Ich will eine Dumbwatch
Wenn deine Uhr klüger ist als du, hast du die Kontrolle über dein Leben verloren. Es gibt aber einen einfachen Ausweg.
Bei dem Hype um Smartwatches bekommen Dumbwatches zu wenig Aufmerksamkeit. Oder sollte ich lieber «Feature Watches» sagen? Die Rede ist von herkömmlichen Digitaluhren.
Die Feature Watches haben gegenüber den Smartwatches ähnliche Vorteile wie die Dumbphones gegenüber den Smartphones. Sie müssen nicht dauernd aufgeladen werden, sammeln keine Daten, alarmieren nicht grundlos den Rettungsdienst, und vor allem stupsen sie dich nicht ständig an, um deine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie sind für dich da, wenn du sie brauchst, ansonsten halten sie sich dezent zurück. Eine Dumbwatch ist wie ein alter Freund; eine Smartwatch gleicht eher dem nervigen Arbeitskollegen, den du aus Versehen an einem Apéro angesprochen hast und jetzt nicht mehr loswirst.
Ach ja, und sie kosten weniger.
Blast from the past
Weiterer Pluspunkt: Der Retro-Charme. Mit elf oder zwölf Jahren bekam ich eine Casio Data Bank geschenkt – eine Digitaluhr mit integriertem Taschenrechner und Telefonbuch. Ich mochte sie, weil sie nicht nur Zahlen, sondern auch Buchstaben darstellen konnte. Sie gab mir das Gefühl, die Welt wie ein Erwachsener im Blick zu haben. Sie zeigte mir sogar an, welches Jahr wir hatten. Das wusste ich zwar auch so, aber je mehr sinnloses Zeug die Uhr konnte, desto besser. Ganz wichtig bei diesen Digitaluhren war auch immer der Wasserdicht-Schwanzvergleich: Was, nur 20 Meter? Meine hat 30! Als ob jemand von uns jemals tiefer als drei Meter getaucht wäre.
Soll ich mir eine Uhr kaufen?
Die letzten 25 Jahre habe ich nie eine Uhr getragen. Vielleicht wäre es wieder mal Zeit. Casio macht ja im Prinzip immer noch das Gleiche wie damals.
Dagegen spricht: Ich brauche gar keine Uhr, egal wie dumm oder schlau sie ist. Und ich bin froh, dass die Zeiten vorbei sind, als ich eine brauchte. Das war im Gymnasium, als ich ständig Gefahr lief, zu spät in die nächste Schulstunde zu kommen oder den Bus zu verpassen. Und danach im Militär, als ich innerhalb von fünf Minuten hätte essen, duschen und mich umziehen sollen, unter Androhung von Strafen – bloss, um danach zwei Stunden auf einem Platz herumzustehen und darauf zu warten, dass irgendetwas passiert. Damals lernte ich: Situationen, die eine Uhr erfordern, gilt es zu vermeiden.
Dafür spricht: Ich will sie haben.
Nicht zu lange überlegen
Von diesen Dumbwatches gibt es viele. Im Shop hier über 400. Welche nehm ich denn jetzt? Ich will mich nicht wegen dieser Kleinigkeit zu Tode recherchieren. Aber ich will wissen, ob bei dieser Uhr die Anzeige gut lesbar ist.
In diesem Review wird klar: Nein, ist sie nicht. Damit bleibe ich bei der günstigen Casio F-91W. Weil die so wenig kostet, muss ich jetzt noch irgendwelchen Quatsch kaufen, um auf den Mindestbestellwert zu kommen. Mir fällt da gerade nichts ein – Seifen, Staubsaugerfilter und Zahnpasta hab ich noch genug. Am Ende fülle ich den Warenkorb noch mit einer Smartwatch …
Titelbild: Martin JudDurch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.