Huawei P30 Pro
128 GB, Breathing Crystal, 6.47", Hybrid Dual SIM, 40 Mpx, 4G
Die Specs klingen etwas altbacken und altbekannt. Doch kann das Huawei P30 Pro überzeugen. Eine erste Expedition in der Pariser Nacht zeigt, dass das P30 Pro keinesfalls schlecht ist, aber der Beweis seiner langfristigen Qualität erst noch erbracht werden muss.
So richtig wollen mir die Specs des neuen Huawei P30 Pro nicht gefallen. Nichts daran klingt besonders aufregend. Kirin 980 System-on-a-Chip, 8GB RAM, 128 oder 256 GB interner Speicher, erweiterbar mit Nano-SD-Karte, 6.47 Zoll diagonaler gebogener AMOLED Screen, 4200 mAh Akku. Reisst mich jetzt nicht so vom Hocker.
Trotzdem: Irgendwie beschäftigt mich das Ding schon. Denn an einigen Dingen hat Huawei gefeilt, und wenn CEO Richard Yu auf der Bühne in Paris von seinem neuen Flaggschiff berichtet, dann ist die übliche Begeisterung des charmanten Mannes mit dem schlechten Englisch spürbar. Vor allem dann, wenn er über das neue Kamerasystem des P30 Pro berichtet.
Die Kamera sei nicht nur gut, sie sei schlicht besser, heisst es. Was genau dieses «Besser» sein soll, sei in den Test Shots in der Präsentation offensichtlich. Blöd nur, dass ein Skandal aus jüngster Zeit diesen Effekt – er wird trotzdem mit einem Raunen und etwas Applaus der Journalisten quittiert – kaputt gemacht hat. Denn bereits zum mindestens dritten Mal ist Huawei vergangene Woche dabei ertappt worden, wie der Konzern behaupten wollte, dass mit einer DSLR-Kamera geschossene Bilder als Bilder aus der Kamera des P30 Pro ausgeben wollte. Dumm gelaufen.
Daher ist Videoproduzentin Stephanie Tresch und mir klar: Wir machen bereits in der Nacht auf Mittwoch erste Tests. Vor allem halt Low Light Shots. Wir wollen sehen, ob die vier Kameras das wirklich so schön drauf haben, wie die Bilder auf der Leinwand das vermuten lassen.
Die Antwort fällt so aus, wie so ziemlich jede Antwort zu einer Frage zum P30 Pro ausfällt: Wir werden sehen. Denn das Potenzial ist da, keine Frage. Die Kathedrale zu Notre Dame hat im Dunkeln selten besser ausgesehen. Jeder Gargoyle, jedes Ornament, jeder Stein ist im Nachtmodus ausgeleuchtet. Aber das sieht alles so unheimlich künstlich aus.
Aber im normalen Photo-Modus, wo du die künstliche Intelligenz der Kamera (AI) eigenmächtig entscheiden lässt, was sie sieht, dann brilliert die Kamera.
Klar, die Leistung der Software ist beeindruckend und sie macht wenig bis nichts falsch. Sie akzentuiert Farben da, wo sie muss, holt die Farbtöne raus, die sie muss und hellt alles so auf, dass es nach einem wirklich gelungenen Foto im Dunkeln aussieht. Klar, denn die vier Kameras können bis zu 409 600 ISO mehr oder weniger stabil halten und mit einem F-Stop von bis zu f/0.95 arbeiten. Dazu ist die Software richtig gut darin, ein Komposit aus Nachtmodus-Aufnahmen zu erstellen.
Das Problem: Die Bilder gefallen mir nicht. Mit Nacht haben die Nachtmodus-Bilder nichts mehr gemein. Sie sehen aus wie etwas merkwürdig ausgeleuchtete Bilder, die am Tag geschossen wurden. Da gefällt mir der Aperture Mode wesentlich besser, in dem du einfach die Linse bis f/0.95 aufreisst und dann knipst.
Zum Glück ist das aber nicht der einzige Aspekt, in dem Huawei das Besser sucht. Denn da ist noch die Sache mit dem Zoom.
Im Huawei P30 Pro sind vier Kameras verbaut. Linse Nummer vier ist aber keine weitere Linse, wie eine Makro- oder Monochromlinse, sondern eine Time of Flight Camera (TOF). Diese ist, stark vereinfacht gesagt, eine Art Distanzmesser, der dabei hilft, Entfernungen zwischen Smartphone, Subjekt und Hintergrund schneller und akkurater einzuschätzen und zu verarbeiten. Das soll dir einen besseren Bokeh-Effekt, also eine bessere Tiefenunschärfe, liefern. Die TOF-Kamera scheint aber etwas übereifrig. Es gibt Bilder, wenn ich die Entscheidung über Einstellungen der AI überlasse, die einfach nicht ohne Bokeh kommen wollen. Ein Vergleich mit einer Aufnahme aus dem vergangenen Jahr.
Das P20 Pro hat Stephanie sauber erkannt, verfranst ihr zwar die Haare etwas und das Hôtel de Ville sieht aus, als ob es mit Wasserfarben gemalt worden ist. Für Social Media oder ohne viel Zoom taugt das Bild.
Der Aperture Mode macht logischerweise den Hintergrund unscharf,denn eine Regel aus der Fotografie geht ungefähr so: Je Aperture, desto Tiefenunschärfe. Trotzdem, wenn die AI entscheidet, dass da der Aperture Mode hin muss, dann entscheidet sie falsch. Ich zwinge sie also in den Nachtmodus.
Beim Zoom zeigt Huawei Erfindergeist und klotzt. Optisch kriegt das P30 Pro einen 5x Zoom hin. Hybrid gehen noch 10x und mit digitaler Unterstützung schafft das Phone einen 50x Zoom. Letzerer ist aber beinahe komplett unbrauchbar ohne Stativ Du musst schon eine arg ruhige Hand haben, um irgendwie einen guten Shot hinzukriegen.
Damit aber endet die Expedition in die Pariser Nacht. Es wird kalt, windig und wir haben Arbeit vor uns: Stephanie muss das Video schneiden, das du oben sehen kannst, und ich muss diesen Text hier schreiben.
Zurück im Hotelzimmer machen wir uns an die Arbeit. Ich ziehe ein erstes Fazit. Das Phone hat gelitten, seit ich es erhalten habe. Nicht nur hat das schwarze P30 Pro einen Setup-Vorgang hinter sich gebracht, sondern ich war mehr oder weniger dauernd damit beschäftigt, an den Settings herumzuspielen, Routen zu planen, Restaurants zu finden oder Bilder und Videos zu schiessen. Von den 91% Akku, mit denen ich das Smartphone ausgepackt habe, sind noch 42% übrig. Und das, obwohl ich das P30 Pro so richtig geplagt habe. Andere Smartphones, allen aktuellen Flaggschiffen voran das Samsung S10+, wären längst in die Knie gegangen.
Daher eine These: Das Huawei P30 Pro ist kein Phone, das auf den ersten Blick beeindruckt. Es ist kein Phone, das die Welt neu definiert oder alle sofort aus den Socken haut. Es ist ein Phone, das sich im Gebrauch beweist. Ein Handy, das sich als Werkzeug im Alltag verdient macht, nicht aufmuckt und lange durchhält.
Ferner muss ich anmerken, dass wir es erfolgreich geschafft haben, in einer Welt zu leben, in der ein schwarzes Handy zwar elegant und alles aussehen mag, aber stinklangweilig daherkommt. Huawei hat seinen schwarz-zu-violetten Farbverlauf mit dem Namen Twilight beerdigt und ihm Nachfolger verpasst. «Aurora» geht von grün zu blau und «Breathing Crystal» von weiss zu violett und blau. Wow. Echt. Da ist zwar noch eine orangerote Farbe, aber die ist dann doch etwas zu verwegen.
Im ersten Artikel zu Huaweis Schau in Paris habe ich dich nach deinen Fragen gefragt. Ich mach mal Antworten, so gut das nach etwa sechs Stunden Testzeit geht.
Ebenfalls schwierig zu sagen, nachdem ich das Phone sechs Stunden benutzt habe. Ist sicher ein solides Upgrade, abhängig davon, wo du welche Schwerpunkte beim Kauf setzt, aber ich will mich weder auf ein «Ja» oder ein «Nein» festlegen. Frag mich in einem Monat oder zwei nochmal.
Die vier Kameras des P30 Pro sind:
Das P30 hat folgendes Kamerasystem verbaut:
So. Fertig. Das soll für heute erstmal reichen. Wir ziehen morgen nochmal los und testen. Sollten wir noch mehr entdecken, werden wir uns melden. Sonst sehen wir uns zum Review in einem Monat oder zwei wieder.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.