Kennst du noch? «Suikoden», die Initialzündung für JRPGs auf der Playstation
Der Schöpfer der «Suikoden»-Spiele Yoshitaka Murayama ist tot. Ich blicke aus diesem Grund auf den ersten Teil der Serie zurück, welchen ich nun mit zwei Verlusten verbinde.
Das Main Theme von «Suikoden» spielt. Die Musik transportiert mich zurück in meine Jugend. Zurück ins Jugendzimmer meines damals besten Freundes. Ein vertrauter Geruch steigt mir in die Nase. Es ist Frühling 1997. Draussen scheint die Sonne. Mein Freund und ich sitzen jedoch drinnen vor seinem Röhrenfernseher. Wir spielen «Suikoden». Unser erstes JRPG auf der originalen Playstation. Das Spiel von Yoshitaka Murayama zieht uns voll in seinen Bann.
Vom Handheld auf die Konsole
Die Produktion von Suikoden beginnt bereits 1994. Konami entwickelt in jener Zeit einen eigenen Handheld. «Suikoden»-Erfinder Yoshitaka Murayama wird damit beauftragt, ein RPG für diesen zu entwickeln. Die Pläne werden jedoch verworfen, als Konami von der Playstation erfährt. Statt auf Hardware will das Unternehmen auf Spiele für die neue Konsole setzen.
Da Murayama nun ein RPG für eine Konsole und keinen Handheld entwickelt, lässt das Team die ursprünglichen Pläne fallen. Die Möglichkeiten der Konsole sind grösser. Der Fokus soll auf der Spielwelt liegen. Vom ursprünglichen Projekt nimmt Murayama nur den Namen des besten Freundes vom Hauptcharakter mit: Ted.
Murayama ist Manga-Fan. Vor allem von solchen, die einen grossen Cast haben. Einen solchen will er auch für sein Spiel. Es soll eine dramatische Geschichte mit vielen Charakteren werden. Alle, die das Spiel zocken, sollen sich mit Persönlichkeiten in der Gruppe identifizieren können.
Um diese Idee den Verantwortlichen bei Konami schmackhaft zu machen, stützt sich Murayama auf die chinesische Buchreihe «Die Räuber vom Liang-Schan-Moor» – «Suikoden» in Japanisch. In der Geschichte kommen 108 Banditen zusammen, um sich der Regierung zu widersetzen. Den Verantwortlichen gefällt die Idee und die «108 Sterne des Schicksals», wie sie heissen, finden ihren Weg ins Spiel. Das Spiel «Suikoden» soll jedoch keine Kopie von «Die Räuber vom Liang-Schan-Moor» werden.
Weiter zieht Murayama Inspiration aus «The Eternal Champion», einem Fantasy-Roman des Engländers Michael Moorcock. Das sorgt für einen Mix aus westlichen und fernöstlichen Fantasy-Elementen in «Suikoden».
Das Spiel ist eines der ersten JRPGs für die Konsole, das es in den Westen schafft. Es löst eine Welle von weiteren Vertretern des Genres aus. Murayama zeichnet sich dann auch für den zweiten und dritten Teil der Serie verantwortlich. Konami verlässt er jedoch vor Erscheinen von Teil 3, um seine eigene Firma Blue Moon zu gründen. Den Release seines neuesten Werks «Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» wird er nicht mehr erleben. Gemäss seinem aktuellen Studio Rabbit and Bear Studios ist Murayama am 6. Februar 2024 aufgrund fortlaufender Krankheit gestorben.
Darum geht’s in «Suikoden»
Es folgen kleinere Spoiler zum Anfang des Spiels. Falls du es selbst noch zocken willst, überspringst du diesen Abschnitt am besten.
Du spielst Tir McDohl. Tir der vorgegebene Name. Du kannst deinem Charakter auch einen eigenen Namen geben. Tir ist der Sohn des Grossgenerals Teo McDohl des Scarlet Moon Empire. Dieser begibt sich zu Beginn auf eine Mission. Tir bleibt mit den Angestellten Pahn, Cleo und Gremio sowie seinem Freund Ted zurück. Ted ist der beste Freund von Teo. Auch sonst hat Tir eher ein freundschaftliches Verhältnis mit den Bediensteten des McDohl-Haushalts.
Tir startet seine eigene Militärkarriere am Anfang des Spiels. In Abwesenheit seines Vaters geht er gemeinsam mit seinen Freunden auf die ersten Missionen. Dabei wird er Zeuge der Korruption innerhalb des Imperiums und des Imperators selbst. Die Ereignisse überschlagen sich. Ted, der eine der 27 wahren Runen – einzigartige Magie – besitzt, stirbt und überlässt die Rune mit dem Namen «Soul Eater» Tir. Er muss in der Folge fliehen, da die Regierung hinter der Rune her ist.
Tir schliesst sich der Freiheitsarmee an und übernimmt bald deren Führung. Nebst der eigentlichen Geschichte muss er die 108 Sterne des Schicksals rekrutieren, damit seine Armee wächst. Dadurch soll das Land reformiert werden.
«Suikoden» richtet sich an ein jüngeres Publikum
Der Plot von «Suikoden» ist relativ einfach. Für mich und meinen Freund war das damals perfekt. Das Spiel erschien nämlich nur in Englisch. Als 14-Jährige waren wir der englischen Sprache noch nicht so mächtig wie heute. Auch aus heutiger Sicht ist der einfache Plot nicht tragisch. Denn er enthält viele gute Charakter-Subplots, die der Geschichte Tiefe verleihen. Auch wenn die meisten der 108 Charaktere keine grossen Hintergrundgeschichten erhalten, sind sie dennoch nicht flach. Alle haben ihre eigene Motivation. Und: Die Bösen sind eben einfach nicht nur böse. Murayama und sein Team schaffen es, Charakteren mit wenigen Textzeilen Charakter zu verleihen. Ja, Textzeilen: 1997 sind vertonte JRPGs noch Zukunftsmusik und es gibt viel zu lesen.
«Suikoden» richtet sich eher an ein jüngeres Publikum. Dennoch werden nebst dem Horror des Krieges Dinge wie Terrorismus, chemische Kriegsführung, Genozid, Rassismus und Vatermord verhandelt. Das Ganze ist aber so verpackt, dass es gut verdaulich für Jugendliche ist. Die Geschichte zeigt eine Welt, wie sie eben ist: weder schwarz noch weiss. Ich würde meinem Sohn, wenn er denn mal Interesse an JRPGs hat, «Suikoden» als Erstes empfehlen.
Eine Eigenheit von «Suikoden» ist, dass der Hauptcharakter stumm ist. Er spricht nie. Dadurch soll suggeriert werden, dass der Charakter dich als Spieler oder Spielerin verkörpert. Du kannst tatsächlich ab und zu Entscheidungen treffen. Viele Möglichkeiten hast du jedoch nicht. Damit du weiterkommst, musst du die vom Spiel vorgesehenen Entscheidungen treffen. Diese vorgegaukelte Entscheidungsfreiheit ist Usus in JRPGs.
Meinen Freund und mich hat das damals kaum gestört. Im Gegenteil: Dass der Hauptcharakter nichts sagt, haben wir als cool empfunden. Und dann war da auch noch sein Look mit dem grünen Tuch auf dem Kopf und dem Stock. Wir haben uns mit dem jungen Herrn identifiziert.
Viele Arten zu kämpfen
«Suikoden» ist eines der einfachsten JRPGs, das ich je gespielt habe. Weshalb es sich auch für Neulinge eignet. Murayama wollte, dass das Spiel stressfrei ist. Das zeigt sich am besten an der Encounter Rate, also daran, wie häufig Gegner erscheinen. Die ist so angesetzt, dass sie sich verringert, wenn der Hauptcharakter lange in eine Richtung läuft. Wenn du also unterwegs an einen bestimmten Ort bist, sinkt die Encounter Rate. Wenn du hingegen hochleveln willst und hin und her läufst, steigt sie.
Da es mühsam ist, die vielen Charaktere zu leveln, erhalten jene mit tieferer Stufe viel mehr Erfahrungspunkte. Hat ein neues Party-Mitglied 20 Level weniger als der Hauptcharakter, verringert sich dieser Unterschied innerhalb von fünf, sechs Kämpfen auf wenige Level. Das regt auch dazu an, verschiedene Party-Zusammenstellungen auszuprobieren.
Eine der besten Optionen ist das Weglaufen von Kämpfen. Bei vielen JRPGs basiert dieses auf dem Zufallsprinzip. Das ist bei «Suikoden» nur bedingt so. Sind deine Charaktere auf einem ähnlichen Level wie die Gegner, heisst der Befehl zum Weglaufen «Run». In diesem Fall ist es Zufall, ob du entkommst oder nicht. Heisst der Befehl hingegen «Let go» bedeutet dies, dass deine Party stärker ist als die Gegner. Du entkommst dann in jedem Fall oder besser gesagt: Du lässt die Gegner ziehen.
Wie üblich für JRPGs jener Zeit laufen die Kämpfe rundenbasiert ab. Deine Party besteht aus bis zu sechs Personen, die in zwei Reihen à drei Personen stehen. Du kannst physische Angriffe oder Magie ausführen sowie Gegenstände verwenden. Speziell sind sogenannte Unite-Angriffe: Gewisse Charaktere können gemeinsam angreifen, was zu mehr Schaden führt.
Die Charaktere sind in Kurz-, Mittel- oder Lang-Angreifer unterteilt. Wenn du sie in der falschen Reihe platzierst, können sie die Gegner nicht angreifen. Kurz-Angreifer kämpfen beispielsweise nur aus der vorderen Reihe. Du solltest deine Party also nicht nur aus Kurz-Angreifern zusammenstellen.
Es bleibt aber nicht bei den klassischen rundenbasierten Kämpfen zu sechst. Da «Suikoden» eine Kriegsgeschichte erzählt, gibt es ein Minispiel in Form von Schlachten. Dort kämpfst du mit verschiedenen Einheiten der Befreiungsarmee gegen die imperialen Streitkräfte. Im Grunde genommen laufen die Schlachten nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip ab. Hier schlägt «Charge» «Bow», «Bow» schlägt «Magic» und «Magic» schlägt «Charge». Du hast aber je nach Charakteren, die du rekrutiert hast, weitere Optionen, die dir strategische Überlegenheit sichern. Besonders bitter: Bei diesen Schlachten können Charaktere endgültig sterben. Willst du das perfekte Ende von «Suikoden» sehen, müssen jedoch nicht nur alle 108 Charaktere rekrutiert sein, sondern auch überleben. Die Schlachten haben also Konsequenzen.
Nebst diesen grossen Schlachten gibt es Einzelduelle. Auch diese laufen nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip ab: «Attack» schlägt «Defend», «Defend» schlägt «Desperate Attack» und «Desperate Attack» schlägt «Attack». Die Gegner geben jeweils mit ihren Aussagen vor der Auswahl ein Indiz darüber, wie ihr nächster Schritt aussieht. Die Kämpfe sind aus heutiger Sicht einfach. In meiner Kindheit waren sie episch und liessen den Puls in die Höhe schnellen.
Lästiges Inventar, prächtiges Schloss
Genre-typisch kannst du dich ausrüsten, einkaufen, Waffen aufrüsten oder Side Quests machen. Das Item-Management ist im Gegensatz zum sonstigen Gameplay jedoch alles andere als zugänglich. Jeder Charakter besitzt ein eigenes Inventar mit neun Plätzen. Dazu zählt auch die Ausrüstung. Hast du keinen Platz mehr, musst du die Gegenstände mühsam zwischen den Charakteren hin- und herschaufeln oder liegen lassen. In deinem Hauptquartier kannst du nicht gebrauchte Gegenstände auch zwischenlagern. Aber Vorsicht: Wichtige Gegenstände sollten immer im Besitz des Hauptcharakters sein. Hat sie jemand anders und die Person verlässt die Party für eine gewisse Zeit, stehen sie dir nicht mehr zur Verfügung.
Das Hauptquartier ist eines der Highlights des Spiels. Nachdem du das Schloss, das als Basis dient, eroberst, ist es leer und heruntergekommen. Jedes Mal, wenn du jemanden rekrutierst, verändert es sich. Es kommt Leben in die Bude. Es entstehen Shops und Dienstleistungen und du kannst Mini-Games spielen. Auch Fast-Travel-Optionen oder Upgrades an einem Boot kommen mit neuen Charakteren hinzu. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Freund und ich bei jedem neuen Rekrut zurück zur Basis gingen, um nachzusehen, was sich verändert hat. Auch wenn du nie alle 108 Charaktere aktiv in deiner Party nutzt, haben sie so alle einen Sinn.
Genialer Soundtrack, der Emotionen weckt
Zum Schluss muss ich nochmal zurück zum Soundtrack kommen. Für diesen ist Mimi Higashino verantwortlich. Kein grosser Name. Sie hat unter anderem Tracks für «Gradius» oder «Vandal Hearts» gemacht.
Higashino hat einen Hintergrund in klassischer Musik und das hörst du dem Soundtrack an. Dennoch ist er sehr divers. Higashino will mit der Musik die verschiedenen Kulturen und Rassen in der Welt von «Suikoden» hervorheben, was hervorragend gelingt. Mir gefällt jeder Track des Spiels. Sie transportieren genau die Emotionen, die das Spiel vermitteln will.
Besonders hervorzuheben ist das Main Theme. Das Leitmotiv des Tracks geht von kühn und mutig zu weich und sentimental über. Es transportiert so viele Emotionen auf einmal. Emotionen, die auch nach Jahren des ersten Durchspielens wieder in mir hochkommen, wenn ich die Musik höre.
Für mich holt das Stück aber nicht nur die Erinnerung an das Spiel zurück, sondern auch an all die Stunden, die ich mit meinem Freund damals verbracht habe. Ich heule denn auch wie ein Schlosshund, als ich mir das Main Theme für diesen Artikel zum ersten Mal wieder anhöre. Grund dafür: Mein Freund ist vor fünf Jahren verstorben. «Suikoden» ist für mich deshalb vor allem auch Erinnerung an ihn. Ich freue mich jetzt auch auf die Remaster, damit ich mich beim Zocken an ihn und unsere gemeinsame Zeit erinnern kann.
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.