Genug gemolken: Warum Serien früher enden müssen
«Prison Break» war nach einer Staffel zu Ende erzählt. Trotzdem zieht sich die Serie über vier weitere Staffeln in die Länge. Auch andere Serien opfern die Spannung für den Erfolg – und für Geld. Damit muss Schluss sein.
Eines vorweg: In diesem Artikel tauchen Spoiler zu folgenden Serien auf: «Prison Break», «The Office US», «The Queen’s Gambit», «Peaky Blinders» und «Suits». Weiterlesen auf eigene Gefahr.
Kühe sind zum Melken da. Zumindest aus einer Business-Perspektive. Daher leuchtet es ein: Stösst eine TV-Serie auf Anklang, wäre es dumm, nicht weitere Staffeln zu filmen – sprich die Kuh zu melken.
So erging es einer meiner Lieblingsserien aus dem Jahr 2005, «Prison Break». Im Zentrum steht der namensgebende Gefängnisausbruch. Nur: Der passiert schon am Ende der ersten Staffel. Die Geschichte wäre damit schon zu Ende erzählt. Trotzdem folgten bis 2017 vier weitere Staffeln und sogar ein Spielfilm. Wieso? Genau: Die Kuh war noch nicht fertiggemolken.
Wie man so schön sagt: Ich bin nicht wütend, sondern enttäuscht.
Man soll aufhören, wenn’s am besten ist
«Prison Break» hat den Moment für einen ehrenvollen Abgang verpasst. Die erste Staffel ist ein Meisterwerk. Die zweite ist sehr gut, die dritte okay. Danach zeigt «Prison Break» die klassischen Symptome eines zu sehr in die Länge gezogenen Thrillers: Im Versuch, die vorangegangene Staffel an Drama zu überbieten, eskaliert die Handlung und die involvierten Parteien werden immer mächtiger. Ein Antagonist muss sogar davon abgehalten werden, die Weltherrschaft an sich zu reissen.
Dass Protagonist Michael Scofield ursprünglich nur seinen zu unrecht zum Tode verurteilten Bruder vor dessen Hinrichtung aus dem Gefängnis befreien wollte, ist schon lange zum Nebensatz verkommen. Um die Geschichte immer weiter zu spinnen, greifen die Autoren tief in die Trickkiste: Schusswunden verheilen innerhalb von Stunden und wird ein Toter wieder benötigt, beleben sie ihn einfach wieder.
Immerhin blieb «Prison Break» über die gesamte Laufzeit hinweg der Hauptdarsteller erhalten, der die Serie trug. Weniger Glück hatte die amerikanische Version von «The Office»: Der Hauptcharakter Michael Scott, sieben Staffeln lang von Steve Carell gespielt, verlässt das Büro in einer rührenden Abschiedsfolge nach 148 Folgen. Es wäre der perfekte, verdiente Abschluss gewesen.
Stattdessen zerrte das produzierende Studio NBC die Schauspielerinnen und Schauspieler für zwei weitere Staffeln vor die Kamera. Staffeln 8 und 9 fühlen sich an wie Cristiano Ronaldo heute Fussball spielen zu sehen: Man hat grössten Respekt vor dem, was mal war, aber vom alten Glanz ist nicht mehr viel übrig. Verzweifelte, willkürliche Gastauftritte versuchen in «The Office», das Loch, das Steve Carell hinterliess, zu füllen. Doch weder Robert California (James Spader) noch Nellie Bertram (Catherine Tate) zogen das Publikum auf ihre Seite.
Gemolken wird auch bei «Peaky Blinders»: In Staffel 1 und 2 übernimmt die Gangster-Familie Shelby auf geniale und illegale Weise die Kontrolle über Birmingham und London. Hauptcharakter Tommy Shelby – damals für Schauspieler Cillian Murphy das Sprungbrett in die oberen Etagen Hollywoods – heiratet seine grosse Liebe und zieht auf’s Land. Friede, Freude, Eierkuchen. Für mich hätte hier Schluss sein können. Doch leider zieht sich die Serie danach weiter. Das Drama verschärft sich, die Familie wird gar in internationale, politische Intrigen verstrickt und macht traumatische Erlebnisse durch. Nach einer Weile ist die Grundstimmung nicht mehr «Fuck Yeah», sondern «Oh no». Und der ganze Spass verfliegt.
Mini-Serien sind die Zukunft
Ich denke zurück an die echten Juwelen der Popkultur. Also an die Filme, Serien, Bands und Games, die während kurzer Zeit gefühlt mein ganzes Leben eingenommen haben und dann wieder verschwunden sind. Die Linkin-Park-CD, die mich auf zahlreichen Carfahrten in die Ferien begleitet hat. Die Videos von Happy-Tree-Friends, wegen der wir uns früher kaputt gelacht haben. Das Browsergame Travianer, weswegen ich nach der Schule nach Hause gesprintet bin. Gute Dinge sind gut, weil sie irgendwann zu Ende sind.
Von ähnlichem Kaliber ist Netflix’ Erfolgsserie «The Queen’s Gambit». Sie besteht aus gerade mal sieben Folgen. Es ist eine in sich stimmige, runde Geschichte. Und ganz wichtig: Sie ist zu Ende erzählt. Die Protagonistin bezwingt ihre inneren Dämonen und erreicht ihr Ziel, den russischen Schachweltmeister zu schlagen. Eine Fortsetzung wäre reinstes Surplus und total unnötig, auch wenn sie zweifelsohne geguckt werden würde. Eben: Die Kuh könnte weiterhin gemolken werden.
Aber zu welchem Preis?
Haben Fernsehsender früher erfolgreiche Serien so lange ausgestrahlt, wie es nur ging, so sind heute auf Netflix & Co. die Mini-Serien ein beliebtes Erzählinstrument. Die Laufdauer und der Umfang steht von Anfang an fest und eine Weiterführung ist nicht vorgesehen. Darüber bin ich froh. Denn das mittellange Format, bestehend aus ungefähr zehn Folgen à einer Stunde, bietet die Möglichkeit, viel tiefer auf Geschichten einzugehen als in einem Film. Gleichzeitig zwingt die Mini-Serie die Produzenten dazu, die Story in einem festgelegten Rahmen und Zeitraum zu beenden und Handlungsstränge abzuschliessen.
Zumindest, bis sie sich dann doch entscheiden, dass auch eine Mini-Serie ausserplanmässig weitergemolken werden kann, wenn die Kohle stimmt. Nun, ja. Anderes Thema.
Ich ziehe selber den Stecker
Verpasst eine Serie selbst den Moment, um aufzuhören, greife ich ihr jetzt unter die Arme: Ich breche ab. Und genau das empfehle ich auch frustierten Leserinnen und Lesern. Wenn du merkst, dass die Handlung beginnt, sich in die Länge zu ziehen, hör einfach auf, zu schauen.
Zuletzt ist mir das bei der Anwälteserie «Suits» super gelungen. Zum Ende der fünften Staffel schien die Welt in Ordnung. Kurz darauf musste der Protagonist Mike (Michael Ross) ins Gefängnis, damit es neues Drama und damit mehr Stoff für weitere Staffeln gibt. Doch bevor es so weit kam, habe ich den Fernseher einfach selbst ausgeschaltet. Für mich ist «Suits» damit eine runde, abgeschlossene Geschichte mit perfekter Länge und Happy Ending geblieben.
Wir Serienjunkies schwärmen häufig von den ersten zwei bis drei Staffeln einer Serie, um dann mit Bedauern anzufügen: «Nachher wird’s ein bisschen langweilig oder übertrieben». Ausser Kollege Domagoj Belancic. Der fand sogar die letzte Staffel von «Lost» super..
Spass beiseite: Wieso sollten wir uns nicht einfach aufs Positive beschränken? Der Serienfundus ist bekanntermassen ein Fass ohne Boden. Du kannst also getrost pro Serie nur die besten Episoden rauspicken und wirst immer noch genug zum Bingen haben.
Ich zumindest handhabe das jetzt so und entscheide selbst, wann die Kuh gemolken ist.
Meine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.