Loslassen, drüberstehen, an sich arbeiten: das Lexikon der nutzlosen Metaphern
10.3.2021
Metaphern gehören zu unserer Alltagssprache. In wenigen Wörtern transportieren diese bildhaften Ausdrücke ganze Situationen, Stimmungen und Handlungen. Ob sie aber richtig verstanden werden und überhaupt nützlich sind, ist eine andere Frage.
Mir geht ein Licht auf, du strahlst heute richtig, sie ist nah am Wasser gebaut, er ist zu weit gegangen, wir schaffen das: Metaphern – zu Deutsch Übertragungen, aus griechisch meta-phérein, anderswohin tragen – sind ein fester Bestandteil unserer Sprache. Kein Wunder: Durch ihre zugespitzte Bildhaftigkeit drücken Metaphern («zugespitzt» ist übrigens auch eine) in wenigen Worten eine ganze Situation aus, mitsamt allen Emotionen und Konsequenzen: Wenn jemand am längeren Hebel sitzt, ist klar, wie die Geschichte ausgeht. Vor allem für die Person am kürzeren Hebel.
Metaphern haben aber auch eine problematische Seite. Gerade weil sie so stark in unserer Sprache verankert sind (Metapher!), sind wir überzeugt, dass sie keiner weiteren Erklärung bedürfen. In der Folge glauben wir, jederzeit verstanden zu werden – auch von unseren Kindern. Die können mit abstrakten Formulierungen jedoch genausowenig anfangen wie mit Fremdwörtern. Das war eine der wichtigsten Lektionen im Umgang mit meinem Sohn: Wenn ich will, dass er mich wirklich versteht, muss ich eine Sprache finden, die ihm zugänglich ist. Also eine, die nicht begrifflich ist, sondern konkret. Wie sich bald zeigte, ist das gar nicht so einfach.
Was soll das überhaupt heissen?
Die im Grunde gleiche Verwirrung erfahren wir als Erwachsene, wenn uns etwas Betrübliches widerfahren ist («betrüblich» ist ebenfalls metaphorisch) und unsere Freunde uns ermuntern, wir sollten «darüberstehen», es «loslassen», damit «abschliessen» und «nach vorn schauen». Zunächst finden wir, das klinge alles vernünftig, und bewunderen unsere Freunde für deren Weisheit und Gelassenheit. Aber zuhause, wenn wir versuchen einzuschlafen, denken wir: Moment mal, was soll das überhaupt heissen? Wie stehe ich über etwas? Wie lasse ich jemanden los? Spätestens am nächsten Morgen ist uns klar, dass unsere Freunde genauso ratlos sind wie wir selbst. Sonst würden sie nicht so reden.
Wir brauchen Metaphern nicht nur, um Sachverhalte zu illustrieren – wir greifen auch aus schierer Hilflosigkeit danach, und das ein Leben lang. Ob wir nun 20, 30 oder 50 sind: Wenn wir uns trennen oder jemand aus dem Freundeskreis sich getrennt hat, überfordert uns das jedes Mal von Neuem. Wir können mit solchen Gefühlen von Trauer, Verzweiflung und Einsamkeit nur schlecht umgehen. Und um irgendeine Form von Linderung herbeizuführen, flüchten wir uns in Ratschläge, die niemandem etwas nützen, weil niemand sie befolgen kann, da sie keine Anleitung darstellen, sondern nur ein Ziel: «Du musst loslassen.» Ja, verdammt, wie denn?
(Freundeskreis, überfordern, umgehen, Linderung, herbeiführen, flüchten, Ratschlag, befolgen, Anleitung, Ziel: alles Metaphern.)
Ein weiteres Beispiel ist «an sich arbeiten» bzw. «an der Beziehung arbeiten»: Klingt enorm bewusst und engagiert, aber wie macht man das? Was ist genau zu tun? Welche Schritte sind zu unternehmen?
Genau wie der Vater bzw. die Mutter, die, wenn sie Eltern werden, lernen müssen, mit ihren Kindern kindergerecht zu sprechen, also die vielen abstrakten Begriffe in konkrete zu übersetzen, müssen wir, wenn wir selbst oder Freund*innen in Schwierigkeiten sind, eine brauchbare Sprache finden, mit der auch wirklich alle etwas anfangen können – und die nicht nur dazu dient, unangenehme Momente möglichst rasch hinter sich zu bringen.
Also, was ist zu tun?
Man lässt jemanden zum Beispiel los, indem man diesem Menschen alles sagt, was man ihm noch sagen möchte. Dazu muss man diese Person praktischerweise nicht sehen, man kann das auch allein im Wald oder im Auto erledigen (ohnehin klüger, da meist Kraftausdrücke zum Einsatz kommen). Es zählt nur, dass alles, was sich aufgestaut hat (Metapher!), aus einem herausfliesst (Metapher!), weil man es sonst in die nächste Beziehung einschleppt (Metapher!).
Eine andere gute Methode besteht darin, eine Liste zu erstellen, was einen alles gestört hat an dieser Person. Wobei man sich auch fragen soll: Warum hat mich das genau gestört? Liegt das Problem womöglich bei mir? Wie müsste jemand sein, damit ich mich in dessen Nähe besser fühle, also verstandener, akzeptierter und geliebter? Und was könnte ich ändern, dass man sich in meiner Nähe besser fühlt?
Was unseren Kindern hilft, nämlich eine Sprache, die aus konkreten Fragen und Antworten besteht, hilft auch uns selbst, gerade in Krisensituationen. Es gibt in diesem Zusammenhang übrigens eine simple Frage: »Tut mir das gut?« Bzw.: »Tut dir das gut?«
Darauf gibt es nur zwei mögliche Antworten, nämlich ein ehrliches Ja oder ein ehrliches Nein, wobei ein Zögern immer als Nein zu werten ist. Mit dieser Frage hat man einen robusten Kompass für alle Lebenslagen in der Hosentasche, und damit ist für heute nun wirklich genug mit den Metaphern.
Welche Metaphern brauchst du oft? Welche nerven dich? Wie lässt du los, wie schliesst du ab? Und wie sprichst du mit deinem Kind – und versteht es dich? Schreib es in die Kommentare!
Thomas Meyer
freier Autor
Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch.