LG 75SM9900
75", Nano-Cell, 8K, 2019
8K ist das Nonplusultra, sagen die TV-Hersteller. Ist nicht wahr, sage ich. Im Review von LGs SM9900 stelle ich fest: Der 8K-Fernseher taugt tatsächlich nichts. Schuld ist aber nicht 8K, sondern etwas ganz anderes.
LGs erster 8K-Fernseher heisst SM9900 und ist seit vergangenem November auf dem Markt. Damit gehört er noch zum 2019er-Jahrgang. Altes Eisen, sozusagen. Womöglich auch von Kinderkrankheiten geplagt, so als erster 8K-Fernseher seiner LG-Generation.
LG selbst hat mir das Gerät für den Test zur Verfügung gestellt. Und was ich zu sehen kriege, hat nichts mit Kinderkrankheiten zu tun. Der SM9900 hat eklatante Schwächen. Schlimmer noch. Er ist derart unnütz, dass es weh tut. Denn über Sinn oder Unsinn von 8K zu sinnieren, ist das eine. Das Problem des SM9900 aber ist ein ganz anderes.
Nämlich Blooming.
Blooming. Das ist der englische Begriff für den «Heiligenschein» um helle Objekte herum vor dunklem Hintergrund. Blooming entsteht dann, wenn das Hintergrundlicht dort sichtbar wird, wo eigentlich Schwarz sein müsste. Ein Beispiel:
Was du siehst, ist das Netflix-Logo. Das rote «N» vor schwarzem Hintergrund. Und ein Heiligenschein drumherum. Das Problem: LCD-Pixel können nicht ihr eigenes Licht ausgeben. Darum sorgen dutzende LEDs – je nach Modell auch hunderte – für das Hintergrundlicht, das die Pixel zum Strahlen bringt. Leuchtkristalle im Zusammenspiel mit Polarisationsfilter schotten Licht dort ab, wo Schwarz sein müsste.
Weil das physikalisch bedingt nie zu 100 Prozent klappt, ist bei LCD-Fernsehern da, wo Schwarz sein müsste, eher Dunkelgrau. Um dem entgegenzuwirken, haben TV-Hersteller Full Array Local Dimming (FALD) ausgetüftelt. Das heisst, dass dort, wo das Bild hell strahlen soll, die LEDs entsprechend hell strahlen. Hinter dunklen Bildbereichen dimmen sie sich hingegen ab oder schalten sich ganz aus. So entstehen bessere Schwarzwerte. Der Nachteil an FALD ist, dass dort, wo der Unterschied zwischen hell und dunkel besonders gross ist, Blooming entstehen kann.
Was in der Theorie gut klingt und mich auch in der Praxis schon mehrmals beeindruckt hat – zum Beispiel bei Samsungs Q9FN-TV-Review –, versagt hier auf ganzer Linie. Das beim Netflix-N oben ist nicht das bisschen Blooming, das bei FALD-Fernsehern normal ist und dazugehört. Das ist Blooming aus der Hölle. Mir fallen drei mögliche Ursachen ein.
So oder so: Das Hintergrundlicht-Management ist derart mies, dass es mir den Spass am Fernsehgucken verdirbt. Hier ein Beispiel mit Bewegtmaterial aus «Westworld».
Besonders ab 0:30 siehst du, wie sich in der schummrigen Bar die LEDs hinter den Gesichtern der Schauspieler Zone für Zone aktivieren und wieder reaktivieren. Ein Problem, das übrigens viel stärker bei HDR-Material auftritt als bei SDR. Logisch: Bei HDR ist der Kontrast grösser, ergo der Unterschied zwischen dem hellsten und dem dunkelsten Bildpunkt. Das heisst: Die Hintergrund-LEDs strahlen bei HDR- heller als bei SDR-Inhalten.
Beim SM9900 ist selbst bei SDR-Inhalten Blooming gut zu erkennen. Achte beim folgenden Fussball-Video auf die Cagliari-Spieler im weissen Trikot, die sich durch den Schatten der Sardegna Arena bewegen. Die Heiligenscheine um die Spieler herum irritieren in Natura noch viel mehr als es ein Video je zum Ausdruck bringen könnte.
Irgendwann hat mich das Blooming derart genervt, dass ich versucht habe, Local Dimming in den Einstellungen auszuschalten. Versucht, weil ich die Einstellung sofort wieder rückgängig gemacht habe, als ich die miesen Schwarzwerte gesehen habe.
Fairerweise muss ich sagen, dass das Blooming beim Gucken meines mittlerweile üblichen TV-Demo-Ausschnittes aus «Jurassic World: Fallen Kingdom» nicht so auffällig war wie erwartet. Das sah bei Sonys XG95 – ein FALD-Fernseher, den ich vergangenen Sommer getestet habe – noch viel schlimmer aus. Achte auf den Scheinwerfer in der oberen, linken Ecke des Bilds.
Warum hier kaum Blooming zu erkennen ist, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären. Im Alltagsgebrauch war das LG-Blooming viel auffälliger als Sonys Blooming, sei’s beim Fussballgucken, UHD-Bluray-Reinziehen oder Netflix-Gucken; in etwa einem Monat habe ich mehr als genug Beispiele sammeln können, um mit Sicherheit zu sagen, dass das unsägliche Blooming kein Einzelfall in einer spezifischen Szene einer einzigen Serie ist sondern vielmehr die Regel. Aber ausgerechnet bei einer meiner am meisten verwendeten Demoszene ist’s genau umgekehrt; das LG-Bild wäre so total in Ordnung.
Vielleicht habt ihr ja eine Idee, was hier anders ist als üblich?
Es gibt kaum 8K-Inhalte. Trotzdem werden uns 8K-Geräte an den Kopf geworfen, als ob die Zukunft, die eine Auflösung von 7680×4320 Pixeln hat, unmittelbar bevorstünde. Dabei produzieren die meisten TV-Sender ihre Inhalte noch in 720p-Auflösung. Das ist etwas weniger als die auf Blu-rays vorhandene Full-HD-Auflösung. Streamingplattformen bieten Inhalte in UHD-Auflösung an. Meist aber nur, wenn es sich um Eigenproduktionen handelt. Von 8K redet niemand. Ausser Youtube, ganz vereinzelt.
Der SM9900 hat Youtube.
Der SM9900 hat sogar 33 Millionen Pixel – 8K-Auflösung eben. Aber dem SM9900 fehlen die Codecs, um 8K-Inhalte von Youtube abzuspielen. Dafür brauchst du eine zusätzliche Dekodierungs-Set-Top-Box von LG, die du via HDMI-Kabel an den TV anschliesst. In Deutschland kriegen sie alle Käufer gratis nachgereicht, wenn sie ihr Gerät bei LG registrieren. Auf Anfrage bestätigt mir LG Schweiz, dass hierzulande das Dekodierungs-Gerät zum Lieferumfang gehört. Zum Testen habe ich aber kein Gerät gekriegt.
Egal. Der Fernseher, der tatsächlich «echtes» 8K nach den Kriterien der Display-Experten der ICDM beherrscht – etwas, das nur wenige heute auf dem Markt erhältliche 8K-Fernseher von sich behaupten können –, könnte also zumindest theoretisch 8K-Inhalte abspielen. Bis dahin muss das Hochskalieren von minderwertigeren Quellen – Upscaling genannt – ausreichen. Etwas, das der SM9900 verdammt gut beherrscht.
Apropos: Solltest du beim Kauf ebenfalls keine Set-Top-Box bekommen, meldest du dich am besten direkt bei LGs Kundendienst. Geht vermutlich schneller als bei unserem eigenen Kundendienst, der ohnehin bei LG anklopfen müsste und nur den Durchlauferhitzer machen würde.
Allerdings bin ich der Meinung, dass die Welt 8K gar nicht braucht, unabhängig davon, ob es nun Inhalte gibt – und ob die Infrastruktur in den meisten Haushalten überhaupt ausreicht, um die von 8K-Content verursachten Datenmengen handzuhaben. Du müsstest eh viel zu nahe am Fernseher sitzen, um die Vorteile der 8K-Pixelmasse von blossem Auge erkennen zu können. Das weiss ich, weil ich echte 8K-Inhalte auf 8K-Fernsehern bereits gesehen habe. Zum Beispiel an Messen oder bei Herstellern in der Schweiz, die mir ihre TV-Neuheiten präsentiert haben.
Aber was der TV-Prozessor – der Alpha-9-Prozessor der zweiten Generation – da veranstaltet, ist trotzdem höchst beeindruckend.
Ein Full-HD-Bild besteht aus 1920×1080 Pixeln. Insgesamt also über zwei Millionen Pixel. Das 8K-Panel des SM9900 hat 33 Millionen Pixel. Im obigen Video rechnet der Prozessor die knapp 31 Millionen fehlenden Pixel selber aus – in Echtzeit. Oder anders gesagt: 94 Prozent des Bildes sind berechnet, nur sechs Prozent stammen von der Quelle selbst.
Dass da kein Matsch, sondern ein gestochen scharfes Bild entsteht, halte ich für grossartig.
Dazu kommt die Nanopartikel-Technologie, die LG «NanoCell», Samsung «Quantum Dot» und Sony «Triluminos» nennt. Sie wandelt das unreine Hintergrundlicht der LEDs in reinstes Weiss um. Dadurch können die Farbfilter des 8K-Fernsehers einen grösseren Farbraum darstellen als herkömmliche LCD-Fernseher. Im Zusammenspiel mit dem Alpha-9-Prozessor kommt ein ausgesprochen natürliches Bild zustande: Der Prozessor entfernt Rauschen, ohne, dass das Bild unnatürlich wirkt, sorgt dank Black Frame Insertion (BFI) für ein flüssiges Bild, glättet die Kanten und verstärkt gerade bei Nicht-HDR-Inhalten die Farben.
Hier noch ein Beispiel: Ein Tennismatch auf SRF2 via Swisscom TV. Quelle: 1280×720 Pixel, also 720p.
Nicht, dass das hochskalierte 8K-Bild deutlich besser wäre als das native UHD-Bild. Aber wäre das elende Blooming nicht – im Video oben gut sichtbar ab 0:29 –, käme ein gestochen scharfes Bild mit satten Farben zustande, das für LCD-Verhältnisse sensationell wäre.
Der SM9900 hat vier HDMI-2.1-Schnittstellen. Zusammen mit entsprechenden HDMI-Kabeln könnten sie 8K-Material mit bis zu 60 Bildern pro Sekunde oder UHD-Material mit bis zu 120 Bildern pro Sekunde von externen Quellen wie Spielkonsolen oder Grafikkarten verarbeiten. Für passionierte Online-Gamer ist der SM9900 in Ordnung: Review-Seiten wie rtings.com messen einen Input-Lag von 18 bis 20 Millisekunden im Game-Mode. Das ist okay. Zudem hat das von LG verwendete IPS-Panel eine native Bildwiederholfrequenz von 120 Hertz und eine Reaktionszeit von 11.8 Millisekunden – damit schlierenfreies Spielen im Game-Mode möglich ist, sollte die Reaktionszeit unter 20 Millisekunden liegen. Macht der SM9900 also gut.
Andere HDMI-2.1-Vorteile, die nichts mit 8K zu tun haben, sind:
Soundmässig ist das 2.2-Soundsystem mit den beiden 20-Watt-Lautsprechern des SM9900 ganz okay, aber nicht beeindruckend. Nicht, dass ich was anderes erwartet hätte: Um einen voluminösen, raumfüllenden Klang zu erzeugen, brauchen die internen TV-Lautsprecher Platz. Den hat es in den immer dünner werdenden Fernsehern nicht.
Darum: Wenn du schon knapp 5000 Franken in einen Fernseher investierst, dann würde ich nicht am Sound sparen. Falls du einen Tipp brauchst: Bitteschön.
Seit ich Fernseher teste, ist es das erste Mal, dass ich über einen so teuren Fernseher stolpere, der mir nicht gefällt. Das hat überhaupt nichts mit «8K» zu tun. Im Gegenteil. Ich sage nicht, dass 8K-Auflösung das Bild schlechter macht. Ohne echte 8K-Inhalte sind die Verbesserungen aber zu geringfügig. Ob das menschliche Auge die erhöhte Pixelmasse überhaupt wahrnehmen kann, wenn es sich nicht höchstens einen Meter davor befindet, ist eine ganz andere Diskussion.
Nein, das Problem ist Blooming. Etwas, das technologiebedingt bei FALD-Fernsehern zwar dazugehört, aber niemals so wie beim SM9900. Nicht in diesem Ausmass. Das ist unzumutbar und vermasselt das Bild zu gründlich, um eine Kaufempfehlung auszusprechen – schon gar nicht bei einem Preis von 5000 Franken / 4500 Euro –, auch wenn der SM9900 ansonsten in fast allen anderen Disziplinen ausgezeichnete Arbeit leistet.
Das muss bei den kommenden 2020er-Modellen besser werden.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»