Neues Hype-Gadget mit KI: Was es kann – und was nicht
Hintergrund

Neues Hype-Gadget mit KI: Was es kann – und was nicht

Lorenz Keller
10.11.2023

Das Start-up Humane hat in den USA viel Aufmerksamkeit bekommen. Das erste Gadget, eine Art kleines Smartphone mit Künstlicher Intelligenz und ohne Screen, ist aber eine Enttäuschung. Ich erkläre dir warum.

Wenn zwei ehemalige Apple-Manager ein Start-up gründen, dann weckt das Erwartungen. Humane hat diese in den letzten Monaten bewusst geschürt: Die Gründerin und der Gründer haben sich in Szene gesetzt. Auf der Paris Fashion Week im September war das erste Gadget des Unternehmens kurz auf dem Laufsteg zu sehen.

Kein Wunder hat die Techwelt gespannt auf die Präsentation des AI Pin gewartet. Doch die Reaktionen nach der Video-Keynote im Apple-Stil sind ernüchternd. Das sonst immer sehr technikfreundliche Branchenmagazin «The Verge» schreibt beispielsweise: «Es ist jedoch noch nicht ganz klar, wofür du es verwenden kannst.» Doch worüber spreche ich überhaupt? Ich versuche dir die wichtigsten Fragen zum Hype um den AI Pin zu beantworten – und sage auch, was noch unklar ist.

Was ist der AI Pin?

Das Gadget ist wie eine Brosche in der Grösse einer Zündholzschachtel. Eingebaut sind ein Snapdragon-Prozessor mit 4 GB RAM und 32 GB Speicher, dazu eine 13-Megapixel-Kamera, Mikrofon, Lautsprecher und Laser-Projektor. Der AI Pin kann sich über WLAN, Bluetooth oder Mobilfunk mit der Aussenwelt verbinden.

Der AI Pin mit dem zusätzlichen Akku, der «All Day Battery Life» liefern soll.
Der AI Pin mit dem zusätzlichen Akku, der «All Day Battery Life» liefern soll.
Quelle: Humane

Der AI Pin misst 4,5 auf 4,7 Zentimeter und ist 0,8 bis 1,5 Zentimeter dick. Das Gewicht beträgt 34 Gramm. Der Zusatzakku für längere Laufzeiten ist 20 Gramm schwer – mit diesem Booster soll das Gadget den ganzen Tag Strom haben. Es gibt ihn in drei Farben. Als Accessoires sind Schutzrahmen, Clips oder Austauschbatterien erhältlich. Alles wird magnetisch miteinander kombiniert.

Was kann das Gadget mit Künstlicher Intelligenz?

Die Grundidee ist, dass du den Pin an der Kleidung trägst und er Zugang zu verschiedenen Tools mit Künstlicher Intelligenz (KI – oder englisch: AI) bietet. Dafür arbeitet Humane unter anderem mit Microsoft oder OpenAI zusammen.

Das Start-up hat einige konkrete Beispiele zur Verwendung genannt und gezeigt: Der AI Pin fasst alle neu eingegangenen Nachrichten zusammen. Er durchsucht auch die Messages nach Informationen. Du fragst etwa: «Wie lautet der Türcode für die Mietwohnung?» Das Gadget findet die Antwort in deinen Unterlagen. Du kannst wie mit ChatGPT das gesamte Internet durchsuchen. Der AI Pin dient als universeller Übersetzer und erkennt Fremdsprachen automatisch. Du kannst Nachrichten verschicken, die dir die Künstliche Intelligenz auf Wunsch formuliert.

Der Badge kann Fremdsprachen automatisch erkennen und übersetzen.
Der Badge kann Fremdsprachen automatisch erkennen und übersetzen.
Quelle: Humane

Die AI greift auch auf die Kamera zu. So werden beispielsweise Lebensmittel und Esswaren erkannt und die Nährwerte ermittelt. Das hilft, den Ernährungsplan einzuhalten. Oder du zeigst ein Produkt in die Kamera, erfährst den Preis im Online-Handel und kannst direkt bestellen. Auf diese Funktion freuen sich die Detailhändler besonders …

Daneben beherrscht Humane klassische Smartphone-Tugenden wie Anrufe, Messages, Benachrichtigungen oder Musikstreaming. Mit der Kamera kannst du Fotos oder Videos im Actioncam-Look aufnehmen. Du siehst ohne Display aber nicht, was aufs Bild kommt.

Wie bediene ich das Gadget?

Es gibt mehrere Möglichkeiten der Bedienung. Du drückst auf die Mitte des AI Pins und kannst Sprachbefehle geben. Das erinnert an den Communicator Badge aus dem Star-Trek-Universum, der etwa in der Serie «The Next Generation» zu sehen ist.

Patrick Stewart als Captain Jean-Luc Picard mit dem Sternenflotten Pin an der Brust.
Patrick Stewart als Captain Jean-Luc Picard mit dem Sternenflotten Pin an der Brust.
Quelle: CBS Home Entertainment

Das Gadget bietet auch eine Art Screen. Der integrierte Laserprojektor kann dir nämlich Text und Grafiken auf die Hand projizieren. Durch Neigung der Hand und mit Fingergesten bedienst du das Interface.

Die Hand-Leinwand dient als Alternative, wenn der AI Pin nicht laut mit dir sprechen soll. In der ersten Demo sieht das nicht wirklich alltagstauglich aus. Zu Hause auf dem Sofa ist das vielleicht nutzbar, aber nicht im ÖV oder wenn du zu Fuss unterwegs bist.

Die Handfläche dient als Leinwand für den Laserprojektor.
Die Handfläche dient als Leinwand für den Laserprojektor.
Quelle: Humane

Was kostet der AI Pin?

Der Vorverkauf startet am 16. November – Anfang 2024 sollen die ersten AI Pins ausgeliefert werden. Allerdings ist das Gadget vorerst nur in den USA erhältlich. Der Preis ist mit 699 Dollar ziemlich happig. Immerhin erhältst du dafür ein Ladepad, eine Extra-Batterie und ein Ladecase für unterwegs.

Damit du das Gerät nutzen kannst, wird zusätzlich ein Abo für 24 Dollar pro Monat benötigt. Darin inklusive sind die KI-Dienste, aber auch ein Mobilfunkabo von T-Mobile mit eigener Rufnummer und unbeschränkter Datenmenge.

Warum sind viele Experten enttäuscht?

Der Preis, vor allem wegen des zusätzlichen Monatsabos, wirkt abschreckend. Insbesondere, weil du nicht weisst, was du dafür bekommst.

Die Hardware wurde zwar vorgestellt, bis hin zu den drei erhältlichen Farben. Andere Infos sind hingegen weniger konkret. Google, Microsoft und Slack werden beispielsweise als Partner genannt. Deren Dienste lassen sich wohl einbinden. Was ist mit WhatsApp, Social Media oder auch den Apple-Anwendungen wie iMessage? Welche Quellen kann ich integrieren und steuern? Wo hat die Künstliche Intelligenz Zugriff und wo nicht?

Den AI Pin gibt’s in drei Farbvarianten und mit allerlei Zubehör.
Den AI Pin gibt’s in drei Farbvarianten und mit allerlei Zubehör.
Quelle: Humane

Statt konkrete Antworten zu geben, haben die Gründer minutenlang gezeigt, wie du über Tidal mit der KI Musik abspielen kannst. Auf Mini-Lautsprechern, die eine «Soundblase» erzeugen und auch «richtig laut» werden sollen. Nicht wirklich die Anwendung, die mich umhaut – zudem dürfte die Soundqualität kaum überzeugen.

So bleibt der Eindruck: Der AI Pin ist ein wenig Smartphone-Ersatz, ein wenig Smart Speaker und ein klein bisschen Action Cam. Kommen da noch tolle Features in Zukunft? Ich bleibe ratlos zurück. Warum genau soll ich so viel Geld ausgeben?

Nicht vergessen darfst du: Damit die Künstliche Intelligenz vernünftig arbeiten kann, musst du viel persönliche Informationen teilen und darauf vertrauen, dass das Unternehmen verantwortungsvoll damit umgeht.

Immerhin soll der AI Pin die Privatsphäre etwas schützen: Er höre nicht immer mit, sondern aktiviere die Mikrofone erst, wenn du drauf drückst. Auch Videos oder Fotos sollen nur dann aufgenommen werden. Zudem zeige eine LED jeweils an, wenn das Mikrofon oder die Kamera aktiviert ist.

Wer steckt hinter Humane?

Bethany Bongiorno und Imran Chaudhri sind die Köpfe hinter dem Projekt. Sie waren beide lange bei Apple in leitenden Positionen angestellt und haben etwa an der Entwicklung von iPhone, Apple Watch oder auch iOS und macOS mitgearbeitet. 2018 haben sie Humane gegründet.

Die zwei Köpfe hinter Humane:  Imran Chaudhri und Bethany Bongiorno.
Die zwei Köpfe hinter Humane: Imran Chaudhri und Bethany Bongiorno.
Quelle: Humane

Das weitere Team besteht ebenfalls aus erfahrenen Tech-Expertinnen und -Expterten, die von Firmen wie Pixar, Pinterest, Lyft, Facebook oder Yelp abgeworben wurden. Erstaunlich viele sind auch von Apple zu Humane gewechselt.

Das Start-up braucht bedeutende finanzielle Mittel. Im März 2023 wurden etwa im Rahmen einer Finanzierungsrunde zusätzliche 100 Millionen Dollar akquiriert, vorher waren es bereits 130 Millionen. Zu den Investoren gehören unter anderem Qualcomm, Microsoft, LG, Volvo oder der OpenAI-Gründer Sam Altman.

Titelfoto: Humane

230 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Gadgets sind meine Passion – egal ob man sie für Homeoffice, Haushalt, Smart Home, Sport oder Vergnügen braucht. Oder natürlich auch fürs grosse Hobby neben der Familie, nämlich fürs Angeln.


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar