Was kann ich überhaupt noch essen?
Deutsch, Andrea Flemmer, 2024
Ernährungswissenschaftlerin Andrea Flemmer verrät im Interview zu ihrem neuen Ratgeber, welche Schadstoffe sich in unserem Essen verstecken und worauf du achten kannst, um dich trotzdem gesund zu ernähren.
Früchte voller Pestizide, Antibiotika im Fleisch und Geschmacksverstärker, Zusatzstoffe und Co. in Fertigprodukten: Unsere Lebensmittel enthalten einen ganzen Cocktail aus ungesunden bis giftigen Inhaltsstoffen. In ihrem neuen Ratgeber «Was kann ich überhaupt noch essen?» gibt die Biologin und Ernährungswissenschaftlerin Dr. Andrea Flemmer einen umfassenden Überblick über das, was sich zum Schaden unserer Gesundheit im Essen befindet. Sie beleuchtet die Hintergründe, erklärt Zusammenhänge und gibt Tipps zu gesunden Alternativen sowie praktische Empfehlungen für einen möglichst schadstoffarmen Speisezettel. Einen ersten Überblick gibt sie im Interview.
Frau Dr. Flemmer, Sie beschreiben in Ihrem jüngsten Buch «Was kann ich überhaupt noch essen?» sehr eindrücklich, wie viele Schadstoffe und versteckte Zusätze sich in unseren Lebensmitteln verbergen. Von Glyphosat über Mikroplastik bis hin zu Umwelthormonen scheint unser Essen fast mehr zu schaden als zu nutzen. Gibt es überhaupt noch Nahrungsmittel, die ich unbesorgt essen kann?
Andrea Flemmer: Oh ja, die Bio-Lebensmittel! Die dürfen a) keine Pestizide enthalten und b) nur wenig Zusatzstoffe. Damit erspart man sich vielleicht nicht alles, aber das Meiste!
Haben Sie bestimmte Nahrungsmittel nach der Recherche zu diesem Buch gänzlich von Ihrem Speiseplan gestrichen? Und wenn ja, aus welchem Grund?
Das habe ich. Konventionell erzeugtes Fleisch. Ich kann ja nicht nachprüfen, was das Tier gefressen hat. Und seitdem der Tiermehlskandal in Großbritannien war, möchte ich sicher gehen, dass das Tier, das ich esse, dieses «Futter» nicht bekam. Ich habe damals als Umweltbeauftragte gearbeitet und da hat mich eine Firma, die Fleisch erzeugt hat, darüber informiert, wohin das Fleisch, das Deutschland nicht mehr abnahm, dann kam. Nein, Fleisch ist mir zu unsicher. Ganz davon abgesehen, dass ich nichts von Massentierhaltung halte.
Sie erwähnen das «Dirty Dozen», das «Schmutzige Dutzend», eine Liste von Lebensmitteln, die besonders stark mit Schadstoffen kontaminiert sind. Dazu zählen etwa Tomaten,Trauben, Kirschen, Äpfel und Erdbeeren. Sollte ich ganz auf diese Lebensmittel verzichten?
Auf keinen Fall. Wir benötigen eine ganze Mischung von Lebensmitteln, damit wir ausreichend mit Vitaminen, Mineralstoffen etc. versorgt werden. Ich rate nur, diese in Bioqualität zu kaufen.
Kann ich mich also schützen, indem ich zu Bio-Lebensmitteln greife, weil die weniger Schadstoffe enthalten?
Damit können Sie sich auf alle Fälle schützen, denn für Bio-Lebensmittel dürfen weder Pestizide noch Kunstdünger verwendet werden. Letzterer schadet auch unserer Energieversorgung. Zwei Prozent unseres Weltenergiebedarfs wird für die Produktion von Kunstdünger ausgegeben.
Im Kapitel zu Fast Food, Junk Food und den Tricks der Lebensmittelindustrie beleuchten Sie unter anderem, was Fertigsuppen tatsächlich beinhalten: Palmöl statt Butter, Glutamat als Geschmacksverstärker, Salz und Zucker für den Geschmack, Sahne- und Milcharoma statt echter Sahne, Ascorbinsäure, Emulgatoren, das Verdickungsmittel Xanthan und so weiter. Das klingt weder nahrhaft noch gesund. Raten Sie gänzlich davon ab, Fertigprodukte und stark verarbeitete Lebensmittel zu essen?
Na ja, dann könnte man nicht mehr zum Essen gehen. Ich rate dazu, soweit irgend möglich, auf Fertigprodukte zu verzichten und lieber selbst zu kochen. Es gibt aber auch Firmen, die zumindest keine Zusatzstoffe verwenden. Davon abgesehen, dürfen für Bioprodukte nur deutlich weniger Zusatzstoffe verwendet werden. Wenn schon, dann diese.
Ein Kapitel in Ihrem Buch hat die Überschrift «Welche Ernährung ist die gesündeste?». Haben Sie eine einfache, allgemeingültige Antwort auf diese Frage?
Viel Gemüse, viel Obst, zweimal die Woche Fisch, wenig Fleisch und dies möglichst in Bio-Qualität.
Sie erwähnen, dass robusteres Obst und Gemüse (wie z.B. Kartoffeln, Möhren oder Kohl) weniger Pestizide enthalten. Da diese Arten nicht so anfällig sind wie etwa Trauben oder Erdbeeren, werden sie auch weniger mit giftigen Pflanzenschutzmitteln behandelt. Also: Wurzelgemüse ist normalerweise weniger belastet als Blatt- und Fruchtgemüse. Haben Sie weitere Faustregeln dieser Art, mit denen die Auswahl schadstoffärmerer Nahrungsmittel gelingt?
Abgesehen von Bio-Qualität empfehle ich Obst und Gemüse mit Schalen, z.B. Nüsse oder Avocados.
Sie schreiben auch über «Ugly Food», also Lebensmittel, die krumm sind, Schorfstellen oder andere vermeintliche Makel aufweisen. Inwiefern können diese «hässlichen Lebensmittel» gesünder sein?
Naja, ich habe schon Beschwerden bekommen, dass Bio-Obst und Bio-Gemüse nicht so super aussieht. Ich erinnere mich noch an den Apfelbaum meiner Eltern. Die Früchte sahen meistens gut aus, aber nicht alle. Dann hat man halt die entsprechenden Stellen entfernt. Aber die Äpfel waren deutlich besser als irgendwelche Supermarktäpfel. Zudem hat man herausgefunden, dass die alten Sorten keine Allergien hervorrufen – aber davon in meinem nächsten Buch.
Das letzte Kapitel widmen Sie der Zukunft unserer Ernährung. Es handelt unter anderem von Vertical Farming, trockenresistenten Pflanzen und Insekten als Nährstoffquelle. Denken Sie, dass sich die Schadstoffbelastung in unserem Essen zukünftig durch neue Methoden, Sorten und Nahrungsquellen eher verringern oder noch weiter verschärfen wird? Gibt es Ansätze, die auf weniger Gift in der Nahrung und Umwelt hoffen lassen?
Da kam kürzlich eine Fernsehsendung in ARTE – nein, das hat mich gar nicht positiv gestimmt. Ich bin Diplom-Biologin – ich weiß wie unangenehm manche Insekten sind. Da ist der Griff zur Giftspritze einfach bequemer. Also ich warte noch darauf, dass die ganzen Pestizide in unserem Trinkwasser ankommen. Nicht umsonst hat ein intelligenter Wasserwerker das gesamte Einzugsgebiet des Münchner Trinkwassers auf Bio umstellen lassen und ich habe dieses Wasser im Studium auch noch untersucht – Schadstoffe wurden da extra zugegeben, damit man den Nachweis lernen konnte.
Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.