Proform Vue
Peloton, iFit & Co.: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat am meisten Geld verbrannt?
Seit Kurzem trainiere ich vor einem Fitnessspiegel. Die Zwerge von iFit sind super drauf, obwohl der märchenhafte Hype um vernetzte Trainingsgeräte längst abgeflaut ist. Deshalb tobt hinter der Fassade ein Kampf, an dem die Gebrüder Grimm ihre helle Freude hätten.
Mein Spiegelbild hat mir schon viel erzählt: «Das soll eine Frisur sein?» – «Du hast da noch Zahnpasta am Kinn.» – «Kein Grund, so griesgrämig zu gucken.» Manchmal waren auch Märchen dabei («Mann, siehst du heute gut aus!»). Sachen und Sätze eben, die einem der eigene Anblick automatisch ins Hirn meisselt, sobald das Gesicht im fahlen Badezimmerlicht auf die unbestechliche Fläche der Wahrheit trifft. Lange Zeit war ein Spiegel relativ privat. Kein Fenster zur Welt, nur ein Abbild der eigenen Befindlichkeit. Damit ist es bei mir vorbei.
Derzeit gucken mir aus dem Spiegel agile Fitness-Zwerge entgegen und fordern mich zum Training auf. Meine Visage verblasst dahinter. Dann mache ich, was der Winzling meiner Wahl befiehlt: Bizeps-Curls, Liegestütze, Planken. Übungen, um mir anschliessend ein Lob aus dem Spiegel abzuholen: «Good jooob, baby!» Yeah. Wieder ein Workout geschafft, wieder ein kleiner Sieg im Alltag. Dem Proform Vue und der Fitness-Plattform iFit sei Dank.
Die unsichtbare Macht
Anders als die Königin bei Schneewittchen, für die die Antwort auf die Frage «Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?» unbefriedigend ausfällt, habe ich nichts zu befürchten. Der Schönste, Stärkste und Beste bin am Ende immer ich. Motivierende Workouts sind wichtig. Ich soll mich nicht verärgert abwenden, sondern immer wieder vor dem Spiegel stehen und mit den Instruktor:innen in Miniaturformat trainieren. So ist sie, die schöne neue Fitnesswelt, die mit dem Gerät für ein paar Testwochen bei mir eingezogen ist.
Seither bin ich dabei, alles auszuprobieren und zu durchdringen, was so ein Ding für Vorteile bringen kann. Wenn ich mir meine Meinung gebildet habe, folgt ein Review zum Gerät. Wobei die Hardware nur die Hälfte der Geschichte ist. Denn hinter jedem sprechenden Spiegel steht eine Macht. Im Märchen treibt sie ihre Besitzerin mit dem Satz «Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr» zur Weissglut. Im echten Leben soll ich gar nicht erst auf die Idee kommen, dass es irgendwo schönere Angebote geben könnte.
Der Proform Vue ist mit iFit verknüpft, dem Abo-Anbieter dahinter, der die Macht hat, all die Workouts und Trainingspläne auf den Bildschirm zu zaubern. Zur Markenwelt von iFit gehören neben ProForm zum Beispiel auch NordicTrack und Freemotion. Das Angebot scheint endlos. Die Auswahl an Geräten und Workouts ist ebenso erschöpfend wie der Kampf um Kund:innen und Marktanteile in der Branche.
Geld verbrennt schneller als Kalorien
Die Pandemie hat den Unternehmen die Türen zu Privatwohnungen von Menschen geöffnet, die zuvor ins Fitnessstudio gegangen sind. Hochwertige Geräte mit Bildschirm und ein Abo-Modell dahinter, Live-Sessions und zahllose Workouts – mit dieser Formel ist vor allem Peloton durch die Decke geschossen. Der Unternehmenswert lag im Januar 2021 bei fast 50 Milliarden Dollar. Inzwischen ist der Hype abgeebbt. Viele Mitarbeiter:innen mussten in den vergifteten sauren Apfel beissen und das Unternehmen verlassen. Unter anderem der Chef. Im Februar wurden 2800 Stellen gestrichen und Peloton wird noch mit gut fünf Milliarden bewertet.
Genau wie Peloton ist auch iFit ins Straucheln geraten. Es gab eine 300-Millionen-Dollar-Klage, die den Bankrott hätte bedeuten können. Das Unternehmen hat seinen geplanten Börsengang verschoben und der kolportierte Wert ist von über sieben auf unter drei Milliarden stark abgeschmiert. Geld lässt sich schneller verbrennen als Kalorien. Vor allem, wenn die Kund:innen das Interesse verlieren und weiterziehen. Die Zwerge auf meinem Bildschirm müssen sich also anstrengen. Die Fitnessstudios haben wieder offen und andere Spiegel haben auch schöne Trainerinnen und Trainer. Da gibt es zum Beispiel Mirror, Vaha, Tempo Studio und viele weitere Wettbewerber. Alle wollen mich. Und dich. Mit allen Mitteln. Und ganz egal, ob du vor einem Spiegel, auf dem Bike oder dem Laufband trainierst. Sie wollen uns nicht nur, sie brauchen uns, um unternehmerisch die Kurve zu kriegen.
Klagen, klagen, klagen
Während ich als Kunde vor dem Spiegel hofiert und motiviert werde («let’s go together, let’s grow together!»), läuft es hinter den Kulissen weiter wie im Märchen. Da wird die Königin grün und gelb vor Neid und will, dass der Jäger Schneewittchen an den Kragen geht: «Bring das Kind hinaus in den Wald. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.» Nicht gerade die feine königliche Art.
In der echten Welt gibt es Anwälte, um die Konkurrenz auszuweiden. Da die Angebote ähnlich sind, wird um die Vorherrschaft gerungen. Peloton verklagt Echelon, iFit verklagt Peloton, Peloton verklagt iFit. Jeder gegen jeden. Vor ein paar Tagen erst haben sich die Kontrahenten Peloton und iFit geeinigt und ihren Rechtsstreit beigelegt. Beruhigen wird sich die Branche so schnell trotzdem nicht, zu viel steht auf dem Spiel.
Noch bin ich (Test-)Kunde bei iFit, noch bin ich König. Und ich habe Spass daran, mein verspiegeltes Workout-Reich zu erforschen. Für dich mache ich auch gerne den Hofnarr: Wenn du Fragen zum Fitnessspiegel hast oder dich spezielle Aspekte der iFit-Inhalte interessieren, kannst du mir gerne einen Kommentar dalassen. Ich schaue mir an, so viel ich kann. Es wird mir besser ergehen als der Königin im Märchen: Die muss zur Strafe für ihre Taten in rotglühenden Eisenpantoffeln so lange tanzen, bis sie tot zusammenbricht. Welche Fitness-Company in den roten Zahlen kollabiert und welche sich durchsetzt, wird die Zeit zeigen. Solange sie nicht gestorben sind, trainieren wir noch weiter.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.