Einfach den Stecker ziehen: Die Geschichte von Konrad Zuse
Hintergrund

Einfach den Stecker ziehen: Die Geschichte von Konrad Zuse

Kevin Hofer
13.11.2020

Wer hat’s erfunden? Die Deutschen! Genauer: Konrad Zuse. Der Träumer, Visionär und Erfinder entwickelte den ersten, vollautomatischen, digitalen Universalrechner der Geschichte und das während dem Zweiten Weltkrieg.

Es dröhnt und pfeift. Die Erde zittert. Das Werkzeug auf dem Tisch rattert von den Erschütterungen. Es ist das Jahr 1943. Berlin befindet sich im Ausnahmezustand. Die Alliierten fliegen fast jede Nacht Luftangriffe. Wer kann, bringt sich im Bunker in Sicherheit. Nicht so Konrad Zuse. Der begnadete Tüftler tut, was er am besten kann: Er erfindet Rechenmaschinen – auch dann, wenn die Bomben bereits fallen.

Vom Künstler zum Erfinder

Konrad Zuse wird am 22. Juni 1910 in Berlin geboren. Sein Vater Emil ist Beamter und seine Mutter Maria Hausfrau. Früh zeigt sich sein Talent zum künstlerischen Gestalten. Der verträumte Konrad malt und schauspielert gerne. Er möchte am liebsten Künstler werden. Seine Eltern sind äusserst tolerant, unterstützen und fördern ihren Sohn. Nebenbei zeigt er auch grosses Interesse an technischen Konstruktionen, der Metallbaukasten ist sein ständiger Begleiter.

Zuse als Kind
Zuse als Kind
Quelle: Screenshot Youtube

Nach dem Abitur 1928 bewirbt sich Zuse bei der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Dort will er Maschinenbau studieren. Die Kunst lässt er erstmal liegen, da er im politischen Klima Deutschlands keine Zukunft darin sieht. Bald stellt er jedoch fest, dass das enge Korsett der Universität seinen schöpferischen Geist hemmt. Er wechselt mehrfach die Fakultät und studiert schliesslich Bauingenieurwesen.

Nach dem Studium 1934 arbeitet er für kurze Zeit bei den Henschel-Flugzeugwerken in Berlin. Seine Hauptaufgabe dort: Rechnen. Von früh bis spät. Er bezeichnet diese Arbeit als menschenunwürdig und kündigt 1935. Bereits gegen Ende des Studiums hat sich Zuse überlegt, eine vollautomatische Rechenmaschine zu konstruieren. Diesen Plan will er jetzt in die Realität umsetzen.

Von der Z1 zur Z3

Da ihm das Geld für eine Werkstatt fehlt, eröffnet er seinen Eltern seine Vision. Die wollen ihren Sohn unterstützen und stellen ihm ihr Wohnzimmer zur Verfügung. Und noch mehr: Der Vater, eigentlich bereits Rentner, geht wieder arbeiten, um dem Sohn seinen Traum zu finanzieren. Aber auch die Schwester und der Rechenmaschinenfabrikant Kurt Pannke unterstützen Zuse.

Mit Freunden tüftelt er von 1936 bis 38 im elterlichen Wohnzimmer an einer Rechenmaschine, die binär arbeiten soll. Er konstruiert sie mit einem Speicher, einer arithmetischen Einheit und einer Kontrolleinheit. Drei Komponenten, die auch heutige, moderne Rechner auszeichnen. 1938 ist die Z1 fertig, die erste programmgesteuerte Rechenmaschine der Welt. Die Maschine ist jedoch fehleranfällig. Sie besteht nämlich aus tausenden Metallplatten, die Zuse und seine Freunde in mühsamer Kleinarbeit mit der Laubsäge ausgeschnitten haben. Diese Platten verhaken sich bei den Operationen immer wieder. Zuse will mehr.

Nachbau der Z1 im Deutschen Technikumuseum Berlin
Nachbau der Z1 im Deutschen Technikumuseum Berlin
Quelle: Wikipedia

Von 1938 bis 39 entwirft Konrad Zuse die Z2. Statt auf Metallplatten setzt er für das Rechenwerk auf Telefonrelais. Diese besorgt er sich bei Zeugämtern. Dort landen Relais, die zu schlecht sind, um Telefonverbindungen zu schalten. Er muss jedes der 800 Relais einzeln für seine Z2 tauglich machen. Das Experiment glückt: Zuse ist von der Zuverlässigkeit überzeugt. Da er beim Speicher noch auf Metallplatten setzt, macht er sich an den Bau der Z3, die vollständig mit Relaistechnik funktionieren soll.

Die Z3 besteht aus rund 600 Relais im Rechenwerk und 1400 im Speicher. Am 12. Mai 1941 ist es soweit: Zuse stellt den Z3 vor. Die Anwesenden sind begeistert, jedoch versteht niemand ausser Konrad Zuse selbst die Tragweite seiner Erfindung. Der Z3 ist die erste digitale, binäre, programmierbare und speicherfähige Rechenanlage der Welt.

Nachbau der Z3 im Deutschen Museum in München
Nachbau der Z3 im Deutschen Museum in München
Quelle: Deutsches Museum

Schicksalsschläge und Neuanfänge

Zu dieser Zeit ist der 2. Weltkrieg in vollem Gange. Auch die Nationalsozialisten werden auf Zuse aufmerksam. Er wird von mehreren Institutionen mit Geld gefördert. Wie Zuse zum Nationalsozialismus steht, ist nicht klar. Er lässt sich auf jeden Fall vom Apparat unterstützen und distanziert sich nicht davon.

Die Z1 und Z3 werden bei Bombenabwürfen der Alliierten zerstört. Die Z1 wird Zuse in den 80er Jahren aus dem Kopf nachbauen. Das Modell steht heute noch im Deutschen Technikmuseum in Berlin. Ein weiterer Beweis für die Genialität Zuses. Dieser lernt während den harten Kriegsjahren seine Frau Gisela kennen und heiratet sie. Selbstverständlich arbeitet er weiter an Rechenmaschinen. Die Z4 kann Zuse nicht mehr in Berlin fertigstellen. 1945 flüchtet er mit der schwangeren Gisela und der Z4. Wie viele andere Flüchtlinge aus Berlin landet die Familie in Göttingen. Hier erhält er ein Angebot der Nationalsozialisten: Er soll seinen Rechner ins KZ Dora-Mittelbau bringen. Dort arbeiten KZ-Häftlinge an Raketenwaffen. Die verstörenden Eindrücke des KZ schrecken Zuse jedoch ab und er flüchtet mit der Familien in die Alpen.

In Hinterstein im Allgäu versteckt Zuse die Z4 vor den Alliierten in Einzelteilen. Hier wird auch sein Sohn Horst geboren. Um über die Runden zu kommen, stellt Zuse Holzschnitte her und tauscht sie bei den Bauern gegen Lebensmittel. Trotz der harten Umstände lassen ihn seine Rechenmaschinen nicht los. Er schreibt in dieser Zeit sein Plankalkül. Dabei handelt sich um die erste höhere Programmiersprache. Alle modernen Programmiersprachen basieren auf den Konzepten des Plankalküls.

Zu dieser Zeit wird in den Staaten Howard Aiken als Erfinder des modernen Computers gefeiert. Mehrere Jahre, nachdem Zuse erfolgreich seine Z3 in Betrieb genommen hat. Da die Maschine zerstört wurde und sein Patentantrag von 1941 noch nicht entschieden ist, kann Zuse aber nicht beweisen, dass er der Erste war.

1949 wagt Zuse einen Neuanfang. In der frisch ausgerufenen Bundesrepublik Deutschland gründet er die Zuse K.G. Das Unternehmen startet als Drei-Mann-Betrieb, Zuse eingeschlossen. Zuerst baut er seine Z4 fertig und verleiht sie der ETH Zürich. Das macht andere Unternehmen auf Zuse aufmerksam. Das Geschäft wächst schnell. In einem Fernsehbeitrag von 1958 widmet sich der Hessische Rundfunk dem aufstrebenden Unternehmen. Zuse baut in den Folgejahren eines der führenden Zentren der europäischen Computerindustrie auf. Mitte der 60er Jahre beschäftigt die Zuse K.G. über 1000 Mitarbeitende. Geschäftliche Angelegenheiten, also der Papierkram, kosten Zuse immer mehr Zeit. Als Geschäftsmann ist er nicht so talentiert wie als Erfinder – er trifft einige Fehlentscheide. So gerät das Unternehmen immer mehr in Schieflage und er muss es 1967 an Siemens verkaufen.

Damit nicht genug: Ebenfalls 1967 wird sein Patentantrag für die Z3 abgelehnt. Der Grund: fehlende Erfindungshöhe. Diesem Entscheid geht ein Jahrelanger Rechtsstreit mit den Triumph Werken Nürnberg voraus. Gestützt wird Triumph von IBM Deutschland. Die Unternehmen versuchen mit historischen Dokumenten zu belegen, dass andere Erfinder Zuses Konzept vorweggenommen haben. Die Strategie geht auf. Für Zuse enden 26 Jahre des bangen Wartens und Rechtsstreits in einer riesigen Enttäuschung. Ein herber Schlag für Konrad Zuse, zumal er seine Vision einer vollautomatischen Rechenmaschine mit der Z3 eigentlich in die Tat umgesetzt hat. Dank ihm können wir heute stupide Rechenaufgaben Computern überlassen.

Zuse 1992
Zuse 1992
Quelle: Wikipedia

Späte Anerkennung

Trotz des tiefen Schlags gibt Zuse nicht auf. Er versucht weiterhin, den Beweis für seine Z3 zu erbringen. Nebenbei widmet er sich jetzt wieder einer Leidenschaft aus seiner Jugendzeit: der Malerei. Erst mit der Zeit erhält Zuse die Anerkennung für sein Werk. 1999 wird ihm posthum der Fellow des Computer Museum History Center in Palo Alto für sein Werk verliehen.

Zuse selbst verfolgt die Entwicklung der Computer zeitlebens weiter. Er wird auch zum Mahner und setzt sich für Datenschutz und Kontrolle ein. Er beschreibt seinen Werdegang später mit:

Verträumter Pennäler, Bummelstudent, verhinderter Künstler, Maurer, Computer-Bastler, gescheiterter Unternehmer, Professor ohne Honorar, Büttenredner, verkannter Weltverbesserer, überspannter Erfinder, abgeklärter Philosoph.
Zitat aus «Deutsche Nullen: Sie kamen, sahen und versagten»

Zuse stirbt im Dezember 1995. Er wurde 85 Jahre alt. Und einen Tipp dafür, was wir tun sollen, wenn Computer einmal zu mächtig werden, gibt er uns ebenfalls mit:

«Wenn die Computer zu mächtig werden, dann zieht den Stecker aus der Steckdose.»

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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