Ich liebe dich, «Rise of the Rōnin» – mit all deinen Macken und Fehlern
«Rise of the Rōnin» hat mein Herz im Sturm erobert. Und das, obwohl das PS5-exklusive Game voller Schönheitsfehler und nerviger Macken ist.
Selten hat mich ein Game, das so offensichtliche Mängel hat, so begeistert. Mit jeder neuen Mission und jedem zerstückelten Feind habe ich mich mehr in das blutige Samurai-Abenteuer verliebt. «Rise of the Rōnin» hat mich mit seiner atmosphärischen Open World, seinem eigenwilligen Charme und dem süchtig machenden Kampfsystem an den PS5-Controller gefesselt.
Nach rund 50 Stunden blicke ich auf ein unverschämt spassiges, unglaublich blutiges und bisweilen chaotisches Spielerlebnis zurück.
Die Story dient als schwache Ausrede für das brutale Gemetzel
Die Handlung von «Rise of the Rōnin» setzt am Ende des 19. Jahrhunderts an. Japan befindet sich in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand. Die Militärregierung des Shoguns will sich dem Westen öffnen und die kaiserlichen Loyalisten wollen das Land gegenüber fremden Mächten abschotten.
Ich befinde mich als herrenloser Schwertkämpfer mitten im Krieg zwischen den zwei Fraktionen. Mein Ziel ist es, meinen totgeglaubten Rōnin-Partner aufzuspüren, den ich vor Jahren auf einer geheimen Mission verloren habe. Auf der Suche nach meiner «Zwillingsklinge» wechsle ich zwischen den verfeindeten Fraktionen hin und her. Mal kämpfe ich an der Seite des Shogunats und metzle die Anhänger des Kaisers nieder. Eine Mission später zücke ich mein Schwert für den Kaiser und kämpfe gegen Samurai des Shogunats.
Wenn du dich nicht mit japanischer Geschichte auskennst, wirst du dich im ultraschnellen Storytelling von «Rise of the Rōnin» verlieren. Das Game führt neue Charaktere in Lichtgeschwindigkeit ein und tötet sie genauso schnell wieder. Deren Motivationen sind meist nur vage angedeutet, die Intrigen und Seitenwechsel nicht nachvollziehbar. Immerhin: die zahlreichen Lexikon-Einträge zu den historischen Figuren, Schauplätzen und Ereignissen helfen ein bisschen, Ordnung in das Chaos zu bringen.
Insgesamt fühlt sich die Geschichte von «Rise of the Rōnin» trotz historischem Kontext konfus und überladen an. Zudem habe ich das Gefühl, dass meine Entscheidungen keinen logischen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte haben. Schnell beschliesse ich deshalb, mein Hirn auszuschalten und meinen Drang nach Logik und nachvollziehbarem Storytelling zu unterbinden. Stattdessen geniesse ich die brutale Action. Denn die hat es in sich.
Ausweichen, blocken, niedermetzeln
Das grosse Highlight des Spiels ist das ausgeklügelte Kampfsystem, das an andere Soulslike-Games des Entwicklerstudios Team Ninja erinnert. Die brutalen und oftmals sehr blutigen Schlachten fühlen sich an wie ein delikater Tanz zwischen Angriff und Defensive. Blind drauflos hauen kann ich selbst bei den schwächsten Feinden nicht. Ständig muss ich ein Auge auf die Ausdauer meiner Spielfigur haben, oder wie sie in «Rise of the Rōnin» heisst: «Ki».
Jeder Angriff, jedes Ausweichen und jeder abgeblockte Angriff dezimiert meinen Ki-Balken am unteren Bildschirmrand. Ist dieser leer, bin ich gegnerischen Angriffen hilflos ausgeliefert. Pariere ich Attacken mit perfektem Timing, verliert der Feind seine Ki-Kraft und ich kann zu einem verheerenden Spezialangriff ansetzen. Der Adrenalinschub, den ich beim Kontern von schier endlosen gegnerischen Kombinationsangriffen erhalte, ist unglaublich befriedigend und macht regelrecht süchtig.
In den Kampf ziehe ich mit diversen japanischen Nahkampfwaffen. Für jede davon kann ich unterschiedliche Kampfstile anwenden, die je nach Gegner mehr oder weniger effektiv sind. Anfangs konzentriere ich mich auf Speere und Katanas. Im Verlauf meines Abenteuers schalte ich in einem unheimlich hohen Tempo neue Waffen, Kampfstile und Attacken frei. Ergänzt werden diese durch spannende Skills, die ich in Fertigkeitsbäumen gegen Erfahrungspunkte eintausche. Auch mit neuen Rüstungen geizt das Spiel nicht.
Nebst Katanas und sonstigen Klingen stehen mir zudem Fernkampfwaffen zur Verfügung. Von westlichen Gewehren und Revolvern bis hin zu japanischen Shuriken sowie Pfeil und Bogen ist alles dabei. Mein Favorit ist aber ein mächtiger Flammenwerfer. Die hilflosen Gegner mit ihren mickrigen Schwertern tun mir fast schon leid, wenn ich sie bei 1000 Grad zu Yakiniku röste.
Das schnelle Tempo beim Freischalten von Waffen, Rüstungen und Skills sorgt für extrem viel Abwechslung. Die verschiedenen Kombinationen spielen sich merklich anders und das Herumexperimentieren macht dementsprechend viel Spass. Ich bin verliebt. Mein einziger Kritikpunkt am Kampfsystem ist die manchmal zickige Kamera. Vor allem in engen Räumen dreht sie komplett durch, wenn meine Spielfigur in eine Ecke gedrängt wird. Oft verliere ich dadurch nicht nur die Übersicht, sondern auch den Kampf.
Open World mit technischen Macken
Auf der Suche nach meiner «Zwillingsklinge» erkunde ich drei weitläufige Spielwelten: Yokohama, Edo (heutzutage bekannt als Tokyo) sowie Kyoto. Aufgrund des historischen Settings fühle ich mich unweigerlich an die grandiose Inselwelt von «Ghost of Tsushima» erinnert. Schade, zieht die Open World von «Rise of the Rōnin» grafisch und technisch im Vergleich zum mittlerweile vier Jahre alten PS4-Blockbuster deutlich den Kürzeren.
Während «Ghost of Tsushima» mit einer stark stilisierten und bunten Visualisierung punktet, entscheidet sich «Rise of the Rōnin» für eine realistischere, dafür auch blassere Darstellung seines historischen Szenarios. Diese wird durch einige technische Probleme in Mitleidenschaft gezogen. Egal ob Grafik- oder Performance-Modus, oft ruckelt das Game vor sich hin. Beim Durchqueren der Spielwelt werde ich zudem von matschigen Texturen und unschönen Pop-In-Effekten begleitet. Auch die Charaktere und ihre Animationen wirken stellenweise hölzern und nicht zeitgemäss. Immerhin habe ich es selber in der Hand, wie gut oder schlecht meine eigene Spielfigur aussieht – das Game verfügt über einen erstaunlich ausführlichen Charakter-Editor. Dort kann ich das Aussehen meines Rōnin sogar im späteren Spielverlauf noch anpassen.
Positiv hervorheben muss ich die sehr grossen Städte. Die dicht besiedelten Strassen voller Passanten und Verkäufer entführen mich mit ihrer authentischen Atmosphäre und rustikalem Charme in eine längst vergangene Zeit. Ein wahr gewordener Traum für alle Geschichtsliebhaber und Japan-Fans. Und ein weiterer Grund, wieso ich mich in «Rise of the Rōnin» verliebt habe.
Ich bin ein psychopathischer Massenmörder
Das Durchqueren der weitläufigen Spielgebiete macht aufgrund der Transportmittel unheimlich viel Spass. Mit einem selbstgebastelten Fluggerät gleite ich wie in «Breath of the Wild» durch die Gegend. Dank eines Greifhakens erklimme ich mit Leichtigkeit Felsvorsprünge und Häuser. Und mit meinem Pferd galoppiere ich elegant in Richtung Sonnenuntergang. Herrlich. Lobenswert ist auch, dass die Spielwelten so designt sind, dass ich nie unnötige Umwege nehmen muss, um zum Ziel zu gelangen. Überall sind Abkürzungen platziert, die ich mit meinen Gadgets nutzen kann.
In Yokohama, Edo und Kyoto gibt es viel zu entdecken. Teils lasse ich mich von spannenden Wahrzeichen in der Spielwelt leiten und manchmal arbeite ich eine Ubisoft-artige Open-World-Checkliste im Menü ab. Direkt zu einem Ziel reiten oder fliegen schaffe ich nicht. Ständig weiche ich vom Kurs ab und suche nach sammelbaren Gegenständen oder verliere mich in Nebenaktivitäten und Nebenquests. Die sind zwar nicht sonderlich kreativ, sie sind aber schnell erledigt und geben mir wertvolle Erfahrungspunkte und seltene Items.
Ich sammle versteckte Katzen, erspiele Highscores an Schiessständen und helfe Bürgern in Not. Mein Favorit sind Fotografie-Missionen, in denen ich bestimmte Sujets finden und ablichten muss. Diese Aufträge entschleunigen das actionreiche Spiel und sorgen für Abwechslung im Kampf-Alltag.
Der Hauptbestandteil der Aktivitäten in der Open World besteht aber darin, Dörfer oder Stadtquartiere von fiesen Banditen zu befreien. Die unspektakulären Befreiungsmissionen unterscheiden sich nicht stark voneinander. Aufgrund des hervorragenden Kampfsystems macht das Säubern von Siedlungen aber auch beim fünfzigsten Mal verdammt viel Spass. Oft starte ich im Stealth-Modus. Dabei setze ich meinen Gleitflieger für Attentate aus der Luft ein oder ziehe Feinde unbemerkt mit dem Greifhaken auf Häuserdächer, um sie dort zu ermorden.
Wieso ich die Dörfer befreie und wer diese Kriminellen sind, verrät mir das Game nicht. In «Ghost of Tsushima» war der Auftrag klar: Befreie die Insel von bösen mongolischen Invasoren. In «Rise of the Rōnin» zerstückle ich hingegen irgendwelche Leute, die aus irgendwelchen Gründen ein Dorf übernommen haben. Seien wir ehrlich: Ich bin ein psychopathischer Massenmörder. Aber egal, mein Hirn habe ich längst ausgeschaltet. Ich freue mich einfach, dass ich einen zusätzlichen Grund habe, um noch mehr Gegner niederzumetzeln.
Apropos Hirn ausschalten: Die Banditen haben ihre Oberstübchen anscheinend auch in den Standby-Modus versetzt. Sie sind dumm wie Brot. Bin ich versteckt unterwegs, kann ich einen Banditen mit einem Säbel drei Meter entfernt von seinem Kumpanen ermorden, ohne dass ich entdeckt werde. Mein Opfer schreit wie am Spiess. Sein Kollege sieht das, pfeift vor sich hin und läuft gemütlich weg. Solch unfreiwillig komische Situationen empfinde ich aber nicht als Kritikpunkt – im Gegenteil. «Rise of the Rōnin» hat Ecken und Kanten. Es versprüht aber einen eigenwilligen Charme, der mich an Games aus der PS3-Ära erinnert.
Ein Rōnin kommt selten allein
«Rise of the Rōnin» ist von Team Ninjas anderen Soulslike-Games inspiriert. Neben dem Kampfsystem ist auch das Checkpoint-System typisch Soulslike – Ruhe ich mich an einem «Schneide-Banner» aus, fülle ich Lebenspunkte, Medizin und Munition auf, dafür respawnen bereits getötete Gegner. Killt mich ein Feind, gehen meine erspielten Erfahrungspunkte flöten, bis ich mich an ihm räche.
Ganz so schwer wie ein «Nioh» oder «Wo Long» ist das Spiel aber nicht. Ich kann jederzeit zwischen drei Schwierigkeitsstufen hin- und herwechseln. In vielen Hauptmissionen kämpfen zudem bis zu zwei Gefährten an meiner Seite. Das macht die Aufträge nicht nur einfacher, sondern auch abwechslungsreicher. Wahlweise tausche ich die NPC-Mitstreiter gegen echte Mitspieler aus und kämpfe online mit Freunden oder Fremden.
Für den Test habe ich fast ausschliesslich mit computergesteuerten Gefährten gespielt – nicht zuletzt, weil ich sie in den Missionen bei Bedarf selber steuern kann. Damit lerne ich nebenbei neue Kampfstile und Waffen kennen. So kämpft beispielsweise der französische Kommandant Jules Brunet mit Schild und Schwert, während der legendäre Samurai Ryōma Sakamoto mit Katana und Schusswaffe aushilft. Je höher meine Bindung zu den einzelnen Gefährten ist, desto mehr Angriffe und Kampfvorteile schalte ich frei. Die Bindung erhöhe ich durch das Absolvieren von Missionen sowie Gespräche mit den Charakteren.
Trotz der Abwechslung durch die zahlreichen Verbündeten ist das Missionsdesign der Hauptquests insgesamt eintönig. Spannende Aufgaben gibt es nur selten. Meist muss ich alle Gegner auslöschen und zum Schluss des Levels gegen einen riesigen Boss antreten. Gewalt ist immer die Lösung. Zum Glück macht die Gewalt in «Rise of the Rōnin» so viel Spass, dass mich die simplen Missionen bis zum Abspann nicht langweilen.
Fazit: Ein grandioses Game, trotz Macken und Fehlern
«Rise of the Rōnin» ist ein faszinierendes Game. Es gleicht seinen Mangel an Feinschliff mit einer beträchtlichen Menge an Charme aus. Und dieser Charme lässt mich das Spiel mehr mögen als viele andere auf Hochglanz polierte, aber seelenlose AAA-Spiele.
Ja, die Grafik ist altbacken, das Missionsdesign repetitiv und die Gegner dumm wie Brot. Aber das Kampfsystem und die Fortbewegung in der Open World sind so spassig, dass diese Kritikpunkte verblassen. Schalte ich mein Gehirn aus und geniesse die hervorragende Action, vergeht die Zeit mit dem Spiel wie im Flug. «Rise of the Rōnin» bietet ein zwar nicht makelloses, dafür aber verdammt spassiges und fesselndes Spielerlebnis, das sich kein Samurai- und Japan-Fan entgehen lassen sollte.
«Rise of the Rōnin» erscheint am 22. März für die PS5. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Sony zur Verfügung gestellt.
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.