
Hintergrund
Ich habe «South of Midnight» vorab gespielt – und mich sofort verliebt
von Domagoj Belancic
Lange bevor «Vampyr» das Blutsauger-Genre aus dem Schlaf gerüttelt hat, liess dich «Vampire: Masquerade – Bloodlines» in die Rolle eines der berühmten lichtscheuen Geschöpfe schlüpfen und die Strassen von Los Angeles unsicher machen.
14 Jahre später erfüllt mich der Gedanke an «Vampire: Masquerade – Bloodlines» immer noch mit einer wohligen Wärme. Die Mischung aus unverbrauchtem Szenario, vielschichtigem Rollenspiel und spannender Geschichte hat mich damals schwer gefesselt. Das kürzlich erschienene «Vampyr» konnte zwar meinen Blutdurst etwas stillen, aber an das PC-Game «Vampire: Masquerade – Bloodlines» kommt es nicht heran.
Das Spiel ist um die 00er-Jahre angesiedelt und fängt damit an, dass du beim Schäferstündchen gebissen wirst und als Vampir erwachst. Aber nicht als 0815-Blutwurst. Du musst dich für einen von sieben Clans entscheiden. Alle haben unterschiedliche Stärken und Schwächen und die Wahl hat grosse Auswirkungen auf den Spielverlauf. So kannst du als Nosferatu beispielsweise nicht einfach durch die Strassen flanieren. Dein monströses Aussehen ist viel zu Auffällig. Also musst du mit dem Weg durch die Kanalisation vorlieb nehmen. Dafür ist deinen tödlichen Krallen kaum jemand gewachsen. Oder du entscheidest dich für die Malkavians, die nicht ganz richtig im Kopf sind. Das sorgt für unterhaltsame Dia- und Monologe, die mich regelmässig zum Lachen gebracht haben. Die Tremere kann ich ebenfalls empfehlen. Dieser geheimnisvolle Clan setzt auf Blutmagie. Ich weiss noch, wie ich zig mal neugestartet habe, weil ich mich doch wieder für einen anderen Clan umentschieden habe.
Während dein Erschaffer wegen Regelverstoss hingerichtet wird, findest du dich mitten im Intrigenspiel der rivalisierenden Vampirclans wieder. Neben der verstrickten Hauptquest kannst du diversen oft umfangreichen Nebenaufgaben nachgehen. Dafür durchstreifst du verschiedene nächtliche Stadtteile Los Angeles. Quests können meist auf unterschiedliche Arten gelöst werden. Gewisse Lösungswege stehen dir aber nur offen, wenn du sehr aufmerksam spielst und in den Dialogen genau zuhörst – war schon damals keine meiner Stärken. Die Aufgaben treiben dich in Spitäler, die als geheime Blutbanken fungieren, in die Kanalisation auf Monsterjagd oder machen dich zum Privatdetektiv für einen brutalen Mordfall.
Die Figuren, denen du auf deinen Abenteuern begegnest, sind das Tabasco in der Bloody Mary. Mal triffst du auf einen Vampir, der in seinem früheren Leben Schauspieler war und für den du einen alten Horror-Film wiederfinden sollst – dafür belohnt er dich mit erotischen Postern von Vampirdamen. Oder du hilfst einem ehemaligen Supermodel ihre frühere Mitstreiterin zu verunglimpfen. Aus ihr spricht der Frust, weil sie als Nosferatu im Untergrund ihr Dasein fristen muss. Das modrige Klima schlägt aufs Gemüt. Der Erfolg der Quest resultiert in der folgenden Zeitungsausgabe.
Deine Taten haben teilweise Auswirkungen auf deinen Menschlichkeitslevel. Der ist bei jedem Vampire-Typ unterschiedlich. Je tiefer er sinkt, desto weniger hast du deine innere Bestie unter Kontrolle. Das hat mich aber auch mehr als einmal in einem schwierigen Kampf gerettet. Im Beast-Mode verteilst du nämlich doppelt harte Schellen. Allerdings hast du mit einem tiefen Menschlichkeitswert auch weniger Optionen in den Dialogen.
Ich habe es zudem geliebt, mich in den vielen ausgefallenen Orten aufzuhalten, heimlich irgendwelchen Unterhaltungen zu lauschen oder einfach mal wieder von meinen zahlreichen Vampir-Fähigkeiten Gebrauch zu machen. Jede Klasse greift dabei auf unterschiedliche Skills zurück. Während einige mit klassischen Schusswaffen Vorlieb nehmen, bevorzugen anderen den Nahkampf. Oder sie bedienen sich der Magie, beschwören Wölfe und manipulieren Gegner, damit sie sich gegenseitig angreifen.
Während mich das Spielprinzip, die Welt und ihre Figuren auch ohne magische Tricks in ihren Bann zogen, liessen mich nervige Bugs immer wieder unliebsam aus der Trance erwachen. Leider endete der offizielle Support bereits mit Patch 1.2. Glücklicherweise sorgten unermüdliche Fans für den vielleicht längsten inoffiziellen Patch-Support, den es je gab. Im April 2018 kam Version 10.0 heraus. Die Fan-Updates eliminierten aber nicht nur Bugs, sondern ergänzten das Spiel sogar um unveröffentlichte Inhalte.
«Vampire: Masquerade – Bloodlines» wurde mit der Source-Engine programmiert und sieht heute aus, als hätte es zu lange in einem modrigen Sarg übernachtet. Leider hat das Spiel anders als «Half-Life» bisher keine optische Generalüberholung erhalten. Wenn du über diesen Missstand hinwegsehen kannst, findest du aber auch heute noch ein charmantes Action-Rollenspiel vor, das dich rund 30 Stunden bestens unterhalten wird.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.