Oppo Find X5 Pro im Review: Oppo schlägt eine Richtung ein
Oppo hat seine Stossrichtung gefunden. Der chinesische Konzern will König der Kameras werden. Dafür soll ein separater Chip sorgen.
Oppo hat grosse Fussstapfen zu füllen – seine eigenen. Denn das Oppo Find X3 Pro war das beste Phone meines vergangenen Jahres. Das Find X5 Pro soll dem noch einen obendrauf setzen. Für den Erfolg soll ein neuer Chip sorgen: Mit der MariSilicon X hat Oppo eine Neural Processing Unit verbaut, die nichts anderes macht, als die künstliche Intelligenz (AI) des Kamerasystems zu übernehmen und noch bessere Bilder zu liefern.
Der Test zeigt: Bei Fotos stimmt das, bei Videos muss die AI noch etwas verbessert werden.
Das Oppo Find X5 Pro ist seit gestern auf dem Markt. Oppo hat Schweizer Journalistinnen und Journalisten vor wenigen Tagen die Phones ausgehändigt – mit dem Vermerk, dass die Software unter Umständen noch nicht final sei. Es wird mit einem grossen Software-Update zum Release oder kurz danach gerechnet. Die Hardware der Testgeräte ist final.
RAM und dann noch mehr RAM
Das Oppo Find X5 Pro ist so etwas wie ein Best-Of der aktuellen Top Specs. Hinter dem 6,7-Zoll-Bildschirm – 120 Hz Amoled, natürlich – treibt ein Snapdragon 8 Gen 1 ein Smartphone mit 5000 mAh starkem Akku an. Dazu kommen 12 GB RAM. Plus eine clevere Erweiterung. Du hast intern 256 GB Speicher verbaut. Von diesen 256 GB kannst du bis zu 7 GB zu einer Art virtuellem RAM werden lassen. Darum hat mein Testgerät neu 19 GB RAM, denn die 256 GB Datenspeicher fülle ich nie.
In der Benutzung merkst du den Unterschied zwischen 12 und 19 GB RAM unter anderem bei der Installation von Apps. Das geht einfach einen Zacken schneller. Das ist nicht weltbewegend oder zwingend notwendig, aber ich mag meine Phones gerne schnell. Wenn du die Animationen unter ColorOS 12, auf Android 12 basierend, dann auch noch auf «schnell» stellst, hast du auch ein visuell rasend schnelles Smartphone.
Der Snapdragon 8 Gen 1 wird im 4-nm-Verfahren gefertigt. Das bringt ihm nicht nur mehr Geschwindigkeit, sondern auch mehr Energieeffizienz. Als Faustregel gilt: Je weniger Nanometer ein Chip hat, desto weniger Strom frisst er. Kombiniert mit dem 5000-mAh-Akku kommt zur Geschwindigkeit auch Ausdauer. Dem Oppo Find X5 Pro geht gefühlt nie der Akku aus. Du kannst einen halben Tag filmen und die Clips in die Cloud hochladen und am Ende hast du immer noch 60 bis 70 Prozent Akku übrig. Wenn du es dennoch laden musst, dann kannst du das mit dem mitgelieferten 80-Watt-Charger tun, der dein Phone in knapp über einer halben Stunde von null auf hundert lädt.
So gut das alles klingt, das ist nicht, wofür Oppo in die Annalen der Smartphone-Geschichte des Jahres 2022 eingehen will. Oppo will der neue Platzhirsch in puncto Kamera und Kameraperformance werden.
MariSilicon X und Hasselblad geben sich die Klinke in die Hand
Eins vorneweg: Wenn du das Oppo Find X5 Pro primär als Kamera-Phone benutzen willst, dann pack das Phone entweder in ein Case oder kleb eine Skin darauf. Denn die Backplate ist sehr, sehr rutschig. Das mitgelieferte Case kann allenfalls helfen. Aber einfach ohne nichts würde ich das nicht in Situationen nutzen, in denen das Phone fallen oder rutschen könnte.
Bei der Hauptkamera hat Oppo nicht gespart. Das Kamera-Setup klingt auch insgesamt gut – wenn auch nicht überragend.
- 50 Megapixel Weitwinkellinse, f/1,7, optische Bildstabilisation (OIS)
- 13 Megapixel Zoomlinse, f/2,4, 2× optischer Zoom
- 50 Megapixel Ultraweitwinkellinse, f/2,2
Dieses Setup liefert laut Hersteller 20-bit-RAW-Daten an den Chip, der sowohl im Oppo Find X5 wie auch dem Oppo Find X5 Pro verbaut ist: Die MariSilicon X. Diese Neural Processing Unit übernimmt die künstliche Intelligenz für die Kamera vollständig. Bisher musste ein System-on-a-Chip (SoC) dafür Rechenleistung abtreten. Neu kann der Snapdragon tun, was er sonst gerade noch zu tun hat und die MariSilicon X übernimmt die Arbeit. Das schafft Freiheit. Denn in der AI-Bearbeitung muss das Phone keine Kompromisse mit anderen laufenden Diensten eingehen.
Das merkst du. Die Farben deiner Fotos sind satter, die Details klarer, die Bilder schlicht besser. Da ist mehr Leben, mehr Substanz und mehr Farbe, tiefere Schwarzwerte und es zerreisst dir selten bis nie den Horizont.
Dazu will Oppo dich wissen lassen, dass Hasselblad mit an Bord ist. Hasselblad ist einer der traditionsreichsten Namen der Kamerageschichte. Im Jahr 1841 in Schweden gegründet, gehört das Unternehmen zu den ältesten der Branche und hat im Laufe der Geschichte nicht nur Fotografenherzen für sich gewonnen, sondern auch Bilder auf der Mondoberfläche geschossen. Mittlerweile gehört Hasselblad zum DJI-Konzern und hat im vergangenen Jahr erstmals mit dem Smartphone-Hersteller OnePlus gemeinsame Sache gemacht. Da OnePlus zum selben Konzern wie Oppo gehört und die Marken laut Dekret des Mutterkonzerns näher zusammenrücken sollen, hat Hasselblad seinen Weg von OnePlus zu Oppo gefunden.
Trotz des Hasselblad-Logos auf der Backplate des Oppo Find X5 Pro, das grösser ist als das Firmenlogo des Herstellers, kommt beim Blick auf die Specs schnell die Ernüchterung:
Das ist keine Hasselblad-Hardware.
Die Hasselblad-Sache ist grösstenteils Marketing. Denn Software-Optimierungen wie Farbkalibration geschehen ohnehin in jedem Smartphone. Ob da jetzt Oppo-Spezialisten oder Hasselblad-Cracks dran sitzen, spielt am Ende in der Benutzung kaum eine Rolle. Oder ist das der Grund, weshalb die Bilder lebendiger wirken?
Was ganz bestimmt und unbestritten Hasselblad schreit, sind die drei Farbfilter, die du über ein Bild legen kannst. Sie heissen «Radiance», «Serenity» und «Emerald». In der Praxis «orange», «blau» und «grün».
Und dann ist da der XPan Mode. Und damit der Grund, warum Hasselblad doch eine Existenzberechtigung hat.
XPan Mode: Warum Hasselblad doch nicht nur Marketing-Sprech ist
Der XPan Mode ist ein separater Kamera-Modus, den du in der Kamera-App unter «More» findest. Im Wesentlichen ist das ein extrem breites Bild, das du entweder in Schwarzweiss oder mit Retro-Farbgebung aufnehmen kannst. Retro-farbig ist nicht bemerkenswert, ausser du magst extrem breite Bilder im Vintage Look.
Schwarzweiss hingegen ist ein echtes Highlight. Es gibt kaum etwas, das ich nicht schwarzweiss und breit fotografiert habe.
Ich gebe zu, das ist ein Gimmick. Du kannst einstellen, wie dunkel oder hell das Bild sein muss, dann taucht kurz ein Effekt auf der Kamera auf und du hast ein Bild, das wirklich toll aussieht. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass das ein Filter ist, den ich eine Woche lang benutzen werde und nachher nie wieder. Doch in dieser einen Woche finde ich super, wie eine Alltagsszene mit Videojournalistin Stephanie Tresch auf einem Waldweg zu einem geheimnisvollen, gruselig angehauchten Bild wird.
Natürlich ist das nicht die Revolution im Kamerabereich, aber der XPan Mode ist der erste Farbfilter, an dem ich mich erfreue.
Video: Was ist da los?
Wenn es um Videos geht, dann sieht sich das Find X5 Pro einer ziemlichen Herausforderung gegenüber. Und das erstaunt. Wo die MariSilicon X bei Fotos ganze Arbeit leistet und nur selten im Porträtmodus Aussetzer hat, ist Video etwas, an dem Oppo arbeiten muss.
Bei Tageslicht liefert die Kamera einwandfreies Material bei einer Auflösung von 3840×2160 Pixeln, also 4K, mit 60 Bildern pro Sekunde. Sogar das Mikrofon performt erstaunlich gut – selbst wenn Basel im Hintergrund Stadtgeräusche macht oder das Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt am Fluss Strom generiert. Das ist die positive Überraschung. Dank AI kann die Tonaufnahme durchaus für Youtube-Videos gebraucht werden. Wir haben das Mikrofon als so gut beurteilt, dass Stephanie und ich beim Dreh in Basel und der Umgebung ganze Takes ohne externes Mikro aufgenommen haben.
Sobald das Licht nicht optimal ist, beginnt die Kamera zu kämpfen. In leichter Dunkelheit kommt leichtes Bildrauschen auf. Bei Nacht gibt es videotechnisch gar nichts zu holen. Selbst wenn da noch Restlicht ist, das der Foto-Nachtmodus nutzt, um ziemlich schöne Fotos bei wenig Licht zu machen. Du kannst zwar den Blitz der Kamera als Licht verwenden, aber dann hast du ultrahartes Licht und aussen herum einfach nur ein schwarzes Nichts.
Jetzt stellt sich die kritische Frage: Wo liegt der Hund begraben? Was genau kann die MariSilicon X in Bezug auf Video und was können die Linsen? Entweder leistet die NPU fantastische Arbeit, bekommt aber von den Kameras bei unschönem Licht Material, das sie nicht brauchen kann – oder die NPU macht im Dunkeln ihren Job nicht gut. Wenn letzteres der Fall ist, dann könnte ein Software-Update das vielleicht fixen.
Dieselbe Frage stellt sich auch bei Slow Motion Videos. Doch dort zieht das NPU-Problem weitere Kreise. Du hast zwei Slow-Motion-Modi:
- 720p, ziemlich langsam
- 1080p, fast so schnell wie original
Ein grosser Dank für die Aufnahmen geht an Mireille, die ihr Bein von Levente bei Piink Basel hat tätowieren lassen.
Du hoffst auf eine Zahl wie 256-fache Verlangsamung? Ich auch. Doch die Oppo-Kamera-Software gibt dir nur die zwei Einstellungen, zeigt dir keine Verlangsamung an und nimmt dafür aber unbegrenzt lange auf. Anders als bei Kameras, die schon vor zwei Jahren 265-fache Slow Motion hingekriegt haben. Dort hast du nur eine Sekunde lang Bilder schiessen können, die dann verlangsamt wurden. Du konntest damals auf dem Huawei Mate 40 aussuchen, wie langsam das alles sein sollte. Heute, bei Oppo, gibt es nur zwei Einstellungen. In Auflösungen, die veraltet sind.
Auch hier stellt sich wieder die Frage nach der Performance der MariSilicon X. Da müsste doch mehr drin liegen?!
Zum Glück ist das aber mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Softwarefrage: Denn der Chip bietet genügend Saft – einen Datendurchsatz von einem Terabit pro Sekunde. Das reicht für RAW-Daten, die mit 20 Bit aufgenommen werden. Und die Sensoren und Linsen an sich müssten aufgrund ihrer Qualität ebenso tadellose Arbeit verrichten.
Gerade bei Video habe ich den Verdacht, dass die Entwicklung noch nicht ganz abgeschlossen ist. MariSilicon X wird sehr wahrscheinlich noch besser werden. Das kann aber nicht über die Selfie Cam gesagt werden.
Die Selfie Cam: Kompromisse für Wackelfreiheit
Die Selfie Cam liefert fotografisch gute Dienste, die hier nicht weiter Erwähnung bedürfen. Instagramerinnen und Instagramer dürften Freude haben. Allenfalls musst du bei den Beauty-Filtern die Einstellungen anpassen, ausser du willst so aussehen wie die Puppe eines Menschen, von jemandem hergestellt, der noch nie einen Menschen gesehen hat.
Interessant ist die Stabilisierung der 32-Megapixel-Selfie-Kamera. Dort erkennst du die Arbeit der MariSilicon X deutlich, da einfach sichtbar. Wenn du die Stabilisierung einschaltest, kannst du entweder in einer zu tiefen 720p- oder 1080p-Auflösung aufnehmen. Was aber nicht heisst, dass die MariSilicon X die Daten in dieser Grösse erhält. Die NPU bekommt weit mehr Bildmaterial, schneidet das aber zu und hält so den Horizont stabil. Das Bild verwackelt nicht – das funktioniert beeindruckend gut. Dazu wieder der fast einwandfreie Sound und insbesondere die Frage, ob das alles ist, was Selfie Cam und NPU gemeinsam hinbekommen.
Vereinfacht gesagt: Wenn die Selfie Cam 4K hinkriegen würde, dann bestünde die Möglichkeit, dass sie bei der Stabilisation auf 3.5K schneidet und dann die Footage per AI wieder hochskaliert.
Die Stabilisierung auf 1080p ist dennoch ein verdammt gutes Feature. Auch funktionieren Aufnahmen im Gehen sehr gut. Der Horizont wird stabilisiert, ich als Gehender im Bild wippe sanft auf und ab, damit klar ist: Der bewegt sich. Die Bewegung aber ist nie störend. Damit wird ein Gimbal zur Stabilisierung überflüssig, ausser die Kamera bewegt sich ein grosses Stück in grosser Geschwindigkeit während der Aufnahme.
Das mit der Auflösung aber stört. Zum Vergleich: Das Samsung Galaxy S22 Ultra kann auf der Selfie-Kamera 4K, ist aber niemals so gut stabilisiert. Das scheint der Kompromiss zu sein, den du eingehen musst. Entweder hast du 4K oder eine gute Stabilisierung.
Fazit: Kamera-Performance ist da, aber bitte mit Skin nutzen
Das Oppo Find X5 Pro leistet extrem viel. Es ist ein ambitionierter Überflieger, der in puncto Bildbearbeitung neue Wege beschreiten will. Und das wahrscheinlich auch tun wird. Die Software kommt noch nicht ganz an die Hardware-Leistung heran, was aber daran liegen könnte, dass ich mit einem Review Sample, mit noch nicht finaler Software gearbeitet habe. Ich vermute, das wird sich ändern, wenn ich in einem halben Jahr nochmal auf dieses Phone blicke. Es wird mich sicher gut im Alltag begleiten, denn die Hauptkamera leistet viel und schiesst wunderschöne Bilder. Vielleicht werde ich XPan nicht mehr verwenden, vielleicht schon. Wir werden sehen.
Wenn du ambitioniert mit der Hauptkamera fotografierst, dann wirst du sicher deine Freude haben. Die MariSilicon X leistet Grosses und verspricht noch viel mehr. Ich hoffe, dass das Oppo Find X6 Pro in einem Jahr mit Hasselblad Hardware kommt. Huawei hat ein Loch hinterlassen, denn die Leica-Linsen in deren Phones sind einfach noch einmal eine ganz andere Liga. Gemeinsam mit Hasselblad hätten wir heftig gute Software, ein dedizierter Chip und starke Hardware, die den Rest der Kamerawelt hoffentlich Staub fressen lassen würde.
Das Find X5 Pro zeigt, dass die Android-Welt diverser wird. Google setzt mit dem Pixel 6 auf Spracherkennung, Samsung will den Stift wieder oder immer noch salonfähig machen, Sony richtet sich an Profis. Oppo will die beste Kamera haben, die Alltagsnutzern möglichst viel Freude macht. Das gelingt.
Ist es das Phone des Jahres? Möglich. Aber die Smartphone-Saison hat gerade erst begonnen. Weitere Flaggschiffe kommen und die Konkurrenz ist stark. Da sind das Google Pixel 6, das Samsung Galaxy S22 Ultra und Huawei versucht mit dem P50 Pro ein Comeback. 2022 ist und bleibt ein spannendes Jahr.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.