
Minecraft: Reporter kämpfen mit einer Geheimbibliothek gegen die Zensur

Um die Zensur der Medien zu umgehen, haben die Reporter ohne Grenzen eine unzensierte Bibliothek gebaut. Das gigantische Gebäude im Videospiel Minecraft enthält verbotene Schriften aus fünf Nationen.
Jamal Khashoggi war Journalist und Dissident. In Saudi Arabien hat er für soziale Progression gekämpft und Schriften mit Titeln wie «What the Arab World Needs Most is Free Expression» («Was die Arabische Welt am meisten braucht, ist Redefreiheit») verfasst. Jamal Khashoggi ist am 2. Oktober 2018 von der saudi-arabischen Regierung im Gebäude der arabischen Botschaft in der Türkei getötet und zerstückelt worden.
In Saudi Arabien ist weder die Redefreiheit noch die Pressefreiheit gegeben. Saudi Arabien steht weltweit auf Platz 172 des Welt-Pressefreiheit-Index der Organisation Reporter ohne Grenzen. Zum Vergleich: Die Schweiz steht auf Platz 6. Angeführt wird die Liste von Norwegen. Das Schlusslicht macht Turkmenistan. In Saudi Arabien werden Medien zensiert, ganze Publikationen von der Regierung eingestellt, ihre Journalisten verhaftet oder gar getötet.
Damit soll Schluss sein. Die Reporter ohne Grenzen haben die «Uncensored Library» eröffnet; ein gigantisches Gebäude im Online-Videospiel «Minecraft».
Im Gebäude können Journalisten, Autoren und andere Dissidenten ihre Schriften als Buch im Videospiel publizieren und so allen zugänglich machen.
Umgehung der Zensur
Internetseiten, auf denen Dissidenten und Kritiker ihre Schriften publizieren, werden gesperrt und können nur über den Tor Browser oder eine VPN erreicht werden. Das ist aber kompliziert und riskant. In Indien (Platz 140) sind Teenager verhaftet worden, da sie VPNs «missbraucht» hätten. Es darf bezweifelt werden, ob die indische Regierung die Mittel und Fähigkeiten hat, VPN Traffic zu überwachen. Die Vermutung: Nur schon der Besitz einer VPN brandmarkt einen Nutzer als Dissident.

«Minecraft» aber ist nicht verboten. «Minecraft»wird von der meist technologiefernen Regierung oft nur als Videogame und nicht als massives soziales Netzwerk angesehen. Das Feature, dass User dort virtuelle Bücher veröffentlichen können, ist bis dato nur den Spielern bekannt. Andere sehen ein Spiel, in dem mit Blöcken Dinge gebaut werden können. Dieses Unwissen machen sich die Kuratoren der Uncensored Library zu Nutze und bieten eine Minecraft Map an. Oder du kannst sie direkt im Spiel besuchen.
Die Hoffnung des Projekts ist, eine neue Generation von Dissidenten und Kritikern zu schaffen, die mithelfen, die Zensur seiten ihrer Staaten zu beenden. Bisher sind Schriften aus Saudi Arabien, Vietnam, Mexiko, Ägypten und Russland veröffentlicht.
Gebaut wurde die Uncensored Library von Blockworks. Das britische Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, «Erfahrungen, Communities und Lernumgebungen» in «Minecraft» zu schaffen. Im Video erklärt James Delaney, Managing Director Blockworks, welche Gedanken und Mechanismen in den Bau der Uncensored Library gegangen sind.
Die Uncensored Library basiert auf dem In-Game Item «Geschriebenes Buch». Diese können von Spielern mit dem Item «Buch und Feder» gebaut werden, denn im Game muss alles gebaut werden. Danach kann ein User das Buch mit Daten füllen, sprich Text. Die Uncensored Library macht das und füllt Schriften der Dissidenten in Bücher ab. So können Spieler, wenn sie vor dem Buch stehen, das Buch öffnen und dessen Inhalte lesen.
Der Fall Khashoggi
Wir in der Schweiz haben kaum bis wenig Bewusstsein, wenn es um Rede- und Pressefreiheit geht. Ausser, wenn es darum geht, dass irgendwer für seine Meinung scharf kritisiert wird. Dabei herrscht oft ein Missverständnis: Das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Pressefreiheit garantieren zwar, dass du und ich sagen und schreiben können, was wir wollen. Aber sie garantiert nicht, dass wir gehört werden müssen.
Das ist Pipifax. Es ist komplett stupide, dass ich das erklären muss. Denn anderswo sieht es schlimm aus. Um diese Umstände zu illustrieren: Ein kurzer Abriss des Lebens, des Schaffens und des Todes des Jamal Khashoggi.

Quelle: rfi.fr
Jamal Khashoggi, geboren am 3. Oktober 1958, ist in den 1980ern vom Buchhändler zum Journalisten geworden. Zwischen 1991 und 1999 ist er Chefredaktor der Tageszeitung Al Madina. Al Madina ist stark auf der Linie der Regierung und jede Ausgabe beginnt mit einem Gebet. Aber: Al Madina kritisiert auf lokaler Ebene Nicht-Politisches. Soziale Probleme, medizinische Versorgung und das Erziehungs- und Schulsystem werden ins Visier genommen, solange es sich nicht um nationalpolitische Themen handelt. Zwischen 1999 und 2003 ist Khashoggi Chefredaktor der englischsprachigen Tageszeitung Arab News, die wesentlich regierungskritischer ist, aber trotzdem den Personenkult um die Prinzen und Regierenden Saudi Arabiens anfeuert.
In seinen Artikeln für arabische Publikationen und wenn erlaubt in der Washington Post zeigt Khashoggi viele der Missstände im eigenen Land auf. Er hat die Verhaftung der Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul kritisiert, spricht sich gegen die Entrechtung der Frauen aus. Seine wiederkehrenden Themen sind die Pressefreiheit und die Rechtsgleichheit. Er spricht sich für einen säkularen Staat aus, wo Religionen koexistieren können, verurteilt die Praktiken des Wahhabi-Islams, der als ultrakonservativ beschrieben werden kann.
Agenten der arabischen Regierung haben Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 getötet. Er wollte im saudi-arabischen Konsulat der Türkei Bürokratisches für seine bevorstehende Heirat mit Hatice Cengiz. Eine Überwachungskamera zeigt, wie er das Konsulat betritt. Er verlässt es nie wieder. Forensische Ermittlungen zeigen, dass im Konsulat ein Tötungsdelikt stattgefunden hat, das vertuscht hätte werden sollen.
Im Nachgang des Tötungsdelikts hat die arabische Regierung ihre Story, was genau mit dem Journalisten geschehen ist, je nach Beweislage abgeändert. Hier ein Abriss:
- Oktober 2018: Jamal Khashoggi hat die Botschaft verlassen
- Oktober 2018: Jamal Khashoggi ist nach einem Faustkampf erwürgt worden
- Oktober 2018: Shaikh Suood bin Abdullah Al Mo'jab, oberster Rechtsberater der Regierung Saudi Arabiens, nennt die Tötung Khashoggis «vorsätzlich»
- Juni 2019: Kronprinz Mohammed bin Salman, de facto Herrscher Saudi Arabiens, anerkennt die Verantwortung für das Tötungsdelikt. Er habe zwar nichts von der Tötung Khashoggis durch Regierungsagenten gewusst, aber er sei Repräsentant der Regierung und daher sei das seine Verantwortung.
- Dezember 2019: Fünf Regierungsvertreter werden zum Tode verurteilt. Drei weitere werden zu 24 Jahren im Gefängnis verurteilt.
Das ändert nichts daran, dass in Ländern wie Saudi Arabien Kritiker und Dissidenten regelmässig verschwinden, sollten sie der Regierung zu unbequem werden. Die Umstände des Verschwindens werden oft als «verdächtig» bezeichnet.
Darum sind Projekte wie die Uncensored Library wichtig. Wo eine nur eine Spielerei sehen, sehen andere einen sicheren Raum, wo sie die Wahrheit sprechen und hören können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.


Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.