Huawei ohne Google Services: Ein Blick auf das Mate 30 und die Zukunft Androids
Das Problem sind nicht WhatsApp oder Google Photos. Das Problem, das Huawei mit dem Mate 30 Pro schleunigst lösen muss, liegt eine Ebene tiefer. Die Mobile Services sind die weitgehend unbeachteten Player, die das Spiel entscheiden werden.
Es herrscht Unsicherheit, wie es denn mit Huawei und Software auf Smartphones weitergehen soll, nachdem die USA Huawei auf die schwarze Liste gesetzt haben und somit US-amerikanische Firmen keine Geschäfte mehr mit dem chinesischen Konzern tätigen dürfen.
Daher das wichtigste in Kürze:
- Wird Android von den Geräten verschwinden? Nein, Google Mobile Services (GMS) sind nicht Android. Android kann ohne GMS funktionieren.
- Wird über Nacht mein Android mit einem anderen Betriebssystem ersetzt? Nein, das ist absurd.
- Können Huawei und Google wieder zueinander finden? Das wissen wir nicht.
- Wann kommt HarmonyOS und was kann es? Wissen wir nicht und es sollen alle Android Apps drauf laufen.
So, jetzt wird's technisch. So halb jedenfalls. Die folgenden Skizzen zeichne ich nicht zwingend nach technologischer Genauigkeit, sondern nach Verständnis. Ähnlich verhält es sich auch mit technologischen Begriffen. Denn, da bin ich mir sicher, wenn du den Android Stack verstehst, dann brauchst du die Erklärung in diesem Artikel auch nicht.
Die vollständige Architektur Androids sieht so aus:
Vereinfacht arbeite ich in diesem Artikel aber mit folgenden Abstraktionen. Das Hauptproblem, mit dem ich mich oberflächlich befasse, spielt sich in der mittleren Ebene, den Mobile Services ab. Die anderen beiden Ebenen sind für das grosse Problem nur bedingt relevant.
In der vereinfachten Grafik sind nicht alle Bestandteile des vollständigen Diagramms vertreten. Aber jene, die ausserhalb der Mobile Services fallen, sind nicht für das USA/Huawei-Problem relevant.
Die Mobile Services als Knackpunkt
Das Problem ist nicht, ob WhatsApp weiter laufen wird oder ob der Google Play Store funktioniert. Das Problem ist die mittlere Ebene im vereinfachten Diagramm.
In einem mit Google Mobile Services ausgestatteten Smartphone sieht das so aus.
Die Mobile Services sind eine Serie von Programmschnittstellen, API genannt, die Funktionen auf deinem Smartphone ermöglichen. Du benutzt Google Drive? Dann sind die Mobile Services für die Funktion der Synchronisation zuständig. Diese APIs werden den App Developern zur Verfügung gestellt, damit sie diese nicht einzeln in jede App einbauen müssen. Sie können ihrer App sagen «Benutz folgende API des Systems» und das System antwortet mit «Voilà, arbeiten wir zusammen».
Huawei darf die Google Mobile Services nicht benutzen.
Ohne die Mobile Services fehlt Huawei kritische Systeminfrastruktur, die Kommunikation zwischen Apps und der weiteren Welt ermöglicht. Der Effekt sieht dann in etwa so aus:
- Du startest eine App
- Die App fragt das System nach den Google Mobile Services
- Das System antwortet «Hab ich nicht»
- Die App stellt fest, dass sie so nicht arbeiten kann
- Die App schliesst
Dass diese Situation nicht tragbar ist, ist klar. Google hat diesen exakten Fall nicht vorausgesehen, hat aber vorausgedacht. Denn Android ist ein offenes Betriebssystem. Das heisst, du kannst dir den Quellcode, landläufig als AOSP bekannt, herunterladen und eine eigene Version Androids schaffen. Theoretisch zumindest. Du musst programmieren können.
AOSP ist nicht auf die Google Mobile Services angewiesen. In China sind die Google Mobile Services ohnehin nicht zugelassen, weshalb aus China importierte Smartphones oft mit GMS nachgerüstet werden müssen. Importierte Phones sind übrigens nicht «Phones eines chinesischen Herstellers, die in Europa veröffentlicht werden», sondern Smartphones, die du dir als Endkunde direkt aus China bestellst.
Huaweis Lösung #1: Huawei Mobile Services
Huawei ist im Moment dabei, die Huawei Mobile Services auszurollen. Das Mate 30 Pro ist das erste Smartphone, das statt Google Mobile Services die Huawei Mobile Services an Bord hat. Die Funktionen der Mobile Services sind identisch.
Das Problem mit den Apps ist damit aber nicht gelöst. Denn das sieht so aus:
- App startet
- App fordert vom System zum Beispiel «Google Mobile Service Wallet»
- Phone ohne GMS sagt «Hab ich nicht»
- App stellt fest, dass sie so nicht arbeiten kann
- App schliesst sich
App-Programmierer müssen also ihre App neu kompilieren. Das heisst, dass statt der Frage nach den Google Mobile Services die Frage nach den Huawei Mobile Services gestellt werden soll. Oder beides, denn eine App kann, mit etwas gescheitem Code, sagen «Gib mir GMS oder HMS».
Huaweis Lösung #2: Der Huawei App Store
Huawei hat aufgrund der Zensur des chinesischen Staates schon vor einigen Jahren einen eigenen App Store mit dem Namen «Huawei App Gallery» lanciert. Dieser ist auf jedem Huawei-Smartphone vorinstalliert, fristet aber ein Schattendasein in internationalen Gefilden. Denn bei uns und generell ausserhalb Chinas ist Googles Play Store der Platzhirsch.
Daher ist Huawei derzeit massiv mit Geld und Werbung damit beschäftigt, Developer rund um die Welt für eine Portierung ihrer Apps auf HMS zu begeistern.
Die Developer hingegen haben noch nicht wirklich einen Grund für die Sache mit HMS, sofern sie denn nicht in den chinesischen Markt vordringen wollen. Dieser ist zwar gross, aber im Falle von Apps wie Google Drive oder Google Photos, um bei Google zu bleiben, nicht attraktiv genug, da der Konzern in China mit Zensurproblemen zu kämpfen hat. Huawei will das nun ändern.
Derweil in Europa
Nach einigen Tagen des Testens mit dem Mate 30 Pro ist klar: Es ist absolut möglich, ein Smartphone ohne die Google Mobile Services zu betreiben, ohne dass ich ins digitale Abseits gerate. Trotzdem werden zumindest bis der Huawei App Store eine akzeptable Grösse und weitere Kompatibilität erreicht hat, die Google Mobile Services als wichtige Nachrüstung in der Landschaft stehen. Bevor die Huawei App Gallery, die Huawei'sche Alternative zum Play Store, sich aber etablieren kann, müssen zwei Dinge geschehen.
- Die App Gallery muss werbefrei sein. Bisher werden in regelmässigen aber grösseren Abständen bildschirmfüllende Werbungen eingeblendet. Das ist inakzeptabel.
- Das Angebot an Apps, das für uns Schweizer oder Europäer relevant ist, muss ausgebaut werden.
Generell fühlt sich die App Gallery noch ziemlich chinesisch an. Viele Apps, die wie halb-attraktive Kopien von grösseren, vertrauteren Apps wirken und wenig Integration mit den Systemen, die sich während Jahren in unser Leben integriert haben.
Deine Apps ohne Google Mobile Services
Selbst ohne eine grosse Nachrüst-Aktion laufen bereits viele Apps auf einem System, das keine Google Mobile Services benötigt. Vor allem Apps, die web-basiert sind, brauchen nur wenige oder gar keine APIs, die von der Phone Software zur Verfügung gestellt werden müssen. Sie beziehen die Ressourcen aus dem Netz und den dort zur Verfügung gestellten APIs. Damit umgehen sie das Google/Huawei-Problem völlig. App-Programmierer haben nebst der Rekompilierung der Apps von Google auf Huawei die Möglichkeit, ihre Apps web-basiert zu machen.
Um solche Apps zu nutzen, installierst du am einfachsten einen unabhängigen App Store. Ich empfehle den der App-Seite APKpure. Dieser App Store spiegelt viele – wenn nicht alle – Apps, die im Google Play Store angeboten werden und funktioniert ähnlich. Wenn du mit dem Play Store vertraut bist, dann wirst du kaum Mühe haben, mit dem APKPure Store umzugehen.
Die Rechtslage, ob der APKPure Store abschliessend legal oder illegal ist, ist noch nicht geklärt. APKPure darf zwar, so der aktuelle Wissensstand, als Software-Vertriebsseite betrieben werden, muss aber peinlich genau darauf achten, dass sie keine Copyrights verletzt. Mündlich ist mir überliefert worden, dass da ein entsprechendes Gerichtsverfahren war, das APKPure gewonnen hat, aber online kann ich dazu keine Quellen finden.
Selbst wenn APKPure sauber auf einem System ohne Google Mobile Services läuft, so garantiert das nicht, dass die Apps, die du damit installierst, auf dem Mate 30 Pro ohne GMS laufen. Denn jede App fragt separat bei jedem Aufstarten nach den Mobile Services, die sie benötigt. Wenn sie Google Mobile Services benötigt, dann schliesst sie wieder und funktioniert nicht.
Einige Apps habe ich aus persönlicher Neugierde ausprobiert:
- Google Drive: Funktioniert nicht, braucht GMS.
- Youtube: Lädt im Hintergrund, würde also funktionieren. Aber eine Warnung von wegen «Google Mobile Services» taucht auf und die App schliesst sich. Ich empfehle sowieso NewPipe.
- Google Photos: Funktioniert als lokale Bildverwaltung, hat aber keine Backup Services.
- NewPipe: funktioniert
- SBB: funktioniert
- digitec.ch: funktioniert
- Plex: funktioniert
- Netflix: funktioniert nicht
- Chrome: Mal so, mal so. Ich empfehle Kiwi Browser als Alternative. Hat dazu einen AdBlocker installiert.
Interessant wird es bei SwiftKey. Die Tastatur ist in einer Basisversion installiert, funktioniert auch ordentlich. Wenn du aber die Themes wechseln willst, dann musst du dir die App aus dem APKPure Store ziehen. Sie startet auch sauber auf, warnt aber davor, dass sie Google Mobile Services braucht und schliesst. Daraus kann ich schliessen, dass diese spezifische Funktion mit GMS verbunden ist. Alles andere funktioniert wunderbar.
Andere Apps warnen, dass sie Google Mobile Services benötigen, aber funktionieren dann doch scheinbar einwandfrei.
Die Zukunft: Abhängig vom Willen Huaweis
Dass Huawei mit Android und den aktuellen Zwischenlösungen eine lange und erfolgreiche Zukunft vor sich hat, darf bezweifelt werden. Aus den Verzögerungen bei der Markteinführung des Mate 30 Pro und dem verhältnismässig kleinen Rummel, den der Hersteller gemacht hat, scheint Huawei selbst auch nicht davon überzeugt zu sein.
Huawei hat immer wieder angegeben, dass sie weiterhin mit Google an der Entwicklung Androids arbeiten wollen. Gleichzeitig aber entwickelt der chinesische Konzern am eigenen Betriebssystem HarmonyOS, das laut aktuellen Berichten voll mit Android kompatibel sein soll. Wie das genau aussehen soll, vor allem in Hinblick auf das GMS-Verbot, ist noch unklar. HarmonyOS sei aber noch länger nicht bereit, auf Smartphones zu laufen. Google selbst möchte mit dem Major Player auf dem Markt, Huawei, zusammenarbeiten.
Spannend aber ist die Zukunft Androids in Hinblick auf das Konzept Harmonys. Harmony ist vollständig mit dem Internet-of-Things kompatibel. Das heisst, dass dereinst nicht nur Smartphones auf HarmonyOS laufen sollen, sondern auch Smartwatches, Kopfhörer, Kühlschränke, wohl auch Vibratoren und was auch immer sich Entwickler einfallen lassen. Android kann das nicht und wird das nicht können, es sei denn, es werden massgebliche Veränderungen am Kern des Betriebssystems vorgenommen. Daher arbeitet Google mit ausgewählten Partnern an der Entwicklung von Fuchsia, einem Betriebssystem, das Gerüchten zufolge die Nachfolge Androids antreten soll.
Es scheint, als ob Android veraltet. Absehbar ist ein Wechsel Huaweis zu HarmonyOS oder Googles zu Fuchsia noch nicht. Das erklärt auch den Willen Huaweis, massiv Geld und Energie in den Ausbau der App Gallery zu investieren
Die aktuell beste Lösung: Rüste die Google Mobile Services nach… oder?
Die Google Mobile Services können nachgerüstet werden. Damit sieht die Systemarchitektur dann so aus, dass die Google Mobile Services und die Huawei Mobile Services parallel auf deinem System laufen.:
Wenn die Google Mobile Services auf deinem Smartphone laufen, dann kannst du Android deinen Google User Account hinzufügen, den Play Store herunterladen und dein System wie gewohnt benutzen.
Dies erfordert aber eine etwas längere Erklärung und etwas Tüftelei. Ich arbeite dran.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.