setzen hier an und bieten Filter, die (solange das Abo läuft) aktualisiert werden. Auch diese Programme könnten zusätzlich die Nutzungszeit kontrollieren. Falls sämtliche Absprachen und Regeln nicht fruchten würden.
Stufe zwei in der Aufrüstung sind Sperren auf Router-Ebene. Aber auch hier gibt es verblüffend einfache Gegenmittel. Schaut man sich YouTube-Videos an, reicht bei einigen Geräten scheinbar schon das Wechseln der IP-Adresse. Mit dem Ändern der MAC-Adresse der Netzwerkkarte strecken dann die meisten Router die Waffen. Ausser natürlich, ich lasse nur noch autorisierte Geräte ins Netz und sperre Gäste aus.
Es gibt Anleitungsvideos auf YouTube, wie Schutzmechanismen ausgehebelt werden. Das Interesse ist vorhanden, diese Clips haben zehntausende Aufrufe. (Fun Fact: Der «eingeschränkte Modus» auf YouTube filtert diese Videos nicht.)
Der Haken dabei: Hürden können anspornend wirken. Das hat schon Klein-Aurel gemacht. Damals, als Computerbildschirme mit 640×480 Pixel auflösten und uns bei den neuen Spielen mit 256 (!!!) Farben die Kinnlade runterklappte. Ich beschäftigte mich damals mit Batch-Scripten für MS-DOS. Mein Computer-Buddy Thomas wohnte im selben Haus. Für seinen Vater bastelte ich ein Script, das bei jedem Start des Computers einen Timestamp in eine Datei schrieb. Er glaubte doch tatsächlich, dass er nun wüsste, wann der Computer aufgestartet worden sei. Phaha! Das nächste Script, das ich schrieb, hatte natürlich einzig die Aufgabe, die letzte Zeile aus der Timestamp-Datei zu löschen. Merke: Verbote wirken auf magische Weise anziehend.
Diese Filter zu umgehen ist sozusagen ein Intelligenztest. Ich erwarte von meiner Tochter geradezu, dass sie die Hürden überwindet. Sie ist nicht auf den Kopf gefallen und wird mir den Zahlencode, mit dem mein Smartphone entriegelt wird, abgucken. In einem ersten Anlauf will ich auf Abmachungen setzen: Wir besprechen vor der selbständigen Nutzung, was gemacht wird. So viel Vertrauen müssen wir zueinander haben.
Das Gegenmodell mündet in einer Rüstungsspirale und Überwachungskultur, die Zeit, Geld und Nerven kosten wird. Nein danke.
Notiz an Zukunfts-Aurel – Praxistipps für Phase 2:
Irgendwann wird meine Tochter ein eigenes Smartphone oder einen eigenen Laptop haben. Spätestens dann ist es mit Kontrolle sowieso vorbei. Allfällige Sperren würden auf dem Pausenplatz entfernt, Kostenpunkt ein Kaugummi oder ein Abziehbildli. Ebenfalls auf dem Pausenplatz werden gewalttätige oder abstossende Inhalte als Mutprobe herumgereicht.
Mehr als ein simples und nachvollziehbares Set an Regeln wird nicht drin liegen:
Die einzige Hardware und Software, die sie benötigt, ist ihr Kopf. Bis dann müssen wir als Eltern unseren Job gemacht haben und ihr gesunden Menschenverstand, Selbstvertrauen und eine Portion Skepsis mitgegeben haben.
Wie macht ihr das? Mich nähme wunder, ob es Eltern gibt, die mit nützlichen Praxistipps aufwarten können. Merci!
Ich bändige das Editorial Team. Hauptberuflicher Schreiberling, nebenberuflicher Papa. Mich interessieren Technik, Computer und HiFi. Ich fahre bei jedem Wetter Velo und bin meistens gut gelaunt.