Meinung

Lieber ein Spezialhandgriff, anstatt zu reparieren

Ich bin handwerklich nicht unbegabt und habe auch allerlei Werkzeug griffbereit. Trotzdem gibt es Geräte in meiner Wohnung, die ich einfach nicht repariere. Denn mit speziellen Handgriffen funktionieren sie wunderbar.

Wenn ich den Rollladen in meinem Schlafzimmer öffnen will, komme ich mir vor wie Harry Potter, der im Hinterhof eines Pubs Backsteine abzählt, um durch dreimaliges Klopfen auf den richtigen Stein das Portal zur Winkelgasse zu öffnen. Mein alter Rollladen führt mich zwar in keine magische Welt, aber auch er funktioniert nur mit Code. Damit der Gurt beim Öffnen aufgewickelt wird, muss ich an einem Metallteil ziehen, das eigentlich in der Kunststoffverkleidung sein müsste. Seit der Profi für eine Verschlimmbesserung Reparatur da war, liegt es nun aber oben auf und der Einrollmechanismus funktioniert nicht mehr.

Das Metallteil sollte eigentlich in der Kunststoffverkleidung drin sein.
Das Metallteil sollte eigentlich in der Kunststoffverkleidung drin sein.

Nur mit Hochheben

In meiner alten Wohnung war’s hingegen der Backofen, der spezielle Betreuung verlangte. Da die Tür irgendwann an Altersschwäche litt, musste ich bei jedem Backvorgang ein Bleistift einklemmen, damit sie nicht aufkippte. Bei der Herdplatte hingegen musste man wissen, dass sie nur funktionierte, wenn der Drehschalter direkt von 0 auf 10 gestellt und nicht über die tieferen Zahlen gedreht wurde. Und bei einer Kommode muss ich die obere Schublade hochhalten, um die untere wieder einfahren zu können, sonst klemmt’s.

All diese Dinge könnte ich selbst oder ein vom Vermieter bezahlter Profi ganz einfach instand- oder ersetzen. Trotzdem mache ich es nicht, sondern wende lieber spezielle Handgriffe an, die ich mir im Versuch-und-Irrtum-Verfahren angeeignet habe. Und ich weiss, dass ich hiermit nicht alleine bin. Viele meiner Freunde haben Geräte herumstehen, die eine Sonderbehandlung verlangen. Aber wieso wenden wir lieber einen Trick an, als das Zeug zu reparieren?

Der Widerspenstigen Zähmung

Ich glaube, es ist viel Pragmatismus und vielleicht ein wenig Stolz. Die Sachen sind ja nicht kaputt, ich kann sie noch immer benutzen. Und ich alleine habe herausgefunden, wie. Der Rollladen und ich haben unterdessen eine besondere Beziehung, weil ich mich mit ihm beschäftigen musste. Und weil er eine Irritation in einer normalerweise automatisch ausgeführten Handlung darstellt. Seine Zickigkeit stachelt meinen Ehrgeiz an. Ich will ihn bändigen.

Jetzt habe ich zwar einen Gasherd, der perfekt funktioniert, dafür fällt beim Kochen alles links herunter. Das muss dann mühsam aus der Ecke gewischt werden. Man gewöhnt sich dran.
Jetzt habe ich zwar einen Gasherd, der perfekt funktioniert, dafür fällt beim Kochen alles links herunter. Das muss dann mühsam aus der Ecke gewischt werden. Man gewöhnt sich dran.

Aus dieser anfänglichen Herausforderung wird nach einigen Malen wiederum ein Automatismus. Jetzt ist eine Reparatur definitiv überflüssig. Das Gerät und ich sind ein eingespieltes Team. Wir haben durchgehalten und die Schwierigkeiten überstanden. Gleichzeitig haben diese Macken auch ihre eigene Ästhetik. Sollbruchstellen und im Eiltempo auf den Markt gebrachte Nachfolgermodelle verführen dazu, dauernd neues Zeug zu kaufen. Alles muss reibungslos funktionieren, perfekt daherkommen und am besten auch noch smart sein, damit an möglichst wenig gedacht werden muss. Geräte dürfen Geld kosten, aber bloss keine Zeit. In dieser auf Effizienz getrimmten Welt leisten ein paar eigensinnige Dinge Widerstand. Das darf durchaus mit etwas Extraaufwand gewürdigt werden.

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