«Falcon and the Winter Soldier», Episode 1: «Eine neue Welt»
Die erste Folge gefällt: Action auf Kino-Niveau, treffsicher platzierter Humor – «ah, das Notizbuch, grossartig» – und ein Blick in die Gedankenwelt der Hauptcharaktere. Analysieren wir das.
Eines vorweg: Das ist eine Folgenanalyse. Mit Spoilern! Schau dir also zuerst die erste Episode von «Falcon and the Winter Soldier» an, bevor du weiterliest.
Was ich erwartet habe? Eigentlich… genau das. Action und Charakterzeichnung für jene, die in den «Avengers»-Filmen noch nicht allzuviel im Rampenlicht gestanden sind. Das haben die Trailer schliesslich versprochen. Namentlich Sam Wilson aka Falcon (Anthony Mackie), der das Schild des Captain America geerbt hat und Bucky Barnes aka Winter Soldier (Sebastian Stan), der sich den Geistern seiner Vergangenheit stellen muss.
Ich wurde nicht enttäuscht.
Ein Einstand nach f*cking Mass
«Was ist das für ein Gefühl?»
«Als gehöre er jemand anderem.»
«Tut er nicht.»
Es ist ein schöner Einstieg, den Regisseur Kari Skogland für sein «The Falcon and the Winter Soldier» gewählt hat. Ein Call-Back. Die letzten Szenen von «Avengers: Endgame», und gleichzeitig der zentrale Konflikt, dem sich Sam wohl den Rest der Serie stellen wird.
Bin ich es würdig, Captain America, nicht nur ein Held, sondern ein Symbol, zu sein?
Wir werden’s erfahren. Bestimmt. Zuvor aber will die LAF, wohl eine kriminelle Söldner-Organisation, Captain Vasant entführen, ein US-amerikanischer Verbindungsoffizier – in einem Flugzeug über tunesischem Boden.
Auftritt Falcon.
Angeführt wird die LAF von Batroc the Leaper (Georges St-Pierre). Den kennen wir bereits seit «Captain America: The Winter Soldier». Das ist der Typ, der eine Gruppe von Söldnern anführt, die am Anfang des Films ein Spezialschiff von S.H.I.E.L.D. überfallen wollen.
Seine Wurzeln hat Batroc im 1966 erschienenen Comic «Tales of Suspense». Seine Geschichte: Geboren und aufgewachsen ist Batroc in Marseille, Frankreich. Kaum alt genug, tritt er der französischen Fremdenlegion bei, wo er das Kämpfen und Töten lernt. Ganze 36 Tötungsmissionen später taucht er für kurze Zeit gar auf Nick Furys Radar auf, bevor er die Fremdenlegion verlässt und abtaucht.
Jahre später ist er Söldner. Batroc the Leaper wird er genannt, wegen seines athletischen, ja artistischen Kampfstils, der auf Savate beruht, eine französische Form des Kampfboxens. Seither ist er immer wieder mal Captain Americas Feind, ganz selten sogar Freund, je nach Situation – ganz der Söldner.
Im MCU dürfte er nach seinem Kurzauftritt anno 2014 in «Captain America: The Winter Soldier» nun eine grössere Rolle als LAF-Anführer bekommen. Genau erklärt wird die Bedeutung LAFs aber nicht. In den Comics finde ich jedenfalls keine Hinweise dazu.
Aber das Gefecht im Flugzeug. Nein, die ganze Action-Sequenz. Wie geil ist das denn inszeniert?
Knackige Choreos. Falcon nutzt seine Flügel als Schild – Zufall? –, und der Kampf verschiebt sich vom beengten Flugzeug in den Himmel, hunderte Meter über Boden. Dann: Basejumper im MCU. Dann: Verfolgungsjagd im Canyon bei horrendem Tempo. Dann: Helikopter, die mit allem nach Falcon schmeissen, was sie haben. Dann: Explosionen, überall. Dann: Falcon!
Action-Eskalation nach Actionfilm-Lehrbuch. Kriege nur ich «The Winter Soldier»-Vibes?
Kleine Randnotiz: Redwing. Im Comic ist Falcons «kleiner Helfer» tatsächlich ein echter, lebender Falke, mit dem Falcon telepathisch kommuniziert und durch dessen Augen er sogar sehen kann – ein Ergebnis von Red Skulls Manipulationen des Cosmic Cubes, ein mächtiges Artefakt, dem Kräfte auf demselben Level eines Infinity Steins nachgesagt wird. Daher wohl die Inspiration für den Tesseract im MCU.
Im MCU hingegen ist Redwing eine Drohne, vollgestopft mit Stark-Technologie und Waffen. Überhaupt ist Stark-Technologie so überall im MCU zu finden.
Während der ganzen Actionsequenz wird Falcon vom Boden aus von Lieutenant Torres unterstützt. Nicht im militärischen Sinne. Eher als Fan. So mit «cool» und «woah» und «wooow». Tolles Militär.
Ganz so nutzlos ist dieser Lieutenant Torres in den Comics nicht. Seinen ersten Auftritt hat er 2015 in «Captain America: Sam Wilson». Dort ist er ein mexikanischer Einwanderer, der in jungen Jahren vom bösen Dr. Karl Malus entführt wird. Malus, fasziniert von Wesen mit Superkräften, versucht, seine eigenen Superhelden zu erschaffen und führt darum genetische Experimente an seinen Opfern durch.
Torres DNA wird dabei mit der DNA Redwings vermischt. Voilà: Ein neuer Superheld.
Tatsächlich hat Torres seit den Genexperimenten Flügel und dieselbe telepathische Verbindung zu Redwing wie Falcon, der in den Comics zu dem Zeitpunkt der neue Captain America ist. Torres beschliesst nach der Niederlage Malus’, Sam-Wilson-Captain-America zur Seite zu stehen und somit der neue Falcon zu werden.
In «The Falcon and the Winter Soldier» könnte Torres ein ähnliches Schicksal erwarten. Einfach ohne den Part mit der Genmanipulation. Wäre schwierig, das mit einer Drohne hinzukriegen.
Miese Typen mit miesen Namen
Zuerst die Szene im tunesischen Teehaus. Sam Wilson wird als Avenger erkannt. Jemand bedankt sich bei ihm, dabei geholfen zu haben, seine Frau zurück von den Geblipten gebracht zu haben – jene Menschen, die nach Thanos Fingerschnipp fünf Jahre lang aus jeglichem Raum-Zeit-Gefüge ausradiert worden sind.
«Gern geschehen», Sam nickt, gequält.
Wohl, weil er zwar im Kampf gegen Thanos geholfen hat, aber mit der Rückführung der Geblipten selbst nicht wirklich was zu tun hatte. Das waren ja die originalen Avengers. Bruce Banner aka Smart Hulk, genau genommen. Er selbst war ja auch ein Geblipter.
Noch ein Grund, warum sich Sam der Nachfolge Captain Americas nicht würdig fühlt.
Dann hören wir zum ersten Mal von den Flag Smashers. Eine offenbar kriminelle Organisation, auf die Torres ein Auge wirft.
Falcon: «Miese Typen mit noch mieseren Namen? Ist das eine neue Sache?»
Torres: «Da gibt’s noch wesentlich miesere Namen.»
Haha. Da liest offenbar noch jemand anderes Comics ausser ich.
Torres erklärt, dass die Flag Smasher denken, dass die Welt vor dem Blip – dem Ereignis, das Thanos Snap rückgängig und die Geblipten zurückgebracht hat – eine bessere Welt gewesen sei, weil sie für eine Welt ohne Landesgrenzen stand. Darum der Name: Flag Smasher.
In den Comics sind die Flag Smasher keine Organisation, sondern eine Person: Karl Morgenthau. Seine Persona in Kurz: Liam Neeson mit Maske. Also jemand mit ganz besonderen Fähigkeiten – Martial Arts – und ziemlich viel Wut im Bauch.
Geboren als Sohn eines reichen Schweizer Bankiers, der später Diplomat wurde, ist Karl der Überzeugung, das jede Form von Nationalismus und Nationalstolz früher oder später zu Faschismus und Kriegen führte. Darum sein Kampf aus Überzeugung gegen jegliche Formen nationaler Symbole.
Captain America, zum Beispiel.
In der Serie überfallen die Flag Smashers derweil eine Schweizer Bank. Angeführt werden sie von einem Typen mit übermenschlichen Kräften. Vielleicht die MCU-Version von Karl Morgenthau? Das würde auch die Schweiz als Schauplatz erklären.
Apropos. In welcher Stadt der Überfall wohl stattfindet? Auf Torres GPS steht «Gasel Bank». Gasel ist laut Google mit seinen 748 Einwohnern eines der kleineren Dörfer der Gemeinde Köniz im Berner Mittelland.
Also: Gratuliere, Gasel, ihr seid jetzt offiziell MCU-Kanon!
Ob tatsächlich in der Schweiz gedreht worden ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Wenn du Hollywoods Business kennst, dann weisst du, dass Prag oftmals die Kulisse für so ziemlich jede europäische Stadt liefert. Dazu diese Laternen im Hintergrund. Schwarz. Neblig erinnere ich mich an meine feuchtfröhliche Abschlussreise in Prag zu Hochschulzeiten.
Frage ich Google, wird mir tatsächlich über einen Corona verursachten Drehstopp in Prag berichtet.
Wer weiss: Wahrscheinlich haben die irgendwo in Prag ein paar Schweizer Kreuze montiert und Zürcher Nummernschilder besorgt. Der Platz vor der Bank selber kommt mir nämlich nicht bekannt vor. Und von einem Dreh in Zürich weiss ich auch nichts.
Steve Rogers ist… tot?
Dann eine gute Frage von Torres: Was ist mit Steve Rogers passiert? Am Ende von «Avengers: Endgame» hat er sich ja die Infinity-Steine geschnappt und sie dahin zurückgebracht, wo die Avengers sie zuvor hergeholt haben – in die Vergangenheit.
Dort ist er dann geblieben, hat damit eine neue Zeitlinie erschaffen, in die er und Peggy glücklich zusammen alt werden, nur um gen Ende seines Lebens kurz in unsere Zeitlinie reinzuschauen, Sam Wilson seinen Schild zu übergeben und dann zurück in seine alternative Peggy-Zeitlinie zu kehren.
Die Avengers wissen also, warum Steve Rogers verschwunden ist. Aber was ist mit dem Rest der Welt?
Für sie ist er offenbar gestorben. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht lebt Steve insgeheim auf dem Mond, von wo aus er auf uns aufpasst. Oder, um Torres englischen Wortlaut zu nutzen: «some think he’s on a secret base on the moon, looking down over us.»
Dieser Torres stellt ja bessere Theorien auf als ich.
Der Mond. Du wärst erstaunt, wie belebt der Mond in den Comics ist. Schrägerweise weiss nur kaum jemand auf der Erde davon. Zum Beispiel wären da die Inhumans, eine Rasse von auf der dunklen Seite des Mondes lebenden Menschen. Kurz gesagt sind sie das Ergebnis von Experimenten der ausserirdischen Kree an prähistorischen Menschen, die dadurch Superkräfte entwickelt haben.
Künstlich hergestellte Mutanten, sozusagen, und darum Inhumans, keine X-Men.
Jemand, der ebenfalls eine geheime Basis auf der Rückseite des Mondes hat, ist Uatu, ein kosmisches Wesen mit gottähnlichen Kräften, der zu der Gruppe der Watcher gehört – jenen, die gelobt haben, zu beobachten, was geschieht, ohne je im Lauf der Dinge einzugreifen.
Seit «Guardians of the Galaxy, Vol. 2» wissen wir übrigens, dass Marvel-Legende Stan Lee in Wahrheit ein Watcher ist – oder zumindest in ihrem Dienst steht –, der nur deshalb in fast allen Marvel-Filmen einen Cameo-Auftritt hat, weil er genau das tut, was die Watcher machen: beobachten.
Nun, ja. Wir werden sehen, ob das mit dem Mond nur ein Meta-Joke der Macher war, oder ob uns da was geteasert wurde, das später noch wichtig sein könnte.
Falcon verschwindet dann aus Tunesien. Er geht nach Washington. Was er da mache, fragt ihn Torres. Falcon lächelt verschmitzt.
«Mondzeugs.»
Bucky, die Regierung – und der neue Captain
Nach dem furiosen Start geschieht in dieser ersten Episode nicht mehr allzuviel. Wenig Plot, also, dafür umso mehr Story. Sprich: Die Zeit wird genutzt, uns Zuschauer in die Gedankenwelt des Falcon und des Winter Soldiers zu tauchen.
Finde ich schön.
Einerseits versucht Sam, nach seiner fünfjährigen Abwesenheit – eigentlich viel länger, wenn wir seine Zeit bei der US Air Force mitrechnen – versucht, den Draht zu seiner Schwester wiederherzustellen, die sich finanziell kaum über Wasser halten kann.
Dazu scheut sich Sam mehr denn je, die Nachfolge Steve Rogers anzutreten, weil er sich nicht für würdig hält. Der Schild, der ihm sein bester Freund übergeben hat, übergibt Sam darum in die Hände der Regierung.
«Symbole sind nichts ohne die Frauen und Männer, die ihnen Bedeutung verleihen. Also danke, Captain America. Aber der gehört dir.»
Bucky Barnes hat derweil Alpträume. Er sieht sich, als Winter Soldier im Auftrag Hydras, wie er ein Attentat ausführt und dann einen unschuldigen, asiatischen jungen Mann tötet. Ein Zeuge. Der Winter Soldier hinterlässt keine Zeugen.
Die Alpträume versucht er in psychologischer Behandlung zu verarbeiten. Offenbar Teil eines Programms, das zu seiner Begnadigung durch die Regierung gehört. Zuletzt, bevor er nach «Captain America: Civil War» in Wakanda untergetaucht ist, galt er ja noch als Staatsfeind.
Nebst der psychologischen Behandlung arbeitet Barnes noch seine «Liste der Wiedergutmachung» ab – auch im Auftrag der Regierung. Dazu gehört, jene Leute auszuschalten, denen er als Winter Soldier zur Macht verholfen hat.
Ein bisschen so wie im 2020er-Comic «Falcon and Winter Soldier». Dort schaltet er – ebenfalls zur Wiedergutmachung – im Auftrag der Regierung Terrorzellen aus. Seine Verbindungsfrau: Veronica Eden. Später stellt sich ausgerechnet diese Eden als Verräterin heraus. Sie will Bucky ausnutzen, um potentielle Feinde oder Verbündete ausfindig zu machen, um so die Führung über die derzeit kopflose Organisation Hydra zu übernehmen.
Edens Konkurrenz im Comic: Baron Zemo. Der Baron Zemo, der in «Captain America: Civil War» von Daniel Brühl gespielt wird – und der im «The Falcon and the Winter Soldier»-Trailer ab 0:33 Sekunden kurz zu sehen ist.
Wer weiss, ob die Psychologin nicht sowas wie die verräterische Verbindungsfrau aus den Comics ist – und ob sie sich mit Zemo um den Platz am Tischende Hydras streiten wird.
Bucky jedenfalls kämpft nicht nur mit seiner Vergangenheit, sondern auch mit inneren Dämonen. Schön zu sehen an seinem alternden Nachbarn, für den er sich aus uns unbekannten Gründen verantwortlich fühlt: Yori Nakajima. Wohl sowas wie sein einziger Freund. Dann erfahren wir: Nakajimas Sohn sei unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. «Falsche Zeit. Falscher Ort», sagte ihm damals die Polizei.
Bucky guckt mies drein. Nakajima hat nie erfahren, was wirklich mit seinem Sohn passiert ist. Der Winter Soldier wohl schon.
Derweil mag die Regierung nicht länger ohne Symbol. Kurzerhand wird ein Unbekannter als Nachfolger Steve Rogers und neuer Captain America vorgestellt:
John Walker (Wyatt Russell).
In den Marvel-Comics ist John Walker zum ersten Mal 1986 in «Captain America, Vol. 1, Issue 323» aufgetaucht. Dort hat der Ex-US-Militarist seine übermenschlichen Kräfte – Kraft, Ausdauer, Reflexe und Unerschöpflichkeit – vom Bösen Power Broker bekommen.
Walker selber ist aber nicht direkt böse. Zumindest nicht in den Comics. Als Super-Patriot führt er aber eine öffentliche Kampagne gegen Captain America und behauptet, besser als Steve Rogers für die «wahren Ideale» der Nation einzustehen.
Ohne jetzt schon zu viel vorwegzunehmen – nicht, dass ich dir die ganze Serie jetzt schon spoilere –, aber Walker aka Super-Patriot hat viele spannende Charakterentwicklungen durchgemacht.
Ich bin gespannt, welchen Weg das MCU mit ihm gehen wird.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»