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Laut Statistik hörst du täglich Radio. Stimmt das?
Die meisten Leute in der Schweiz hören nach wie vor täglich Radio, heisst es. Wirklich? Woher kommt diese Aussage? Ein paar Infos zur Radionutzung und wie sie gemessen wird.
Ich habe schon mehrfach (aber nicht im Radio) gehört, dass Radio das meistgenutzte Medium der Schweiz sei – bis heute. Dabei wurden Nutzungszahlen genannt, die mir absurd hoch erscheinen. Weit über 80 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz würden heute noch täglich Radio hören.
Echt jetzt? Ich konnte das nicht glauben. Für mich ist sogar schon Fernsehen halb tot, ich nutze dieses Medium – zumindest in seiner klassischen Form – nur noch für Live-Sportübertragungen. Radio höre ich schätzungsweise so zweimal im Jahr. Ich kenne niemanden, von dem ich sicher bin, dass er oder sie täglich Radio hört. Aber es ist natürlich gut möglich, dass ich mich mit meiner Wahrnehmung in einer Blase befinde, die überhaupt nicht repräsentativ ist.
Also wollte ich es genauer wissen: Wie kommen die Zahlen zustande? Finde ich sogar den Grund, weshalb so viele Leute Radio hören?
Woher die Statistik kommt
Die Zahlen zum Radio- und TV-Konsum in der Schweiz werden von der unabhängigen Stiftung Mediapulse gemessen, respektive von deren Tochterfirma Mediapulse AG. Mediapulse hat vom Bund den Auftrag dazu und gibt öffentlich einsehbare Berichte heraus.
Die Mediapulse ist es auch, die schreibt: «Täglich schalten 86,7% der Bevölkerung in der Deutschschweiz während rund 115 Minuten das Radio ein.»
So wird gemessen
Praktischerweise veröffentlicht die Stiftung auf ihrer Webseite auch gleich die Details zur Messmethode. So funktionierts: Die Personen, die sich für einen bestimmten Zeitpunkt an den Messungen beteiligen, tragen eine spezielle Armbanduhr. Sie hört mit und erkennt so ähnlich wie die App «Shazam», ob gerade ein Radioprogramm zu hören ist und wenn ja, welches. Die Messungen sind proportional zu den Sprachregionen verteilt und auch bezüglich Alter und Geschlecht mehr oder weniger repräsentativ. Durch eine unumkehrbare Datenreduktion ist laut Mediapulse auch der Datenschutz gewährleistet.
Folgender Punkt ist interessant: «Die Empfindlichkeit des Messsystems entspricht dabei derjenigen des menschlichen Gehörs und kann auch passiven Radiokonsum erfassen», schreibt Mediapluse auf ihrer Website. Der passive Konsum dürfte die hohen Nutzungszahlen teilweise erklären. Denn wenn in Läden, Restaurants etc. ein Radioprogramm läuft, werden nach dieser Messart alle, die sich dort aufhalten, automatisch zu Radiohörern.

Wenn du deine Kopfhörer auf hast und in einer Umgebung Spotify hörst, wo Radio läuft, dann stimmt die Messung nicht. Umgekehrt kann auch der Radiokonsum über Kopfhörer nicht gemessen werden.
Trotz dieser Vorbehalte wüsste ich keine bessere Messmethode. Letztlich kann nur der Hörer (bzw. Nichthörer) sagen, ob der Konsum bewusst und beabsichtigt stattgefunden hat. Damit wäre eine automatische Messung ausgeschlossen. Denn es dürfen natürlich nicht nur die eigenen Radiogeräte gemessen werden, das wäre auch nicht präzis.
Seit dem 1. Juli 2017 wendet Mediapulse eine neue Messmethode an. Doch am Grundprinzip mit den Messuhren und der passiven Nutzung hat sich nichts geändert. Es werden neue und wesentlich mehr Uhren eingesetzt, die Messung wird dadurch repräsentativer. Im zweiten Halbjahr 2017 wurde parallel mit der neuen und der alten Methode gemessen, ab 2018 nur noch mit der neuen. Durch die Umstellung werden die Zahlen ab dem Jahresbericht 2018 nicht mehr direkt mit denen früherer Jahre vergleichbar sein. Die Details zur neuen Messmethode findest du in dieser Online-Präsentation.
Wie die Leute Radio hören
Der 75-seitige Bericht zur Radio- und TV-Nutzung liefert detaillierte Daten. Wie gross der Anteil von aktivem Hören und lediglich passiver Berieselung ist, bleibt zwar weiterhin Spekulation. Aber für die Spekulation gibt es immerhin starke Indizien.
Das ist die Verteilung des Medienkonsums über einen durchschnittlichen Tag verteilt.
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Während der TV (schwarz) erwartungsgemäss vor allem abends läuft, ist der Radiokonsum (rot) über den ganzen Tag verteilt. Mit einem Peak frühmorgens und einem kleineren Peak über Mittag. Die Vermutung dazu: Radio hören die Leute vorwiegend im Auto und während der Arbeit.
Auto: Dazu passt, dass zur Rushhour (auch über Mittag) die Kurve jeweils nach oben geht. Im Auto ist Radiohören natürlich auch etwas vom wenigen, was du neben Autofahren überhaupt tun kannst und darfst.
Arbeit: Die Nutzung ist zu Bürozeiten erstaunlich konstant. Die Personen im erwerbstätigen Alter hören zwar weniger Radio als die Pensionierten, aber immer noch erstaunlich viel. Selbst in der Altersgruppe 15-24 Jahre hören immer noch fast 70 Prozent täglich Radio. Die tägliche Nutzungszeit ist um ein Vielfaches tiefer als bei der Altersgruppe 60+, beträgt aber immer noch satte 46 Minuten.
Interessant in diesem Zusammenhang: So ab 10 Uhr morgens verhalten sich Radio- und Internetnutzung mehr oder weniger entgegengesetzt. Bei der Grafik von 2013, als noch weniger Leute unterwegs online waren, zeigt sich das während der Hauptverkehrszeit noch deutlicher. Im Auto kann man halt nicht surfen.
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Wie digital ist das denn?
Ebenfalls aus den Berichten der Mediapulse herauszulesen ist, wie viele Haushalte ein digitales Radiogerät (DAB+) haben.
2013 | 26 Prozent |
2014 | 31 Prozent |
2015 | 32 Prozent |
2016 | 38 Prozent |
2017 | 39 Prozent |
Der Anteil der Haushalte, die gar kein Radiogerät haben, lag in den letzten Jahren immer bei 6-7 Prozent.
Mein erster Gedanke war, dass diese Angaben zeigen, wie stark die Schweizer noch an Radio generell interessiert sind. Denn anders als UKW-Radios, die irgendwo in einer Ecke vor sich hin motten, musste ein DAB-Radio ja jemand in jüngerer Vergangenheit extra kaufen. Allerdings sind in neuen Autos oft DAB-Radios bereits eingebaut. Ob diese Käufer wirklich am Medium Radio interessiert sind, lässt sich schwer sagen.
Da kommt mir eine Statistik von unserem eigenen Unternehmen gelegen. Demnach verkauft unser Shop seit längerem hauptsächlich Radios mit DAB+. Besonders im Heimgebrauch haben 80 bis 90 Prozent der verkauften Radios DAB+. Neuerdings gilt das auch für Autoradios, wo der DAB-Anteil in den letzten zwei Jahren stark angezogen hat. Mittlerweile liegt er bei knapp 80 Prozent. Da dies nachgerüstete Radios sind, ist das Interesse eindeutig.
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Welche Sender?
Auch das geht aus den Mediapulse-Berichten hervor: Radio heisst in der Deutschschweiz vor allem SRF. Die SRG hat etwa zwei Drittel Marktanteil, alleine SRF 1 schafft etwa 30 Prozent und damit gleich viel wie alle Privatradios zusammen. Diese splittern sich in Dutzende von kleinen lokalen Stationen auf, von denen keines mehr als drei Prozent erreicht. Nicht wenige werden mit einem Anteil von 0.0 Prozent aufgelistet.
Fazit: unauffällig im Alltag präsent
Auch wenn letztlich unklar bleibt, wie hoch der Anteil der passiven Nutzung ist, sind die Zahlen beeindruckend hoch. Ich erkläre es mir so, dass das Radio ein unauffälliges Begleitmedium ist, das sich – anders als etwa Fernsehen – nicht in den Vordergrund drängt. Deshalb ist es uns manchmal wohl gar nicht bewusst, dass wir Radio hören.
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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.