Eure Desk-Setups, Teil 7: Andys Arbeitsplatz der anderen Art
An diesen Arbeitsplatz kann man sich nicht hinsetzen. Es gibt keinen Stuhl und nicht mal einen Schreibtisch. Aber viel aussergewöhnliche Digitaltechnik. Willkommen in Andys MR-Studio.
Wir haben euch aufgefordert, eure Arbeitsplätze zu zeigen. Das, was uns Andy eingeschickt hat, ist kein Arbeitsplatz im engeren Sinne. Andy kann dort nicht an einem Schreibtisch sitzen und E-Mails schreiben. Und doch passt es: Es ist ein Ort für eine bestimmte Art von Arbeit – und für Games.
An einem heissen Julitag stehen wir hier zu dritt in diesem relativ kleinen, knallgrünen Raum. Andy erklärt meiner Kollegin Michelle und mir sein Studio. Das schwarze Ding in der Mitte des Fotos oben ist eine VR-Brille. Hier lassen sich VR-Spiele komfortabel spielen. Der Raum ist leer und die Wände sind weich – somit läuft der Spieler oder die Spielerin nicht Gefahr, zu stolpern oder etwas zu beschädigen.
Hier wird aber nicht bloss gespielt, und das ist der Grund für die grüne Farbe. Der Raum dient als Video-Studio. Grün ist normalerweise die Farbe, die zum Freistellen in Videos verwendet wird: Der grüne Hintergrund wird ausgefiltert und bleibt unsichtbar. Damit kann das Motiv vom Hintergrund losgelöst und in ein anderes Videobild eingesetzt werden.
In diesem Fall heisst das: Die Person, die das VR-Game spielt, wird in das Game selbst hineingeschnitten. Man spricht dann von MR, also Mixed Reality.
Aber warum?
Bei einem VR-Spiel sieht der Spieler das Spiel, nicht aber sich selbst. Bei allen Leuten, die dabei sind, ist es umgekehrt. Niemand sieht beides – also den Spieler im Spiel. Die Person, die spielt und die anderen sind visuell komplett abgetrennt. Die Videos, die Andy macht, bringen die beiden Welten zusammen. So lassen sich VR-Demos zeigen, die einen besseren Eindruck vermitteln, wie das Spiel gespielt wird.
Andy befasst sich seit etwa fünf Jahren mit der Thematik. Primär ist es ein Hobby. Aber wie das bei Hobbys so ist: Sie können eskalieren. Fünf Monate hat er am Studio gebaut und insgesamt etwa 15 000 Franken ausgegeben. Hier siehst du den Bau im Zeitraffer. Das Fenster hinter der grünen Wand ist übrigens immer noch zugänglich – der Mittelteil lässt sich abnehmen.
Mittlerweile bekommt Andy auch Aufträge, zumeist von kleineren Spieleentwicklern. Diese möchten zeigen, wie ihr Spiel mit der spielenden Person aussieht, haben aber selbst nicht die Möglichkeit, eine solche Demo zu produzieren.
VR-Brille: Das Wichtigste ist die Ortung und Synchronisation
Als VR-Brille kommt eine Valve Index zum Einsatz. Die ist zwar nicht annähernd so neu wie die Meta Quest 3, aber für Andys Zwecke besser. Denn wichtig ist hier vor allem eine gute Synchronisation von Kamerabild und Gamebild.
Zur Ortung hat Andy drei HTC Vive Base Station 2.0 montiert, zwei davon sind auf dem Bild in den oberen Ecken zu sehen. Die Basisstationen tracken die Brille und die beiden Controller. Auf der Kamera ist ein HTC Vive Tracker montiert. So bewegt sich die Perspektive des Gamebilds mit, wenn die Kamera während der Aufnahme bewegt wird.
Basisstationen und Tracker sind der Grund, warum Andy keine Meta Quest 3 einsetzt – diese ist damit nicht kompatibel. Sie trackt die Controller durch eigene Kameras im Headset. Kamera- und Gamebilder müssten mit einer Zusatz-Software synchronisiert werden.
Bewegliche Kamera mit langer Videolaufzeit
Die Panasonic Lumix GH5 II war bei ihrem Erscheinen 2021 eine der wenigen Kameras, die unlimitiert 4K mit 60 Bildern pro Sekunde ohne zu überhitzen aufnehmen konnten. Bei den schnellen Bewegungen und den teilweise langen Aufnahmesessions war das für Andy das wichtigste Kriterium.
Neben der Person, die spielt, braucht es eine zweite, welche die Kamera bedient. Zumindest, wenn die Kamera während der Aufnahme herumgetragen wird und nicht an Ort und Stelle bleibt. Damit ruhige Kamerabewegungen möglich sind, braucht es einen Gimbal. Den DJI Ronin-S hat Andy gebraucht erstanden. Zuvor verwendete er als Kamera eine GoPro Hero. Die kann zwar an praktisch jedem Ort platziert werden, aber es fehlt ihr ein Gewinde, um den Tracker montieren zu können. Zudem ist die Bildqualität nicht annähernd so gut.
Die Kamera ist ebenso mit dem PC verkabelt wie die VR-Brille. Weil die Latenzen sehr niedrig sein müssen, geht es nicht anders. Die Kabel sind durchweg sauber geführt und gebündelt, sie dürfen nicht zu Stolperfallen werden.
Viel Aufwand
Als Andy vor fünf Jahren mit MR-Videos begann, gab es nur wenige, die das in diesem Stil machten – also mit Studioausleuchtung und Greenscreen. Und auch nur wenige geeignete Spiele. Mittlerweile ist das anders. Andys Favorit ist das Rhythmusspiel Beat Saber. Nach seinen Erfahrungen kann es länger als andere VR-Games gespielt werden, ohne Schwindel zu erzeugen. Auf die Dauer wird es allerdings anstrengend.
Hinter einem MR-Video steckt viel Arbeit. Andy schätzt den Aufwand auf durchschnittlich 15 Stunden. Die Aufnahmen selbst machen den kleineren Teil aus, etwa drei bis vier Stunden, der Rest ist Postproduktion.
Alleine käme Andy nicht weit – nur schon wegen der Kameraführung. Die Aufnahmen erstellt er meist zusammen mit seiner Freundin, die auch eine leidenschaftliche Spielerin von Beat Saber ist.
Zeitweise hat Andy zwei Videos pro Woche auf seinem Instagram-Account veröffentlicht. Mit diesem Rhythmus war er aber nicht glücklich – er hatte das Gefühl, dass er das primär macht, um den Instagram-Algorithmus zufriedenzustellen. Heute produziert Andy lieber weniger Videos, diese aber dafür sorgfältiger.
Beispielsweise hat er damit begonnen, Gamebild und Kameraaufnahme erst im Nachhinein zusammenzufügen. Obwohl dies auch live möglich ist. Doch die Methode der Nachbearbeitung bietet deutlich mehr Kontrolle über Farbe und Belichtung der Kameraaufnahme.
Am PC verwendet Andy die Software LIV, ein Tool zur Erstellung von MR-Inhalten. Das Ergebnis lässt er anschliessend mit OBS Studio aufzeichnen.
Was noch verbessert werden könnte
Mit dem jetzigen Setup ist Andy grösstenteils zufrieden. Natürlich wäre eine Brille auf dem neusten Stand der Technik nett – aber sie muss eben auch die speziellen Anforderungen zur Synchronisation erfüllen. Auf dem Wunschzettel steht eine Halterung, um die Kamera am Körper abstützen zu können. Bei stundenlangen Aufnahmesessions wird das Tragen in der freien Hand etwas mühsam. An der Studiobeleuchtung liesse sich laut Andy auch einiges verbessern. Wobei die jetzigen LED-Panels schon bis zu 400 Watt aus der Dose ziehen und auch ordentlich heizen. An jenem Nachmittag waren wir – bei allem Interesse – am Ende froh, wieder aus dem Studio herauszukommen.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.