Durchgeboxt: Was ich im Ring übers Leben gelernt habe
Boxen ist mehr als ein Sport. Denn nicht nur der Körper wird trainiert, auch dein Selbstbewusstsein. Immer mehr Frauen finden daran Gefallen. So auch ich.
Seit ich denken kann, bewundere ich Werte wie Disziplin, Respekt und Beharrlichkeit. Wahrscheinlich, weil ich für meinen Teil eine Meisterin der Inkonsequenz bin. Wenn mich etwas nicht begeistert, bin ich bald eine Staubwolke. Das betrifft Männer, Jobs und Sport. Trotzdem fahre ich quer durch die Stadt zu meinem Boxstudio. Egal wie müde oder gestresst ich bin. Auch mit einem ordentlichen Kater im Genick. Zu jeder Jahreszeit. Applaus! Ich bin Fitnessboxerin. Soll heißen: viel Kraft, viel Ausdauer. Wir boxen auf Säcke, auf den Trainer und einander in die Boxpratzen (Anm.:Pratzen = Hände). Nicht ins Gesicht, nicht wirklich auf den Body. Aber wer weiß, vielleicht kommt das noch. Ziemlich sicher sogar.
Körper & Geist: Boxen bringt Balance
Alles begann in einem netten, kleinen Hipster-Fitnessclub. Eigentlich wollte ich – 180 cm groß und äußerst solide gebaut – das Gewichtheben für Ladies lernen. War nichts. Zu statisch, zu fad, immer dasselbe und wenn du nicht genau aufpasst, nicht immer brav den Bauch anspannst, kannst du dich ordentlich verreissen. Boxen bedeutet ebenfalls eine gewisse Routine. Du lernst die Schlag- und Schritt-Techniken von offensiv bis defensiv so lange, bis du sie beherrschst. Es geht nicht ums Draufdreschen. Es geht ums Rauslassen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt, und es geht ums Zurückhalten, wenn Zurückhaltung gefragt ist. Du lernst den eigenen Körper besser kennen, lernst Situationen schneller einzuschätzen. Hauszuhalten mit den Gefühlen, mit den Kräften. Auch wenn das anfängliche Springschnurspringen immer noch nervt und die abschließenden Burpees, Lunges und Russian Twists direkt aus der Hölle kommen.
Wenn Frauen sich durchboxen
Warum ich so konsequent mit dabei bin? Es ist das Team und es ist der Trainer. Der Trainer nimmt uns ernst. Er hat uns so lange wie Sportlerinnen behandelt, bis wir Sportlerinnen wurden. Wir sind eine Frauengruppe zwischen 30 und 55 von jeglicher Kubatur. Es gibt die kleinen Flinken, die großen Mamas, die Beißerinnen, die Zähen und mich – die laute Riesin. Unsere Unterschiede machen uns stark. Wir achten aufeinander und wir achten einander. Ich schätze unsere rein weibliche Gruppe. Frauen und Männer sind anders krank, anders gesund.
Die Wissenschaft beschäftigt sich verstärkt mit den sozialen Geschlechterunterschieden beim Sport und meint: Frauen bewegen sich öfter und intensiver, wenn sie «unter sich» sind. Ich gebe (fast) alles, aber vor allem gebe ich es regelmäßig. Schwitze schwallartig, stöhne, keuche, leide und genieße gleichzeitig. Nein: Boxen ist nichts für ästhetisch Veranlagte, die beim Training gerne anbandeln wollen. Boxen ist etwas für Menschen, die wachsen wollen. Auch das macht die Magie dieses Sports aus: Respekt und Disziplin. Begriffe gemacht wie für harte Kerle? Nö. Werte, die diese Welt ein Stückchen besser machen.
Kontrolle erkämpfen
Ob die sich auch auf mein Verhalten außerhalb des Rings auswirkt? Nein, nicht wirklich. Nach Phasen der intensiven Konzentration und Beständigkeit holt mich mein unsteter Charakter immer wieder ein. Dann tue ich nichts – oder Dinge, die mir nicht guttun. Lasse Menschen in mein Leben, die Gift versprühen. Esse Zucker zum Frühstück und Kohlenhydrate am Abend, pfeife aufs Abschminken, ignoriere Deadlines, streite im Internet mit Fremden und zahle meine Steuern zu spät. Aber immerhin: Einen kleinen Teil meines Lebens – und zwar jenen, den ich unter Kontrolle habe –, konnte ich mir erkämpfen.
Wortwörtlich.
Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.