Sony Alpha 7S II Body
12.40 Mpx, Vollformat
Ein Schnappschuss für einen Artikel. Das war mein Ziel. Stunden später habe ich meine Wohnung umgestellt und experimentiere ohne jede Ahnung mit Lichtverhältnissen rum, von denen ich keine Ahnung habe. Aber das Resultat kann sich sehen lassen. Der One Perfect Shot ist gelungen.
Es ist Montagabend um 21 Uhr. Ich denk mir so «Mach schnell Schnappschüsse vom Bartöl und gut ist». Drei Stunden später habe ich meine Wohnung umgestellt und experimentiere mit Einstellungen an meiner Kamera rum, von denen ich vorher höchstens mal gehört habe.
Ich bin kein Fotograf. Ich schreibe. Klar, ich kann okay gute Schnappschüsse machen, aber ich bin wennschon dennschon Pressefotograf, mache Bilder in natürlicher Umgebung, in oft nicht replizierbaren Situationen. An einer Kamera habe ich selten längere Belichtungszeiten als eine Hundertstelsekunde, ISO-Werte sind so «macht heller oder nicht» und die Blende macht auch irgendwas.
Doch dann und wann wieder packt mich die Ambition. Meist ist die Idee so «Wäre noch cool, wenn...». So geschehen bei einem Artikel über Bartöl drüben auf Galaxus.
Ich benutze im Alltag eine Sony a7s ii. Tolles Gerät. Ich habe wenig bis keine Ahnung von Kameras. Die meisten Bilder in meiner Karriere habe ich mit einer Canon EOS 20D geschossen. Die lag so in der Redaktion des St. Galler Tagblatt rum. Die a7s ii dürfte rein chronologisch der 20D bald den Rang der Most Used Camera ablaufen.
Jetzt also Bartöl.
Das war mein erster Versuch. Eher bescheiden. Mir sind die Fläschchen zu klein, das Holz des Tisches wirkt mir zu platt und irgendwie fehlt dem Bild jede Emotion. Klar, für einen Artikel würde das Bild funktionieren, aber mir passt es nicht.
Spätestens hier hätte ich wissen müssen, dass ich wenig Schlaf bekommen werde.
Ich überlege mir, wie ich den Shot besser machen könnte. Ich habe anno dazumal gelernt, dass Dinge mächtiger und imposanter aussehen, wenn du sie von unten ablichtest. Sie wirken kleiner und unbedeutender von oben nach unten fotografiert.
Anstelle des üblichen 24-70mm-Objektivs, mit dem ich grundsätzlich alles fotografiere und filme, montiere ich ein Weitwinkel-Objektiv.
Ein Weitwinkelobjektiv nimmt mehr Umgebung auf, bläht das Bild in der Mitte auf, verzerrt aber aufgrund der Krümmung der Linse die Bildränder. Laut meiner Vermutung genau das Richtige, um eine kleine Flasche imposant darzustellen.
Mit viel Photoshop kommt das heraus.
Ich sende das Bild einer biomedizinischen Analytikerin, die mich gefragt hat, was ich spätabends noch so tue. Sie ist es, die mich dann um den Schlaf bringt. Mit einer Bemerkung.
«Schade, dass die Flasche nur oben leuchtet», schreibt die ahnunglose Laborratte kurz nach Ende ihrer Schicht im Labor.
Tja.
Challenge accepted.
Ich habe keine Ahnung von Licht. Ich habe keinerlei Beleuchtungszeug zu Hause. Softboxen oder sowas habe ich alles nicht, und selbst wenn ich genau wüsste, was eine Softbox ist und tut, dann könnte ich sie nicht benutzen. Noch nicht. Denn «Schade, dass die Flasche nur oben leuchtet» hat irgendeinen Schalter in meinem Kopf umgelegt.
Ich mache mal einen Proof of Concept. Keine Ahnung, ob Fotografen das auch machen. Aber bevor ich ewig viel Zeit auf etwas verschwende, schau ich mal, ob meine Idee in der Praxis überhaupt durchführbar ist.
Ich schnappe mir mein aktuelles Handy, das Razer Phone, halte es hinter die Flasche.
Mein Proof of Concept kommt so gut raus, dass ich meine, ich sei da etwas auf der Spur. Gut. Also, ich muss etwas haben, das klein und lichtstark ist. Denn ich will den Hintergrund nicht versauen oder ewig lange Photoshoppen müssen.
Aber ohne Studiolichter und so wird das schwierig. Vor allem auch darum, weil um 22 Uhr an einem Montagabend niemand mehr wach ist, der mir Studiolichter besorgen könnte. Daher eskaliert das bei mir recht schnell. Ich suche eine Taschenlampe, finde aber auch keine. Ich bin mir ohnehin nicht sicher, ob ich überhaupt eine besitze. Früher hatte ich mal eine hellblaue kleine MagLite. Die habe ich aber schon seit Jahren nicht mehr gesehen.
Ich erinnere mich an einen Schnappschuss, den ich im vergangenen Jahr in den Ferien gemacht habe. Ich habe eine Kollegin vor einen Wasserfall in Island gestellt und sie so abgelichtet, dass andere Touristen hinter ihr verschwunden sind. Das Resultat: Die Perspektive ist so verzerrt, dass es so aussieht, als ob sie alleine vor einem der meistbesuchten Wasserfällen Islands steht.
Geht das hier auch?
Weil wenn ja, dann könnte ich meine Lampe hinter dem Tisch so positioniern, das sie hinter dem Fläschchen verschwindet, wenn ich die Kamera richtig ausrichte. Mittlerweile habe ich einem befreundeten Fotografen per WhatsApp von meiner Idee erzählt und erwähnt, dass das die improvisierteste Lösung aller Zeiten wird.
«Genau so ist es richtig. Improvisieren ist alles. So lernt man die Arbeit mit der Kamera am besten», schreibt er zurück während ich die Lampe vom Schlafzimmer ins Esszimmer befördere.
Vor einiger Zeit habe ich in meiner Wohnung alle Lichter auf Philips Hue Smart Lights umgestellt. Aktuell bin ich bei Tag 38 seit ich zum letzten Mal einen Lichtschalter gedrückt habe.
Für das Bild – wir sind hier schon lange über den Status «Schnappschuss» hinaus – suche ich mir die hellsten Voreinstellungen, bei Philips «Scenes» genannt. Die Scene «Energize» sieht vielversprechend aus. Die Spots an der Decke und die Stehlampe aus dem Schlafzimmer werden grell und ich fotografiere drauf los.
Das sieht schon mal nicht übel aus. Das Problem aber ist, dass mir das Etikett zu dunkel vorkommt. Ich muss also eine Lösung finden.
Ich mach mal Pause und trinke etwas. Es ist 23 Uhr. Von Müdigkeit keine Spur. Die Analytikerin ging schlafen, der Fotograf wohl auch. Ich bin auf mich alleine gestellt.
Ich vermute, dass mein Problem im Licht liegt. Weil die Kamera und das Objektiv leisten eigentlich ganz gute Dienste. Der ISO-Wert bei 320 ist ganz okay, das Bild wird nicht zu körnig, aber ich meine nicht, zu viele Details zu verlieren.
Ich weiss wenig über Kameras, aber viel über die Lichter in meiner Wohnung. Und irgendwo habe ich mal die Theorie von warmem und kaltem Licht aufgeschnappt. Also stelle ich die Lampen auf ein etwas wärmeres Licht – also mit leicht mehr gelb und rot drin – und dimme es etwas.
Damit bin ich am Ende meines kleinen Experiments angekommen. Es ist kurz nach Mitternacht. Der Kamera-Akku macht langsam schlapp, ich mag auch nicht mehr. Es bleibt mir also nur, dir das finale Setup der ganzen Geschichte zu verraten.
Für das Bild habe ich im Wesentlichen zwei Lampen gebraucht. Die Spots an der Decke und die Stehlampe aus dem Schlafzimmer mit Philips Hue Smart Lights. Die Kamera steht auf einem Videostativ, das ich gerade noch hatte.
Mit der Stehlampe habe ich die Flasche von hinten beleuchtet, mit der Deckenlampe etwas Licht von oben auf das Setup geworfen. Dadurch, dass die Flasche näher bei der Kamera ist als die Lampe, kann ich die Lampe komplett verstecken.
Die Kamera habe ich mit einem Weitwinkel-Objektiv versehen, was Dinge allgemein grösser erscheinen lässt – aber nur, wenn du nahe am Objekt dran bist – und folgende Einstellungen verwendet:
Abschliessend kann ich dir eine Empfehlung abgeben. Bleib ambitioniert. Versuch was Neues, was anderes. Etwas, das du noch nie getan oder probiert hast. Auch wenn du dann wenig schläfst, ich bereue gar nichts. Klar, drei Viertel der Zeit hatte ich keine Ahnung, was ich gerade mache und wie das alles überhaupt funktionieren soll, aber es hat sich gelohnt.
Wenn du auch eine Geschichte von deinem One Perfect Shot hast, dann schreib sie doch bitte in die Kommentare. Weil vielleicht inspirieren wir den einen oder anderen Hobbyfotografen, mal etwas Neues zu probieren.
So. Fertig. Viel Spass beim Fotografieren.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.