Ich will es allen recht machen: Bekenntnisse einer Tastatur
23.12.2021
Die «Schweizer Belegung» ist ein Tastaturlayout, das den Menschen in all unseren vier Sprachregionen die maschinelle Schreibarbeit ermöglichen will. Eine schöne Idee in der Theorie – in der Praxis totaler Murks.
Hallo! Ich bin die Schweizer Tastatur. Auf den ersten Blick erscheine ich wie ein kleines Universalgenie. Auf mir kannst du nämlich alle vier Landessprachen schreiben: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Schon auf den zweiten Blick merkst du aber, dass ich nichts davon richtig kann. Zwar sind für jede Sprache einige Sonderzeichen vorhanden, aber längst nicht alle, die du brauchst. Grosse Umlaute wie das Ä? Fehlanzeige. Oder das scharfe S, das ß, das du benötigst, wenn du einen Text in Standdarddeutsch schreibst? Viel Spass beim Suchen. Dafür hast du eine eigene Taste für das ç, das du genau einmal pro Jahr brauchst, weil du François ein Mail schickst.
Warum bin ich so? Warum will ich es allen rechtmachen? Ist es, weil ich Schweizerin bin? Bin ich die technische Variante der politischen Zauberformel? Von allem etwas, damit die meisten meistens zufrieden sind?
Nun, zu Beginn, als die ersten Schreibmaschinen aufkamen, war es natürlich unsinnig, ein Modell in mehreren Varianten anzubieten für einen so kleinen Markt. Also entwarf man eine Belegung, die ihn möglichst gut abdeckte. Nämlich mich!
- Die Änderung schrieb man damals Aenderung.
- Die Italinità schrieb man damals Italianita, woraufhin man die Rückstelltaste betätigte und ein ` auf das letzte a setzte.
- François bekam auf dieselbe Weise einfach ein Komma unters c.
Später hatten Schreibmaschinen Schreibmaschinenköpfe. Erst recht kein Grund, drei oder vier verschiedene herzustellen. Dafür gab es immerhin sogenannte Tottasten, also Tasten, die kein eigenes Zeichen setzen, sondern das folgende verändern. Das Trema ist eine solche Tottaste: Es macht aus dem Joel einen Joël, indem man es vor dem e betätigt. Es kann auch aus dem A ein Ä machen.
Mittlerweile gibt es Computer. Doch ich, die Schweizer Belegung, existiere weiterhin. Längst haben sich alle an mich gewöhnt, an meine beschränkte Alltagstauglichkeit, an mein wirres Wesen: Die Umschalttaste (Shift) schaltet die deutsch-schweizerisch eingestellte Tastatur in die französisch-schweizerische Betriebsart um, das heisst Shift-ö erzeugt ein é. Für ein Ä musst du, wie gesagt, die Tottaste ¨ drücken und anschliessend Shift-a – oder aber die Feststelltaste (Caps Lock) betätigen, ä drücken und abermals die Feststelltaste betätigen.
Das ist alles sehr mühselig, bleibt aber so, weil es schon immer so war. Auch das ist sehr schweizerisch. Und irgendwie stehe ich ja auch für den nationalen Zusammenhalt: Hey, wir haben eine eigene Tastatur! Sie ist zwar für niemanden richtig brauchbar, aber hey! Eigene Tastatur!
Nun, ich habe dir, liebe Deutschschweizerin, lieber Deutschschweizer, einen guten Tipp: Mach Schluss mit mir. Wir passen nämlich nicht zusammen. Wir sind eines dieser Paare, das nur zusammengeblieben ist, weil es nicht genügend leidet, um sich zu trennen. Und weil es, so scheint es, keine besseren Alternativen gibt. Dabei gibt es eine Tastatur, die richtig gut zu dir passt: die deutsche.
Ja, mit ere tüütsche Taschtatuur!
Jetzt denkst du vielleicht: Um Himmels wille, e tüütschi Taschtatuur! So wyt chunnts no! Aber urteile nicht vorschnell, sondern überleg dir: Wie oft schreibst du Wörter, die mit Ä, Ö oder Ü beginnen? Und wie oft schreibst du Wörter, die é, è oder á enthalten? Siehst du.
Du brauchst die französischen bzw. italienischen Sonderzeichen nicht. Sie verschwenden Platz, den du dringend für die grossen Umlaute benötigst. Darum bist du mit einer deutschen Tastatur viel besser bedient als mit mir. Ja, mit ere tüütsche Taschtatuur!
Ich weiss, Trennungen sind einschneidend. Du bist dein ganzes Schreibleben mit mir zusammengewesen. Aber ich verspreche dir, du wirst mich nicht vermissen, nachdem du deine Hände auf meine Kollegin aus Deutschland gelegt hast. Im Gegenteil, du wirst dich fragen: Was habe ich da jahrelang für idiotische Fingerakrobatik betrieben, bloss um einen simplen grossen Umlaut zu erzeugen?
Die Schweiz ist ein wunderbares Land. Aber sie braucht keine eigene Tastatur. In diesem Fall ist Einkaufstourismus in die Nachbarländer völlig unbedenklich. Wobei Digitec MacBooks mit deutschem Layout übrigens oft an Lager hat.
Was ist Deine Meinung? Hättest du auch gern vollständige Umlauttasten? Oder erfreust du dich an dem bisschen französischen Esprit auf deiner Tastatur, obwohl du die Accent-Tasten kaum brauchst? Schreib es in die Kommentare!
Thomas Meyer
freier Autor
Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch.